„Cameron may have fashioned his film out of familiar parts, but he's put them together in a way that demands fresh attention and respect. There's poetry in the images; „The Abyss“ is pulp transcended. With probing intelligence and passionate feeling, Cameron has raised the adventure film very close to the level of art.“ (Peter Travers, Rolling Stone)
James Camerons Faszination für die mysteriösen Tiefen des Meeres begann schon lange vor seinem gigantischen Erfolg mit Titanic und Unterwasser-Dokumentationen wie Die Geister der Titanic und „Aliens Of The Deep“. Bereits 1989 brachte er nach äußerst strapaziösen Dreharbeiten, bei denen Hauptdarsteller Ed Harris beinahe ertrunken wäre, sein atmosphärisches Science-Fiction-Abenteuer „Abyss“ in die Kinos, wobei die Reaktionen zunächst weit hinter den Erwartungen zurückblieben. Obgleich er in Sachen Popularität vermutlich immer ein wenig hinter Camerons Schwarzenegger-Vehikeln (The Terminator, Terminator 2, True Lies) zurückstehen wird, hat man es doch auch hier mit einem Unterhaltungsfilm par excellence zu tun. Gerade in der verlängerten Fassung, die 1993 erschien, nimmt sich Cameron angenehm viel Zeit für die Geschichte der Besatzung einer Ölbohrstation am Meeresgrund, die angesichts einer potentiellen nuklearen Katastrophe eine unvermutete Begegnung der dritten Art erlebt. Hinzu kommt eine gewohnt perfekte, jedoch keinesfalls aufdringliche Inszenierung, die eine bemerkenswerte Balance zwischen atemberaubend-intensiven Spannungsmomenten und der präzisen Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen findet.
Da sich die USA und Russland im Kalten Krieg befinden, kann jeder noch so kleine Vorfall verheerende Folgen nach sich ziehen. Inmitten dieser gespannten Atmosphäre wird das Atom-U-Boot USS Montana auf ein merkwürdiges Signal aufmerksam. Die Montana nimmt die Verfolgung auf und versinkt schließlich nach einem schweren Zusammenstoß in einem tiefen Meeresgraben. Das US-Militär befürchtet eine Intervention des politischen Gegners und schickt deshalb eine Rettungsmission, bestehend aus Navy Seals, angeführt von Lt. Hiram Coffey (Michael Biehn) und der Wissenschaftlerin Lindsey Brigman (Mary Elizabeth Mastrantonio), los, um sich der Sache anzunehmen. Unterstützung erhält das Team von der Besatzung der „Deepcore“, einer Unterwasser-Bohrstation, die sich in der Nähe der Unglücksstelle befindet. Ihr Leiter, Virgil „Bud“ Brigman (Ed Harris), hätte am liebsten abgelehnt, doch die Armee ließ ihm keine andere Wahl. Nun hat er nicht nur chronisch übelgelaunte Elitesoldaten, sondern auch seine überaus anstrengende, zukünftige Ex-Frau Lindsey am Hals. Doch es kommt noch schlimmer: Es häufen sich unerklärliche Geschehnisse, hinter denen Coffey neuartige russische Spionagetechniken wähnt. Lindsey hingegen vermutet Außerirdische hinter den Vorkommnissen…
Zwar erhielt „Abyss“ einen Oscar für die auch heute noch bemerkenswerten Spezialeffekte (zum ersten Mal in der Kinogeschichte war – noch vor dem T-1000 - ein komplett computeranimiertes Wesen zu sehen), doch die Kritiker waren – insbesondere was die entscheidende Wendung betraf – gespaltener Meinung. Und auch ein großer Kassenerfolg, wie ihn Camerons vorangegangenen Produktionen The Terminator und Aliens verbuchen konnten, blieb aus. Erst vier Jahre später sollte ein Umdenkprozess einsetzen, als die enormen Einnahmen von Terminator 2 eine „Special Edition“ von „Abyss“ ermöglichten. Immerhin hatten auch technische Probleme eine befriedigende Umsetzung der entscheidenden Sequenz des Schlussteils vereitelt. So kam es, dass nach einer kurzen Kinoauswertung eine mustergültige, referenztaugliche Laserdisc der „Special Edition“ auf den Markt kam, die dem unterschätzten Werk doch noch einen gewissen Kultstatus verschaffte. Die wichtigste Neuerung im Vergleich zur ursprünglichen Fassung war das Hinzufügen eines Sub-Plots, der die Beweggründe der außerirdischen Besucher erläutert und dem ganzen Film somit einen komplett anderen Sinn verleiht.
Man mag über die (plakative) Anti-Kriegs-Botschaft des neuen Endes geteilter Meinung sein, doch sie schafft es angesichts der präsentierten Dokumentaraufnahmen mühelos, eine emotionale Reaktion auszulösen, und ist geradezu bezeichnend für das Kino des James Cameron, das man eben nicht voreilig auf technikfixierten Machismo reduzieren sollte. Sicherlich liegt eine der Schwächen des Regisseurs in der Zeichnung von Frauen, die im Wesentlichen abgewandelte Männerfiguren sind. Doch die Fixierung auf das Militär und insbesondere auf Atombomben, die selbst in der Action-Komödie True Lies nicht fehlt, hat bei Cameron oft auch einen doppelten Boden. In Aliens inszenierte er eine Art „Vietnam im Weltall“, in dem die Marines an ihren mit der Umgebung bestens vertrauten Gegnern scheitern und in „Terminator 2“ gelingt mit den apokalyptischen Visionen Sarah Connors eine deutliche Warnung vor dem Horror eines atomaren Krieges. Es bleibt diskutabel, inwieweit solche gutgemeinten militärkritischen, beziehungsweise pazifistischen Botschaften, wenn sie innerhalb gewalttätiger Hollywoodfilme platziert sind, effektiv sein können und nicht vielleicht die Gefahr einer Doppelmoral bergen. Allerdings erscheinen sie, besonders im Fall von „Abyss“, bei Cameron nie aufgesetzt. Zudem lässt sich der direkte Bezug auf den Kalten Krieg auch als Kommentar zum Science-Fiction-Genre der 50er Jahre verstehen, in dem außerirdische Besucher - allegorisch für eine russische Invasion - als Aggressoren auftreten.
Im Grunde bedient sich die Story eines simplen Kniffs: Statt wie gewöhnlich in den Weiten des Alls wird hier der Science-Fiction-Stoff einfach auf dem Meeresboden angesiedelt, wobei die „Deepcore“ die übliche Raumstation ersetzt. Was auf den ersten Blick nicht sonderlich originell anmutet, lässt auf den zweiten aber eine ungewöhnliche Atmosphäre entstehen, die sonst keinem anderen Film eigen ist. Gedreht wurden die Unterwasseraufnahmen in einem gefluteten, halb fertiggestellten Reaktorgebäude, das ausreichend Platz für die ambitionierten Pläne der Filmcrew bot. Von Sterilität ist hier nichts zu spüren, die Übergänge von Miniaturmodellen zu echten Sets verlaufen nahtlos. Mikael Salomons enorm mobile Kamera braucht sich selbst hinter der Leistung von Jost Vacano bei Das Boot nicht zu verstecken und gerät nie zum Selbstzweck. Gleiches gilt für den Soundtrack von Alan Silvestri, der Bombast vermeidet und die Wucht spannungsvoller Szenen doch merklich zu steigern vermag. Gegen Ende gerät das Geschehen sehr in die Nähe von Steven Spielbergs Alien-Klassiker Unheimliche Begegnung der dritten Art, angesichts der nach wie vor beeindruckenden Effekte von Industrial Light and Magic ist dies jedoch zu verschmerzen. Das kindliche Staunen, das der Film angesichts der extraterrestrischen Besucher an den Tag legt, wirkt in Camerons Macho-uvre eher deplatziert, was von Kritikerseite zum Teil auch stark bemängelt wurde. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass das Auftreten der Außerirdischen sorgfältig vorbereitet wird und sich innerhalb der Handlung logisch entfaltet.
Vor allem die an sich klischeebehaftete Liebesgeschichte zwischen Bud und Lindsey, das eigentliche Zentrum des Films, bleibt im Gedächtnis hängen, da sie von Cameron nicht als obligatorisches Anhängsel betrachtet, sondern ernst genommen wird. Eine Wiederbelebungsszene verursacht auch beim wiederholten Sehen Beklemmungen, so realistisch und fast physisch spürbar wirkt sie. Ed Harris (Apollo 13, Die Truman Show, The Rock, Die Firma) gehört zu den profiliertesten Nebendarstellern Amerikas und ist eigentlich eher selten als „Leading man“ unterwegs. Trotzdem schlüpft er mühelos in die Rolle des Raubeins mit Herz, während man angesichts der resoluten Performance von Mary Elizabeth Mastrantonio (Scarface, Robin Hood - König der Diebe) bedauert, nicht öfter die Chance gehabt zu haben, sie auf der Leinwand zu sehen. Negativ fällt hingegen Michael Biehn (Havoc, Grindhouse) auf, der ein wenig zu sehr chargiert - hier wäre weniger mal wieder mehr gewesen. Ansonsten besteht die Besetzung aus eher unbekannten Gesichtern, wobei besonders Todd Graff als spleeniger Rattenfan und Kimberley Scott mit herzlichem Humor für angenehme Verschnaufpausen sorgen. Insgesamt ist zwar für reichlich Spannung gesorgt, angesichts der ambitionierten Thematik ist das Maß an typischen Actionsequenzen aber deutlich reduziert und die erhebliche Länge der „Special Edition“ erfordert freilich ein gewisses Sitzfleisch.
Fazit: Mit „Abyss“ legte James Cameron ein für ihn typisches Großprojekt vor. Eine phantastische Geschichte, enormer technischer Aufwand und ein stimmiger emotionaler Kern heben das Werk weit über den Genre-Durchschnitt. Gewaltige Explosionen sollten nicht erwartet werden, stattdessen bekommt der Zuschauer eine aufregende Reise ins Land der Illusionen geboten: perfektes Mainstreamkino mit Hirn, das für beste Unterhaltung sorgt, anderen Filmen des Regisseurs in nichts nachsteht und erstaunlich gut gealtert ist.