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    Absolute Giganten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Absolute Giganten
    Von Björn Helbig

    Was wäre, wenn drei beste Freunde nur noch eine Nacht zusammen verbringen können , bevor sich ihre Wege für immer trennen? Dieser Idee widmete sich Sebastian Schipper (Ein Freund von mir) in seinen Regiedebüt „Absoluter Giganten“ von 1999 und landet mit der atmosphärischen Großstadtballade und Metapher über das Erwachsenwerden einen absolut gigantischen Volltreffer.

    Floyd (Frank Giering), Rico (Florian Lukas) und Walter (Antoine Monot jr.) wohnen in Hamburg und sind die besten Freunde. Wahrscheinlich fällt es Floyd auch deswegen so schwer, den beiden von seinem Plan zu erzählen: Er hat auf einem Containerschiff angeheuert. Nachdem er seine Bewährungsstrafe verbüßt hat, soll es losgehen. Früh am nächsten Morgen. Als Möchtegern-Rapper Rico und Autonarr Walter mit der Entscheidung ihres Freundes konfrontiert werden, macht sich zunächst große Niedergeschlagenheit breit. Doch dann beschließen die drei, das Beste aus den verbleibenden Stunden zu machen. Und so erleben die Freunde eine einzigartige Nacht in ihrer Heimatstadt.

    Neben der sich stetig steigernden Atmosphäre des „Kampfes gegen den Sonnenaufgang“ und dem sich zunehmend ins Gedächtnis spielenden Trio Giering, Lukas und Monot jr. fällt als Erstes der großartige Soundtrack auf, ja er hupft einem geradezu ins Ohr. Mit Musik von The Notwist („From Handy To Handy“, „Choc“, „Moron“, „Formiga“ „0-4“, „Echo“), Sophia („Reprise“, „If Only“), Tocotronic („Let There Be Rock“), T. Rex („20th Century Boy“) und vielen anderen scheint das, zugegeben, eine ziemlich krude Mischung zu sein, im Film ist die Zusammenstellung aber hundertprozentig stimmig. Sie gibt „Absolute Giganten“ seine Tonart und ist ein Hauptgrund für den Sog, der den Zuschauer auf so wunderbar melancholische Weise in den Film hineinzieht. Das soll auf keinen Fall so verstanden werden, als wäre die Musik das Hauptargument für den Film. Auch wenn sie innerhalb des Ganzen eine wichtige Funktion erfüllt und für viele vielleicht der am leichtesten zugängliche Berührungspunkt ist, überflügelt sie seine anderen Elemente nicht, sondern arbeitet kongenial mit diesen zusammen.

    Was den Zuschauer noch für „Absolute Giganten“ vereinnahmt – vielleicht etwas langsamer aber dafür nicht weniger wirkungsvoll als die Musik – , ist seine Bildsprache, für die Kameramann Frank Griebe (Herr Lehmann, Das Parfum) und der für diesen Film preisgekrönte Cutter Andrew Bird (Solino, Gegen die Wand) verantwortlich sind. Die Wucht der Bilder wird einem spätestens dann bewusst, wenn Floyd seinen Freunden die Abreise beichtet und ihre letzten gemeinsamen Stunden anbrechen. Es wird Nacht und der Film ganz groß. Es gibt nicht viele Werke, die es schaffen, die spezifische Atmosphäre einer solchen Stadt wie Hamburg bei Dunkelheit so gut einzufangen. Das, was Floyd, Rico und Walter bis zum Morgengrauen erleben, ist stellenweise so grandios komisch und skurril, dass man sich wegschmeißen könnte. Dabei gleitet der Film allerdings nie in Albernheiten ab. Im Gegenteil: Den schönsten Momenten, die den dreien ihre Freundschaft vergegenwärtigen, folgen auch immer wieder traurige Szenen und solche, in denen Melancholie überwiegt. Gerade diese Mischung aus Schwermut und Ausgelassenheit macht aber den besonderen Reiz von „Absolute Giganten“ aus. Wie die Stephen-King-Verfilmung „Stand By Me“ das Geheimnis eines Sommers zeigt, zeigt Schippers „Absolute Giganten“ das Geheimnis einer Nacht.

    Natürlich bekommt man es mit allerlei Karikaturen sowohl bei Personen als auch im Hinblick auf Männlichkeitssymbole wie Fußball und Autos zu tun, was aber in keiner Weise die Qualität von Schiffers Film mindert. Denn die Kunst an Karikaturen ist ja gerade, dass sie durch eine Übersteigerung der Realität bestimmte unter Umständen sonst kaum zu sehende Facetten der wirklichen Welt hervorkehrt. So ist die Überzeichnung in gewisser Hinsicht von größerer Plausibilität als die Realität. Man denke nur an das legendäre Kickermatch (das vielleicht spannendste, das je seinen Weg auf Zelluloid geschafft hat), oder die Auseinandersetzung mit den Elvis-Fans. So wie die Grundidee könnte auch die eine oder andere Situation vielleicht eine Spur unglaubwürdig wirken, aber das ist angesichts des atmosphärischen Trips, den die Freude zusammen erleben, ganz schnell vergessen. Allen Ereignissen, die die Freunde in dieser Nacht erleben, wohnt eine Magie inne, die „Absolute Giganten“ zu etwas ganz Besonderem macht.

    Auch schauspielerisch bewegt sich der Film auf höchstem deutschen Kinoniveau. Frank Giering, Florian Lukas und Antoine Monot jr. spielen ihre Rollen sehr eindrücklich und lassen trotzdem Nuancen zu, die ihre Charaktere zu plastischen, nachvollziehbaren und letztlich echten Personen machen. Frank Giering (Funny Games, Anatomie 2) spielt die Hauptrolle des Floyd angenehm introvertiert mit Hang zum Trübsinnigen und lässt den beiden anderen genug Raum, damit sie sich als echtes Trio etablieren können. Auch Antoine Monot jr. (Die blaue Grenze, Schwere Jungs) als Autonarr Walter spielt zurückhaltend und trotzdem charismatisch. Seine Figur ist damit so etwas wie der ruhende Pol des Dreiergespanns. Die eindrucksvollste Performance liefert Florian Lukas (VC Venus, Keine Lieder über die Liebe) als Plappertasche, Energiebündel und Möchtegern-Rapper Rico. Er ist der Hauptverantwortliche, wenn es um Witz und Tempo geht. Tolle Leistung! Auch wenn der Film seinen Schwerpunkt auf Floyd, Walter und Rico legt, gibt es noch eine Reihe anderer Figuren, die dem Ganzen Würze geben. Eine schöne kleine, nichtsdestotrotz wichtige Rolle, spielt Julia Hummer (Gespenster, Crazy als die junge Telsa, die gegen Ende das Trio zum Quartett erweitert oder auch Jochen Nickel (Zugvögel ... Einmal nach Inari, Schindlers Liste) als der Kickerchampion „Snake“.

    Sebastian Schipper ist mit „Absolute Giganten“ einer der Filme zum Thema (Jungen-)Freundschaft und Abschied gelungen – und das gilt nicht nur für die deutsche Kinolandschaft – und nebenher liefert er gleich noch eine atmosphärische Hamburg-Ballade mit. Der von Tom Tykwer mitproduzierte Film schärft einmal mehr das Profil des deutschen Films und zeigt, dass hier ganz unabhängig von Vorbildern aus Übersee, eindrucksvolles, stimmiges Kino gemacht werden kann. Kraft-, gefühl- und stimmungsvoll, mit Gespür für seine Figuren markiert der Film den Abschnitt des Erwachsenwerdens, in dem es ums Loslassen geht. So trifft er vermutlich nicht nur den Nerv von Menschen, die sich in Floyd, Rico und Walters Alter befinden, sondern ist weit darüber hinaus gültig.

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