Remakes sind eine heikle Angelegenheit. Viele Klassiker haben oft mehrere Dekaden auf dem Buckel und wirken dementsprechend antiquiert. Eine technische Modernisierung mit den Mitteln der heutigen Zeit würde so manchem Film gut tun. Andererseits kommt ein solches Facelifting auch immer einer Gratwanderung gleich. Entfernt sich das Remake zu sehr vom Geist des Originals, geht dadurch in der Regel der Charme verloren, den die Vorlage noch auszeichnete. Mit dem richtigen Näschen und ein wenig Fingerspitzengefühl kommen bei einem Remake altehrwürdiger Klassiker Filme wie Steven Soderberghs „Ocean’s Eleven“ oder F. Gary Grays „The Italian Job“ heraus. Ein Musterbeispiel für ein gescheitertes Remake ist hingegen Jonathan Demmes „The Truth About Charlie“. Die Neuverfilmung von „Charade“, einem der großen Filme der 60er Jahre mit Cary Grant und Audrey Hepburn, war eine kapitale Bauchlandung. In die deutschen Lichtspielhäuser hat es der Film nie geschafft. Dass sich nun ausgerechnet wieder Demme mit „Der Manchurian Kandidat“ an einem weitern Klassiker versucht, ist nicht gerade das beste Zeichen. Doch es kann Entwarnung gegen werden. Ganz offensichtlich hat Demme aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.
Kuwait, 1991: Amerika befindet sich in der finalen Vorbereitungsphase zur Operation „Desert Storm“. Major Bennett Marco (Denzel Washington) und sein Spähtrupp und sollen vorab die Lage erkunden. Eines nachts gerät ihr Konvoi in einen Hinterhalt. Der zahlenmäßig weit überlegene Feind eröffnet das Sperrfeuer auf sie. Die Lage scheint vollkommen aussichtslos. Doch dann schlägt die große Stunde von Sergeant Raymond Shaw (Liev Schreiber). Er greift sich todesmutig eines der Bordgeschütze und schlägt den Feind quasi im Alleingang. Eine heroische Tat, für die er auf Empfehlung seiner gesamten Kompanie mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet wird.
Wir machen einen Sprung in die Gegenwart. Raymond hat sich unter der Anleitung seiner machtbesessenen Mutter Eleanor (Meryl Streep) mittlerweile dank seiner Vergangenheit als Kriegsheld zu einem der aussichtsreichsten Kandidaten auf das Amt des amerikanischen Vize-Präsidenten gemausert. Mit Bennett hat es das Schicksal in den vergangenen Jahren weniger gut gemeint. Nacht für Nacht plagen ihn seltsame, Furcht einflößende Träume. Die Ärzte des US-Militärs diagnostizieren das Golfkriegs-Syndrom bei ihm und verschreiben ihm kiloweise Antidepressiva. Doch Bennet glaubt nicht an eine psychische Erkrankung. Seine Träume empfindet er als sehr viel realer als seine Erinnerung an jenen Tag in Kuwait. Irgendetwas ist dort mit ihm und seiner Kompanie geschehen. Er ist sich nur nicht sicher was. Fest steht nur, dass dies alles irgendwie im Zusammenhang mit Raymond stehen muss.
Jonathan Demme machte sich vor allem zu Beginn der 90er Jahre mit Filmen wie „Das Schweigen der Lämmer“ und „Philadelphia“ einen Namen. Fast schien es so, als hätte sich mit ihm ein neuer Stern am Regiehimmel etabliert. Doch dann wurde es seltsamerweise ruhig um Demme. Sehr ruhig. In der Folgezeit beschränkte er sich primär auf Dokumentar- und Musikfilme wie „Storefront Hitchkock“ und „The Agronomist“ oder filmische Experimente wie „SUBWAY Stories“. Und hat sich Demme doch einmal an einem „normalen“ 08/15-Kinofilm gewagt, so geschah dies wie im Falle des eingangs erwähnten „The Truth About Charlie“ oder auch „Beloved“ mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit. „Der Manchurian Kandidat“ ist für Demme sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung und könnte ihm wieder die Tür zu den großen Geldtöpfen öffnen.
Die Besetzungsliste von „Der Manchurian Kandidat“ liest sich wie das Who is Who des amerikanischen Films. Ein Oscar-Preisträger drückt hier dem anderen die Klinke in die Hand. Nach seiner eindimensionalen Rolle des Creasy in „Mann unter Feuer“ wagt sich Denzel Washington wieder an eine etwas vielschichtigere, herausforderndere Rolle. Sein Bennett Marco ist nicht der Held des Films. So etwas wie einen Helden gibt es in „Der Machurian Kandidat“ eigentlich auch nicht. Sein Bennett Marco ist nur eine der zahlreichen tragischen Figuren des Films. Er ist ein Mann auf einer Mission: Herausfinden, was in Kuwait mit ihm und seiner Kompanie geschehen ist. Dabei handelt er zunehmend paranoid und wittert überall eine Verschwörung. Washington gelingt es gut, diese Entwicklung einzufangen. Gut, aber eben leider auch nicht mehr. Einen ganz anderen Eindruck hinterlässt hingegen Liev Schreiber. Mit ihm erweist sich das vermeidlich schwächste Glied in der Besetzungskette als große Überraschung. Alles über die Entwicklung seines Charakters käme einem Spoiler gleich. Also verkneifen wir uns an dieser Stelle jeden weiteren Kommentar. Alles überragt wird jedoch von der großartigen Meryl Streep. Ihr gelingt das Kunststück, dass der Zuschauer sie schon für das intrigierende, machtbesessene Miststück hält, bevor sie zum ersten Mal den Mund aufmacht. Eine wahrlich schauderhafte Vorstellung der großen alten Dame. Unerwartet ist auch der Auftritt von Bruno Ganz als einzige Bezugsperson Bennetts, der brandaktuell in „Der Untergang“ als Adolf Hitler eine beängstigend gute Darbietung zum Besten gab.
Handwerklich ging Jonathan Demme keinerlei Risiko ein und verpflichtete erneut seinen „Das Schweigen der Lämmer“- und „Philadelphia“-Kameramann Tak Fujimoto. Da Fujimoto sich in den vergangenen Jahren in Filmen wie „The Sixth Sense“ und „Signs“ seine Lorbeeren verdienen konnte, hinterlässt „Der Manchurian Kandidat“ erwartetermaßen auch einen hochwertigen Eindruck. Surreale Traumsequenzen und Erinnerungsfetzen wechseln sich mit knallig bunten Wahlkampfveranstaltungen und der in dunklen, schmutzigen Tönen gehaltene Suche nach der Wahrheit ab. Eine faszinierende Mischung mit symbolischem Wert in gnadenloser Konsequenz umgesetzt.
Doch auch bei „Der Machurian Kandidat“ ist nicht alles Gold, das glänzt. Kenner des Originals werden sich mitunter phasenweise im falschen Film wähnen. Dass die Szenerie vom Korea-Konflikt in den ersten Golfkrieg verlagert wurde, ist logisch und nachvollziehbar. Doch auch ansonsten wurde von den Drehbuchautoren Daniel Pyne („An jedem verdammten Sonntag“, „Der Anschlag“) und Dean Georgaris („Tomb Raider – Die Wiege des Lebens“) ziemlich viele Änderungen vorgenommen. Mitunter gar zu viele. Aus dem kommunistischen Bedrohung wurde ein Feind in den eigenen Reihen und aus dem namensgebenden Manchurian-Landstrich in Korea wurde der Milliarden-Konzern „Manchurian Global“, der leider nicht so recht in die Geschichte passen möchte und irgendwie auch reichlich überflüssig daher kommt. Auch ansonsten hat sich das eine oder andere Logikloch eingeschlichen und manch eine Handlungswendung kommt recht abrupt daher. Doch dies sind Punkte, die dem Zuschauer erst nach dem Film bewusst werden. „Der Machurian Kandidat“ wurde von Demme so straff inszeniert, dass dem Zuschauer eigentlich keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Unterm Strich ist das Ergebnis zwar kein überragender Film, doch immerhin noch ein sehr guter. Zwar hat Demme insbesondere mit „Das Schweigen der Lämmer“ bewiesen, dass er es noch besser kann, doch für ein gelungenes Comeback reicht es allemal. Welcome back, Mr. Demme!