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    Fear X - Im Angesicht der Angst
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Fear X - Im Angesicht der Angst
    Von Robert Cherkowski

    Mit dem grandiosen Neo-Noir-Genre-Mix „Drive" hat Nicolas Winding Refn endlich seinen wohlverdienten Durchbruch gefeiert. Wohlverdient, weil der dänische Bilderstürmer auch zuvor schon viele ausgezeichnete Regie-Arbeiten abgeliefert hat. Nach der grimmigen Gangster-Geschichte „Pusher" und dem eindringlichen Drama „Bleeder" inszenierte Refn 2003 mit „Fear X" ein rätselhaftes Filmjuwel, das damals mit seiner chaotischen Produktionsgeschichte und seinem desaströsen Scheitern an den Kinokassen einen herben Rückschlag für den jungen Filmemacher darstellte. Nachdem er in Dänemark seine „Pusher"-Trilogie fertiggestellt und die internationale Kritik mit der Knast-Farce „Bronson" sowie der Wikinger-Meditation „Valhalla Rising" neu auf sich aufmerksam gemacht hatte, gelang Refn dann der große Wurf mit „Drive". Auch wenn „Fear X" eher als Fußnote im Schaffen des Dänen gilt, lohnt es sich dennoch unbedingt, das wunderbar vernebelte Frühwerk nachzuholen. Die inszenatorische Finesse, die ihn später berühmt machen sollte, hat Refn nämlich schon hier unter Beweis gestellt.

    Seit seine Frau bei einem Mordanschlag in einer Tiefgarage von einem unbekannten Angreifer erschossen wurde, verwendet der schwer verstörte Supermarktdetektiv Harry (John Turtorro) all seine freie Zeit darauf, dem Mörder auf die Schliche zu kommen. Während er kaum noch zwischenmenschliche Kontakte pflegt und zunehmend besessener von seiner Suche wird, kommt er seinem Ziel mit Hilfe zahlreicher Informanten und anonymer Gönner immer näher. Noch weiß er nicht, dass es der Polizist Peter Northrup (James Remar) war, der einst den Abzug betätigte – und zwar eigentlich, um einen Kriminellen im Auftrag seiner Vorgesetzten umzubringen, ehe Harrys Frau als unerwartete Zeugin erschien. Je weiter Harrys Ermittlungen voranschreiten, desto unausweichlicher wird die tragische Konfrontation der beiden Männer...

    Bei „Fear X" konnte der schon damals äußerst selbstbewusst inszenierende Refn auf die Hilfe zweier kongenialer Avantgarde-Künstler zählen: Elektronik-Pionier Brian Eno zeichnete für den Soundtrack verantwortlich und Schriftsteller-Legende Hubert Selby Jr. („Letzte Ausfahrt Brooklyn", „Requiem for a Dream") war maßgeblich am Drehbuch beteiligt. Dazu gesellte sich Charakterkopf John Turturro („Barton Fink"), der den trauernden Ermittler voller Ambivalenzen darstellt. So recht wird nie klar, was Harry eigentlich zu tun gedenkt, wenn er den Mörder einmal dingfest gemacht hat. Wie ein Rächer der Marke Liam Neeson („96 Hours") sieht er zumindest nicht aus. Vielmehr ist er ein vom Schicksal Gebeutelter, der schlichtweg versucht, das Unrecht zu verstehen. Manchmal scheint es sogar, als wolle er selbst durch die Hand ausgelöscht werden, die sein Leben ohnehin schon irreparabel zerstört hat.

    James Remars („Dexter") Auftritt als von Schuldgefühlen zerfressener Killer ist nicht minder packend. Wie Harry hat auch Peter einen masochistischen Impuls, einen tiefen, unausgesprochenen Wunsch nach Enttarnung und Bestrafung. Dass ihr unvermeidliches Aufeinandertreffen nicht unbedingt zur Klärung ihrer psychischen Krisen führen wird, ist da leicht absehbar. Die Konfrontation wird dennoch nicht in Form eines Showdowns nach den Spielregeln des Rache-Thrillers stattfinden. Auch eine Gewalteruption, wie sie Refn in späteren Filmen zelebriert hat, bleibt aus. Vielmehr führt der Regisseur sein Publikum ins Innere zweier zerstörter Seelen – und das ganz ohne inszenatorische Kraftmeierei. Aus „Fear X" spricht eine bemerkenswerte Bescheidenheit, eine kluge „Weniger ist Mehr"-Mentalität.

    Schon zu Beginn, wenn in aufgeräumten Einstellungen, mit bedächtigen Zooms und bedrohlich wabernden Eno-Klangcollagen die von Obsessionen beherrschte Welt Harrys eingefangen wird, macht Refn klar: „Fear X" ist ein Film der bedeutungsschweren Blicke und der Freiräume, einer, in dem vieles unausgesprochen bleibt. Hier liegt es vor allem am Publikum, eine Haltung zu den ambivalenten Figuren und zu ihren Taten zu finden. Noch schwieriger zu greifen als Harry und Peter sind dabei die Mächte, die sie lenken. Immer wieder lässt Refn böse Träume über seinen Protagonisten hereinbrechen, in denen sich Peters Gesicht wie ein böser Dämon gegen eine Latex-Membran drückt und sich vieldeutig Gesichtszüge aus dem Nichts offenbaren. Mit einfachen Mitteln wird hier ein äußerst irritierender Effekt erzielt, den man schwer wieder aus dem Kopf bekommt.

    Weit weniger minimalistisch als der Großteil des Films ist das hypnotisch langsame Finale in Szene gesetzt: Schauplatz des Geschehens ist ein Hotel, das so bedrohlich wirkt, dass nicht einmal die schrägsten Figuren von David Lynch darin absteigen würden. Mit dichten Nebelschwaden und flackernden Lampen wirkt der sinistre Schauplatz immer mehr wie ein irdisches Fegefeuer, das auf dem Weg zum dänischen Herz der Finsternis durchquert werden muss. Die offenen Fragen, mit denen Refn sein Publikum nach dieser fesselnden Sequenz zurücklässt, hallen lange nach – und das ist nur eine der vielen Qualitäten, die er von „Bronson" über „Valhalla Rising" bis „Drive" auf dem Weg ins internationale Rampenlicht weiter kultiviert hat.

    Fazit: Nicolas Winding Refns Frühwerk „Fear X" ist ein Filmjuwel, das im Schaffen des „Drive"-Regisseurs aus Dänemark oft unverdientermaßen übersehen wird.

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