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    Der Maschinist
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der Maschinist
    Von Deike Stagge

    Welche Ängste, Sorgen, Schuldgefühle oder Psychosen können einen Menschen so sehr quälen, dass er ein ganzes Jahr nicht schlafen kann? Trevor Reznik (Christian Bale) befindet sich genau in diesem Alptraum: Seit einem Jahr hat er kein Auge zugetan, ohne zu wissen, wieso. Innerhalb dieses Zeitraums hat er durch den Stress körperlich so stark abgebaut, dass von ihm nur noch das Knochengerüst übrig ist. Auch seine geistige Zurechnungsfähigkeit hat unter den Strapazen gelitten.

    Wir lernen Trevor in seinem normalen Tagesablauf kennen: Aufstehen, zur Waage gehen (sie zeigt 121 Pfund an), eine Schicht im Werk arbeiten, einen Kaffee bei der netten Kellnerin Marie (Aitana Sánchez-Gijón) am Flughafen einnehmen und dann die Nacht mit der Prostituierten Stevie (Jennifer Jason Leigh), seiner einzigen Vertrauten, verbringen. Eines Tages taucht der neue Kollege Ivan (John Sherian) im Werk auf. Von ihm abgelenkt verschuldet Trevor einen Unfall, bei dem Miller (Michael Ironside) einen Arm verliert. Niemand glaubt Trevor seine Geschichte, da angeblich kein neuer Mitarbeiter im Werk angestellt wurde. Zunächst von Schuldgefühlen zerfressen, verfällt Trevor jedoch bald in Misstrauen. Gibt es ein Komplott gegen ihn? Die Kollegen wollen ihn entlassen sehen und halten ihn für komplett übergeschnappt. Zwischen Miller und Ivan scheint eine Verbindung zu bestehen. Jemand hängt in seiner Wohnung gelbe Zettel mit komischen Rätseln auf. Trevor verfolgt Ivan auf eigene Faust, um Antworten zu erhalten. Wer steckt alles gegen ihn unter einer Decke? Haben sich auch seine engsten Freunde gegen ihn verschworen? Immer weitere Kreise ziehen Trevors Erkenntnisse und schließlich zweifelt er sogar an seinem eigenen Verstand. Doch durch seine Nachforschungen erhält er unerwartet die Chance herauszufinden, was sich hinter seiner Schlaflosigkeit verbirgt.

    „The Machinist“ ist ein düsterer Thriller über Paranoia und Psychosen. Dem Aussehen des Hauptdarstellers nach zu urteilen, wäre „Super Size me - Reversed“ der passende Titel für den Film. Schockmomente haben hier überhaupt keinen Platz: Wenn Trevor in der ersten Szene nur in Boxershorts auf die Waage steigt, ist sein Anblick schrecklicher als irgendwelche zerfetzten Leichen in einem Splatterfilm. Eine derart ausgemergelte Gestalt kennt der Zuschauer nur aus historischen Bildern von KZ-Befreiungen. Hauptdarsteller Christian Bale - eigentlich als leckerer Muskelprotz aus „Herrschaft des Feuers“ und „American Psycho“ bekannt - hat sich für diesen Film von seinem Traumkörper ganze 30 Kilogramm abgehungert: völlig eingefallene, glanzlose Augen, die Haut spannt sich über den Knochen, auf dem Rücken ist jeder Wirbel sichtbar. Nachträglich über die Bilder geschobene Farbfilter rauben das letzte menschlich wirkende Rosa aus seiner Hautfarbe.

    Der Schauspieler wog nach sechs Monaten vorbereitender Hungerkur unter 52 Kilogramm. Diese freiwillige Selbstverstümmelung ist beispiellos und wird hoffentlich zumindest mit einer Oscarnominierung honoriert werden. Auch wenn sich nicht verleugnen lässt, dass auch eine Portion Dummheit dazugehört, sich ohne direkt Not diesem gesundheitlichen Risiko für den eigenen Körper auszusetzen. Aber da „The Machinist“ komplett um Christian Bales Performance herum aufgebaut wird, ist seine Leistung für den Film entscheidend. Auf jeden Fall beweist Bale, dass er nicht nur für körperlich anspruchsvolle Actionrollen gemacht ist und empfiehlt sich durch seinen Auftritt für komplex angelegte, problematische Charaktere.

    In seiner Machart bezieht sich „The Machinist“ auf Regievorbilder wie David Lynch („Mulholland Drive“) und Alfred Hitchcock. In der Geschichte selbst lassen sich bewusst eingestreute Referenzen zu Franz Kafka und sogar Fjodor Dostojewski finden. Vielleicht erscheint es nicht sehr glaubwürdig, dass sich ein durchschnittlicher Maschinist in seiner kostbaren Freizeit mit der Lektüre von Dostojewskis „Der Idiot“ quält, aber die Referenz spricht als solche für sich. Auf solche feinen Anspielungen legt der bisher unbekannte Regisseur Brad Anderson („Session 9“) großen Wert - sie unterfüttern den Film stetig mit Hinweisen auf seine Auflösung und erzeugen durchaus Spannung beim Zuschauer. Anderson konnte sich bei der Umsetzung des Films auf das hervorragend ausgearbeitete Drehbuch von Scott Kosar verlassen, der jahrelang immer wieder an der Idee feilte. Auch durch das Erzähltempo und die Einführung von lediglich fünf wichtigen Charakteren wird der Film auf das absolut Wesentliche festgelegt - Spielereien und Ausschmückungen, die verzögernd wirken und das Publikum vom eigentlichen Kern der Handlung ablenken, braucht „The Machinist“ dank seiner fesselnden Geschichte nicht. Mit ziemlicher Sicherheit wird der Film kein unheimlich erfolgreicher Blockbuster werden, aber er wird nicht zuletzt durch seinen ausgezeichneten Hauptdarsteller und die gute Regiearbeit seinen Vorbildern durchaus gerecht. Kein Film für einen ausgelassenen Freitagabend, aber ansonsten uneingeschränkt empfehlenswert.

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