Bühnenspiel und Kino. Zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier die Leinwand, das Medium der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem Grenzen nicht durch das technisch Machbare, sondern das zur Verfügung stehende Budget festgelegt werden. Dort das minimalistische Theater. Eine Hand voll Darsteller und Bühnenbilder, kaum Musik. Das muss reichen. Von Spezialeffekten oder ähnlichen Spielereien ist hier überhaupt keine Rede. Dass ein gutes Theaterstück wie „Hautnah“ daher nicht zwangsläufig auch einen guten Film ergibt, liegt auf der Hand. Dazu bedarf es schon der richtigen Männer am richtigen Ort. Männer vom Schlage eines Regie-Altmeisters wie Mike Nichols.
London. Die ehemalige Stripperin Alice (Natalie Portman) kehrt ihrer Heimatstadt New York den Rücken zu, um sich von einer gescheiterten Beziehung zu erholen. Dort lernt sie den zwar attraktiven, aber introvertierten und erfolglosen Schriftsteller Dan (Jude Law) kennen, der sich bei einer Zeitung mit dem Verfassen von Nachrufen finanziell über Wasser hält und mit dem Austüfteln möglichst pfiffiger Euphemismen vergnügt. Sie haben nichts gemeinsam, doch gerade deswegen passen sie wahrscheinlich so gut zusammen. Sie verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Er gibt ihr Halt, sie ihm ein Abenteuer. Von dieser Beziehung profitiert aber insbesondere Dan. Er macht sein Leben mit Alice zum Thema seines ersten Romans.
Die Geschichte macht einen Sprung. Dans Buch steht mittlerweile kurz vor der Veröffentlichung, als er von seinem Verleger zu der amerikanischen, momentan in Scheidung lebenden Fotografin Anna (Julia Roberts) beordert wird. Auch wenn Dan seine Alice immer noch zu lieben glaubt, fühlt er sich doch sofort zu der ungleich reiferen Frau hingezogen. Noch bevor das Fotoshooting beendet ist, tauschen sie leidenschaftliche Küsse aus (Anna: „Normally I don’t kiss strange men“ – Dan: „Neither do I“). Da Alice jedoch ihren Freund abholen kommt, ist das Vergnügen von kurzer Dauer. Alice gibt vor, sich von Anna noch alleine fotografieren lassen zu wollen. Doch in Wirklichkeit hat sie ein anderes Ziel: Sie möchte Anna damit konfrontieren, dass sie an ihrem Gesichtsausdruck sofort erkannt habe, was eben passiert ist…
Wieder ein Sprung. In einer der amüsantesten Szenen des Films sucht der einsame Dermatologe Larry (Clive Owen) in einem Chat nach neuen Bekanntschaften. Dort stößt er ausgerechnet auf Dan, der gelangweilt zuhause auf dem Sofa liegt und sich die Zeit totschlägt, in dem er sich online als Anna ausgibt. Es kommt, wie es kommen muss: Dan überredet Larry zu einem „Treffen“, nur dass er ihn nicht zu sich, sondern ins Aquarium lotst, wo erfahrungsgemäß die richtige Anna einen Großteil ihrer freien Zeit verbringt. Dass Larry dort zunächst voll ins Fettnäpfchen tritt, versteht sich von selbst. Was darüber hinaus geschieht - und Dan fortan den Spitznamen Armor einbringt - hingegen nicht. Zu schade nur, dass Dan sich durch diesen Scherz ins eigene Fleisch schneidet, denn insgeheim hat er noch immer mehr als nur ein Auge auf Anna geworfen…
Patrick Marbers zugrunde liegendes Bühnenstück „Closer“ (so der Originaltitel von „Hautnah“) ist eine der erfolgreichsten Theaterproduktionen der 90er Jahre. Nachdem die Tragikomödie 1997 in London aufgeführt wurde, begann eine Erfolgsgeschichte sondergleichen: Von den Kritikern gefeiert, den Fans vergöttert und mit Preisen wie dem BBC Award oder dem London Critics Award überhäuft. Es dauerte nicht lange, bis amerikanische Investoren mit dicken Geldbündeln um sich warfen und eine Broadway-Inszenierung in Angriff genommen wurde. Auch auf der anderen Seite des großen Teichs wollte der Erfolg nicht abbrechen. „Closer“ wurde unter anderem für den Tony Award nominiert und mit dem New York Cirtics Award für das beste ausländische Stück ausgezeichnet. Mittlerweile wird „Closer“ in über 100 Städten in mehr als 30 verschiedenen Sprachen aufgeführt. Auch Mike Nichols („Die Reifeprüfung“, „Die Waffen der Frauen“) wurde auf den Stoff aufmerksam und machte sich gemeinsam mit Marber an die Leinwandadaption.
Doch was ist so besonderes an „Hautnah“? In erster Linie ist es diese schonungslose Ehrlichkeit und kompromisslose Aufrichtigkeit. Selten war ein Film mehr aus dem Leben gegriffen als dieser. Nichols und Marber pfeifen auf irgendeine heuchlerische Hollywood-Moral. Hier ist jeder einzelne der Charaktere sich selbst am nächsten. Das Wohl des jeweiligen Partners ist in erster Linie zunächst einmal vollkommen Schnuppe. Dieses konsequente Streben nach der eigenen Befriedigung führt dazu, dass über kurz oder lang jeder mit jedem in der Kiste landet. Und sollte der Partner sich von einem trennen wollen, dann wird nicht eben so mal kurz in die Scheidung eingewilligt. Bei „Hautnah“ wird in einer solchen Situation eine gewisse „Gegenleistung“ von der Verflossenen verlangt. Umsonst gibt es nichts…
Eigentlich war für die Rolle der Anna ja Cate Blanchett vorgesehen. Aufgrund ihrer zweiten Schwangerschaft musste die Australierin jedoch vom Dreh zurück treten. Der Zuschauer muss nun mit Julia Roberts vorlieb nehmen. Wer nun erneut eine selbstverliebte Darbietung à la "Mona Lisas lächeln" erwartet, ist auf dem Holzweg. Was ausgerechnet die Roberts hier von sich gibt, lässt einen als Zuschauer hier und da mit offenem Mund auf die Leinwand starren. „Yes, I fucked him! Yes, I came. Twice! Firsten I was on him, and the he took me from behind.“ Diese Worte werden mit einer Intensität, einer Eindringlichkeit, einer inneren Wut vorgetragen, wie sie bisher von ihr nicht zu sehen war. Ausgerechnet die Roberts. Ausgerechnet Everybody’s Darling. Das war zu viel für die amerikanischen Ordnungshüter von der MPAA. Also wurde „Hautnah“ flugs mit einem R-Rating versehen. Dass es im deutschen TV-Programm am Nachmittag mindestens genau so zur Sache geht, ist ein anderes Thema.
Doch auch abseits von Julia Roberts' überraschendem, ungewohnten Auftritt besticht „Hautnah“ durch seine überragenden Darsteller. Jude Law ist der große Romantiker des Films. Die Wandlung vom schüchternen Lokalreporter über den selbstbewussten Autor hin zur gebrochenen Person nimmt der Zuschauer ihm in jeder Sekunde ab. In einer der Schlüsselszenen des Films sagt sein Charakter Dan, es sei wichtig, dass sich die Menschen immer die Wahrheit sagen. Dies sei es schließlich, was ihn vom Tier unterscheide. Nun, an eben jener Forderung geht er letztendlich zu Grunde. Obendrein guckt der gute Jude teils so wundervoll traurig aus der Wäsche, dass ihn die Frauen dafür lieben werden! Natalie Portman wiederum kämpft in „Hautnah“ munter gegen ihr Amidala-Püppchen-Image an. Ihr Auftritt lässt sich nur mit einem einzigen Wort beschreiben: atemberaubend. Angeblich wurden von ihr teils noch viel freizügigere Szenen gedreht, doch sie bestand wohl darauf, diese aus der finalen Fassung des Films zu schneiden. Ob dies nun der Wahrheit entspricht oder einfach nur ein geschickt gestreutes Gerücht zur Steigerung des öffentlichen Interesses war, sei an dieser Stelle dahin gestellt. Fakt ist jedoch: Auch ohne dass sie alles zeigt, versprüht Natalie Portman mehr Erotik, als so manches viel freizügigere Möchtegern-Sternchen.
Die überragende Persönlichkeit von „Hautnah“ ist allerdings der vermeidlich kleinste Name aus der Besetzungsliste. Ausgerechnet Clive Owen, der Hauptdarsteller aus der allenfalls mittelprächtigen „King Arthur“-Verfilmung, zeigt seinen ungleich höher gehandelten Co-Darstellern aber so richtig, wo der Bartel den Most holt. In beinahe jeder Szene ist er immer noch ein Stückchen besser als seine ebenfalls starken Kontrahenten. Was anfangs etwas kurios anmutet, ist bei näherer Betrachtung keineswegs verwunderlich. Owen gehörte zur Originalbesetzung, die 1997 „Closer“ erstmalig in London als Bühnenstück aufführte. Dort gab er allerdings nicht den Larry, sondern den Dan, für den er auch hier in der Leinwand-Adaption eigentlich vorgesehen war. Doch Owen bat Nichols um die Rolle des Larry. In einem Interview begründete er dies folgendermaßen: „Ich liebte es, Dan zu spielen, aber noch einmal in der Rolle von Larry zurück an den Anfang zu gehen, war eine echte Freude.“ Diese Freude sieht der Zuschauer Owen in jeder einzelnen Szene an.
Mike Nichols ist erfahren genug zu wissen, dass er es tunlichst vermeiden sollte, das Rad neu zu erfinden. „Hautnah“ wurde ursprünglich als ein Bühnenstück geschrieben, also wurde der Film auch recht ähnlich inszeniert. Die Handlung beschränkt sich auf wenige Schauplätze. Die Einstellungen wurden immer in so wenigen Schnitten wie möglich gedreht. Schnelle Schnittfolgen finden sich keine. Stattdessen beschränkt sich Nichols darauf, seine glänzend aufgelegte Darstellerriege ins rechte Bild zu rücken. Auch Musik wird nur äußerst sporadisch eingesetzt, aber wenn, dann passt sie perfekt zur Stimmung des Films, ist glänzend mit den Bilder montiert und sorgt hier und da für den einen oder anderen denkwürdigen Gänsehautmoment.
Vom National Board Of Review wurde „Hautnah“ erst vor kurzem zum drittbesten Film des sich dem Ende entgegen neigenden Kinojahres ausgezeichnet. Obendrein erhielt er den Award für Best Acting By An Ensemble. Mit zwei Golden Globes für den überragenden Clive Owen und Natalie Portman hat es auch schon geklappt. Doch wenn es so etwas wie Gerechtigkeit auf dieser Welt gibt, waren dies nicht die letzten Auszeichnungen. Wir fordern an dieser Stelle folgende Oscar-Nominierungen: Bester Film, bester Nebendarsteller (Clive Owen), bestes adaptiertes Drehbuch und (wer weiß?) vielleicht darf sich ja Mike Nichols nach 1969 ein weiteres goldenes Männlein (seinerzeit für „Die Reifeprüfung“) ins Regal stellen. Unverdient und all zu unerwartet wäre dies sicherlich nicht. „Hautnah“ ist ein ehrlicher, ein aufrichtiger, ein faszinierender aber auch schonungsloser Film, der kein Blatt vor den Mund nimmt und einen vollkommen in seinen Bann zieht, sofern man ihn nur lässt.