Wie ist es, das Kind eines Menschen zu sein, der in der Öffentlichkeit steht? Dies ist eine der Fragen mit der sich „Schau mich an“ von Regisseurin Agnes Jaoui beschäftigt. Doch wie es sich für Gesellschaftssatiren gehört, wird nicht zu knapp über menschliches Miteinander gelästert. Die Charaktere reden allesamt aneinander vorbei und haben jeder irgendein schweres Problem oder zumindest Fehler. In Cannes wurde das Drehbuch ausgezeichnet – sicher vor allem dank der sehr pointierten und geistreichen Dialoge. Denn die Story mag nicht belanglos sein, erscheint aber in erster Linie als Mittel zum Zweck. Viele der Szenen sind ausgesprochen lustig und für sich gesehen interessant, aber die tragenden Storywendungen können nicht fesseln.
Lolita (Marilou Berry) ist die Tochter eines berühmten und angesehenen Buchautors. An Geld kommt sie per Fingerschnippen, macht davon aber kaum Gebrauch. Ihr Traum ist es, eines Tages Sängerin zu sein und dafür nimmt sie auch fleißig Unterricht bei Sylvia (Agnes Jaoui). Ihr Problem ist zum einen ihr Körperumfang, der ihr Discobesuche unmöglich macht und zum anderen ihr Vater (Jean-Pierre Bacri). Der ist ein vollkommen sarkastischer, arroganter und taktloser Mensch, genau genommen menschlich völlig unzureichendend. Lolita ist davon überzeugt, alle Leute würden sich nur wegen ihm für sie interessieren. Deshalb fühlt sie sich von niemandem geliebt, ihre Mutter kennt sie überhaupt nicht. Per Zufall tritt Sébastien (Keine Bouhiza) in ihr Leben, der sich in sie verliebt. Doch da gibt es noch Mathieu (Julien Baumgartner), den sie einfach nicht vergessen kann.
Der Zweck der schlichten Story ist es in erster Linie, das Gefühlschaos von Lolita richtig abzubilden. Ihr egoistischer Vater bereitet ihr die größten Probleme, denn er ist generell entweder direkt oder indirekt der Auslöser ihrer schlechten Gefühle. Er wird von allen umschwärmt, sie kommt sich dabei stets wie unnötiges Beiwerk vor. Selbst bei ihren Männergeschichten sieht sie sich als bloße Kontaktperson, da ihr Vater ihren Freunden oft auch in beruflicher Hinsicht hilft. Das zweite große Thema von „Schau mich an“ – im übrigen ein grauenhafter Filmtitel – ist die Unfähigkeit der Menschen zur Kommunikation. Eine Szene zwischen Regisseurin Agnes Jaoui in der Rolle der Gesangslehrerin Sylvia und Lolita macht es am deutlichsten. Lolita erzählt ihr, wie schwierig die Sache mit Mathieu und Sébastien für sie ist, doch Sylvia versteht praktisch überhaupt nichts. Bei jeder Nachfrage, ob denn nun etwa Mathieu mit dem letzten Satz gemeint war, liegt sie falsch.
Die Gesellschaftskritik ist interessant in die Gespräche eingebaut und zielt vor allem auf die Verschiedenheit der Interessen und Kommunikationsprobleme ab. Als Zuschauer ist es zum Teil schwierig ernst zu bleiben, wenn die Szene an sich auch so sein mag – doch das geschieht nicht ganz unbeabsichtigt. Wenn Lolita Sébastien zuerst schwer angreift und beleidigt und ihm kurze Zeit später nachrennt und ihre Jacke zärtlich um seine Schultern legt, so ist das einfach komisch. Für die richtigen Lacher sorgt besonders Jean-Pierre Bacri als Vater von Lolita. Seine spontanen, zutiefst zynischen Kommentare triefen nur so vor Komik und sorgen auch in Erinnerung an den Film noch für Lacher. Genau wie eigentlich alle Charaktere ist er kaum sympathisch, einzig Agnes Jaoui schrieb sich als Autorin des Drehbuchs eine halbwegs normale Rolle auf den Leib.
Marilou Berry gibt eine sehr überzeugende Version einer latent nervigen, dicken Jugendlichen ab. Durch ihre Körperhaltung und Gesichtsausdrücke bringt sie zu jedem Zeitpunkt ihre meistens schlechte Verfassung zum Ausdruck und auch ein Aufblühen ist generell nur von kurzer Dauer. Jean-Pierre Bacri wird ebenfalls gut in Szene gesetzt, er besticht durch eine kaum durchbrochene Ernsthaftigkeit, wenn er auch viele Scherze auf Kosten anderer zu machen pflegt. Keine Bouhiza fällt aus dieser Reihe, allerdings nicht zuletzt weil er eine etwas ungünstige Rolle spielt. Das Schauspieleraufgebot ist dennoch nicht das Problem des Film, das liegt anderswo begründet.
Und zwar handelt es sich hierbei um die eingangs erwähnte Schlichtheit der Story. Neben der Geschichte rund um Lolita geht es auch um die große Chance für den bisher verhältnismäßig erfolglosen Autor Pierre Miller. Dieser Teil wird immer wieder eingestreut, bietet aber eigentlich relativ wenig. Die Freude für den Erfolg hält sich für den Zuschauer in Grenzen, da eine Identifikation mit dem Charakter nicht stattfindet. In diesem Film will jeder wenn möglich der böse Mann – also Lolitas Vater – sein, zu den anderen Menschen fehlt der Zugang. Dieser ist nur auf einer komischen Ebene zu finden, da es amüsant ist, zuzusehen, wie andere allzu bekannte und offensichtliche Fehler begehen. Die Dialoge sind zum Teil grandios geschrieben und Story ist nicht immer entscheidend, doch hier fehlt etwas, um mehr Interesse des Zuschauers zu erwecken. Einige Szenen wirken viel zu unwichtig, so dass danach die Frage im Raum steht, was das denn nun gerade sollte.
„Schau mich an“ wird allerdings getragen von seiner geschickten Charakterzeichnung und der stets mitschwebenden aber nie zu vordergründigen Gesellschaftskritik. Viele der Szenen sind sehenswert inszeniert und können so über die Schwächen hinweghelfen. Jean-Pierre Bacri ist übrigens der zweite Autor des Drehbuchs und außerdem Ehemann von Agnes Jaoui. Zusammen haben die beiden nicht das erhoffte Meisterwerk geschrieben, aber dafür meisterhafte Szenen und Dialoge. Dass es mit dem Gesamtbild hapert, liegt auch in der Einfachheit und Vorhersehbarkeit der Geschichte. Der ist leider anzumerken, dass sie wie mitten aus dem Leben gegriffen wirken soll.