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    Never die alone
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Never die alone
    Von Carsten Baumgardt

    Die Schauspielerei ist eine der liebsten Nebenbeschäftigungen der Rap-Stars. Das gilt natürlich auch für Earl Simmons alias DMX, der bereits seinen fünften Leinwandauftritt hat und zeigen will, dass er ein guter Mime ist. Etwas beweisen wollte auch Ernest R. Dickerson. Spike Lees Kameramann aus frühen Tagen untermauert mit dem toughen Gangster-Noir-Drama „Never Die Alone“ nach einigen durchschnittlichen Filmen sein Regietalent. Das optische Low-Budget-Glanzstück ist atmosphärisch dicht, gut gespielt und mit einer ausgefeilten Flashback-Dramaturgie versehen.

    Der skrupellose Drogendealer King David (DMX) kehrt in seine Heimatstadt an der Ostküste zurück, um alte Schulden bei Unterweltboss Moon (Clifton Powell) zu begleichen. Anschließend will er sich zur Ruhe setzen. Moons Handlanger Mike (Michael Ealy) und Blue (Antwon Tanner) sollen das Geld kassieren. Doch die Übergabe endet in einem Blutbad. Mike hasst King David und kann seinen Zorn nicht im Zaum halten. Es kommt zur Auseinandersetzung bei der David und Blue schwer verwundet werden. Der Journalist Paul (David Arquette), der in dem zwielichtigen Bezirk Recherche für einen Artikel betreibt, hilft dem King, nicht in der Gosse zu veränden und bringt ihn in ein Krankenhaus. Doch David stirbt wenig später und hinterlässt dem Helfer sein gesamtes Hab und Gut: Eine Luxuskarosse, Goldschmuck ... und Tonbänder, auf die King David seine Memoiren gesprochen hat. Paul versucht, mehr über das Leben des Gangsters für eine Story herauszufinden. Währenddessen ist ihm Moons Killerkommando auf den Fersen. Sie wollen den Zeugen aus dem Weg räumen. Der Versuch, die versagenden Mike und Blue zu töten, gelingt nur bei Blue. Aber auch Mikes Schwester Ella (Drew Sidora) wird erschossen, er kann flüchten...

    Die Buch-Vorlage zu „Never Die Alone“ stammt von Kult-Romanautor Donald Goines, ein Ex-Gangster, der selbst im Knast saß und dort das Schreiben begann und nach seiner Freilassung erschossen wurde. Ernest R. Dickerson („Bulletproof“, „Surviving The Game“) geht sein düsteres Noir-Drama mit allen erdenklichen optischen Raffinessen an. Seine Leinwandbilder sind dreckig und durchgehend grobkörnig. Mir teils irrsinnigen Perspektiven unterstützt Kameramann Matthew J. Libatique („Gothika“, „Nicht auflegen!“) den eleganten Style Dickersons. Entgegen den Erwartungen dominiert beim Score nicht der Rap, der nur dezent eingesetzt wird, sondern ein sehr stimmungsvoller Jazz-inspirierter Score. Im Zusammenwirken mit der düsteren Optik, die nur in den Szenen in Los Angeles gebrochen wird, trägt dies zur atmosphärischen Dichte bei. Die Story ist mit zahlreichen Flashbacks versehen, welche die Vorgeschichte von hinten aufrollen, während die Haupthandlung chronologisch weiterläuft. Der guten Arbeit von Drehbuchautor James Gibson ist es zu verdanken, dass diese komplizierte Struktur fasziniert und nicht den Film ruiniert. Hintergründe und Motivationen werden nach und nach sehr elegant entblättert.

    DMX („Born 2 Die“, „Exit Wounds“, „Romeo Must Die“, „White Lines“), der den Film auch produzierte, überzeugt voll. Der Rapper kann mit einem „Larger Than Life“-Charisma aufwarten. Sein Gangster King David ist halb Teufel, halb Prediger. Die Erzählungen, die er auf Band gesprochen hat, haben oft poetischen Charakter. Dies stieß bei einigen Zeigefinger schwingenden US-Rezensenten auf Kritik. So wollen darin Gewaltverherrlichung und eine Glorifizierung gesehen haben. Autor Donald Goines kommt aus dem Straßenmilieu. Es geht rau und brutal zu. Die Gangster leben in ihrer eigenen Welt. Dem trägt Dickerson Rechnung. Er schildert das Milieu, beobachtet, aber verurteilt nicht. Er reflektiert nur. Eine gewisse Faszination kann er dennoch nicht ganz verbergen. Zimperlich ist Dickerson dabei nicht. „Never Die Alone“ ist blutig und brutal, dem Thema allerdings angemessen kompromisslos. Sein King David ist ein Anti-Held, eine höchst ambivalente Figur. Doch neben all dem Bösen steckt auch etwas Gutes in ihm.

    David Arquette („Arac Attack“, „Scream“) fungiert als Gegenpol aus der „normalen Welt“. Der Journalist Paul hat sich in seine Recherche verrannt und gerät immer tiefer in den Schlamassel und muss um sein Leben fürchten. Seine Freundin hat dies früh erkannt und warnt ihn: „This isn’t a Quentin Tarantino movie – this is real life.“ Aber die Gier nach der großen Geschichte treibt ihn immer weiter. Die wahre Entdeckung des Films ist jedoch Michael Ealy (aus „2 Fast 2 Furious“ und „Barbershop“). Er bekommt den interessantesten Charakter auf den Leib geschrieben. Mit einer Mischung aus unglaublicher Intensität und Selbstkontrolle füllt er seine Rolle aus. Warum er einen derartigen Hass auf King David hat, enthüllt sich im Schlussteil. Diese Wendung endet in einer Tragik, wie sie zu Beginn noch nicht abzusehen war. Die Frauen spielen in „Never Die Alone“ nur eine Nebenrolle. Drew Sidora als Mikes Schwester sowie Reagan Gomez Preston und Jennifer Sky als King Davids Freundinnen passen sich dem stimmigen Gesamtbild des Films an.

    Erstaunlich an „Never Die Alone“ ist die Tatsache, dass es sich eben nicht um einen weiteren 08/15-Action-Gang-Reißer handelt. Der Regisseur kombiniert das Gangmilieu mit den Stilmitteln des Film noir und schafft so eine bedrohlich-faszinierende Stimmung. Konsequent ehrlich ist sein Verzicht auf positive Identifikationsfiguren. Selbst der einzig Nicht-Kriminelle, der Journalist David, ist auf dem absteigenden Ast und der Suche nach sich selbst. Dennoch kann die optische und erzählerische Finesse nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte im Kern recht konventionell ausfällt. Sie wird mit einer Menge Aufwand aufpoliert, um davon abzulenken. Trotzdem ist Ernest R. Dickerson ein vielversprechendes Werk gelungen, das für die Zukunft einiges erhoffen lässt. Wer auf Milieufilme steht und sich nicht an einer fehlenden Moralisierung stört, sollte einen Blick riskieren...

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