Einige Male pro Jahr wir das Kino mit spektakulären, feinen Dokumentarfilmen bereichert. Ausschussware ist selten, da sowieso nur die Spitzenproduktionen den Weg auf die große Leinwand finden. Ein solches Highlight hätte auch Jonathan Nossiters „Mondovino“ werden können. Doch leider weist die Dokumentation über die Welt des Weines einige Schwächen auf, die den Gesamteindruck schmälern und aus „Mondovino“ eben nur einen guten Film werden lassen - und nicht mehr.
Der amerikanische Filmemacher Jonathan Nossiter („Signs & Wonders“) ist ein leidenschaftlicher Weinfanatiker und auch selbst Sommelier, der in den USA Restaurants beraten hat. Zur Recherche von „Mondovino“ reiste er um die ganze Welt, um die krassen Gegensätze zwischen traditionellem Weinanbau klassischer Prägung und der globalisierten Form der Gewinnung und vor allem des Vertriebs aufzuzeigen. Italien, Frankreich, die USA, Großbritannien, Brasilien und Argentinien waren seine Stationen. Herausgekommen ist eine äußerst kurzweilige Collage nicht nur über den Prozess, sondern substanziell über die Menschen, die hinter den Erzeugnissen stehen. Nossiter präsentiert knorrige Charaktere und aalglatte Global Player, deren Arroganz aus jeder Pore ihres Körpers tritt. Anhand der verschiedenen Personen zeigt der Regisseur die unterschiedlichen Schlüsselfiguren der Branche und macht klar, wie die Mechanismen funktionieren.
Das alles ist hoch unterhaltsam, auch wenn sich der Zuschauer nicht für Wein interessiert. Doch Nossiter ergreift in seiner Umsetzung ganz unverhohlen Partei für die kleinen, alteingesessenen Winzer aus Frankreich und ist in seiner Darlegung der Fakten höchst subjektiv. Das ist nichts Verwerfliches, dies tun Michael Moore („Fahrenheit 911“, „Bowling For Columbine“) und Morgan Spurlock („Super Size Me“) zum Beispiel auch, aber es sollte jedem bewusst sein, der sich „Mondovino“ anschaut.
Im Stil einer galligen Seifenoper lässt Nossiter seine Protagonisten aufeinander los. Leute wie Hubert de Montille aus Burgund oder Aimé Guibert aus dem Languedoc stehen für die alte Schule. Mit knochentrockenem Humor und sympathischer Altherren-Ironie, die nicht selten in Zynismus ausartet, wehren sie sich gegen die Globalisierung und suchen nach ihrem Platz in der Nische, die ihr Überleben sichern soll. Als Erzfeind dienen allen voran die milliardenschweren amerikanischen Weinkonzerne - wie das Imperium der Mondavi-Familie beispielsweise, welche zwar in der Spitze ebenso guten Wein produziert, aber in der Masse immer mehr Einheitsbrei auftischt. Dieser Taktik der Vereinheitlichung bedient sich auch der vielleicht weltbeste Önologe Michel Rolland, der die Weine der großen Unternehmen perfekt auf den Massengeschmack einstellt und damit Millionen verdient. Die Rolle des Weinkritikerpapstes Robert Parker wird ebenfalls kritisch beleuchtet und sein Einfluss auf den Verkauf aufgezeigt.
Das Aufeinanderprallen dieser Wein-Dynastien ist geprägt von viel Humor, die Nossiter aus den Interviews und Gegensätzen an sich bezieht. Störend wirkt allerdings die krasse Simplifizierung der Nationen. Die Franzosen - mit Ausnahme von Rolland - sind die Helden von „Mondovino“, weil sie sich nicht verbiegen lassen und an alten Werten und Traditionen festhalten. Genüsslich führt der Regisseur die Amerikaner als die großen Bösewichte vor, die sich der Gleichmachung und maßlosen Arroganz gegenüber ihren Konkurrenten schuldig machen. Die Italiener werden als schleimige Kollaborateure enttarnt, die dem Geld der Amerikaner nicht wiederstehen können. Dass die Welt so einfach schwarz und weiß nicht ist, lässt Nossiter generös unter den Tisch fallen.
Das ist jedoch im Dienste der perfekten Unterhaltung und zur Aufrechterhaltung eines dramaturgischen Rahmens nicht sonderlich tragisch. Den schlimmsten Fehler macht Nossiter bei der technischen Umsetzung seines Wein-Doku-Thrillers. Warum in alles in der Welt er das Publikum satte 138 Minuten mit einer unglaublich nervig verwackelten Handkamera traktiert, wird sein Geheimnis bleiben. Dagegen war „Blair Witch Project“ Schonkost für die Augen. Spontaneität und Atmosphäre will er damit sicherlich vermitteln, aber die hätte auch eine wackelfreie Optik erzeugen können. Zudem wäre der Film dadurch kompakter geraten, eine halbe Stunde Straffung hätte „Mondovino“ gut getan. Dabei ist die Kinoversion gegenüber der in Cannes gezeigten Fassung schon um 40 Minuten kürzer.
Inhaltlich springt Nossiter von Interviewpartner zu Interviewpartner, von Land zu Land. Die Montagetechnik ist gewöhnungsbedürftig, aber sie funktioniert prima, wenn der Zuschauer sich erst einmal mit allen Protagonisten vertraut gemacht hat. Es entsteht eine ungeheure, fast schon furiose Dynamik, die das Werk sehenswert macht. So ambivalent wie seine porträtierten Personen ist auch der gesamte Film, der dem Betrachter einen tiefen, interessanten Einblick in die Welt des Weinbaus gibt. „Mondovino“ ist eine tolle Dokumentation mit klaren Schönheitsfehlern, die vermeidbar gewesen wären - eine inspirierte Ode an den kleinen Mann, der sich nicht dem großen Kapital beugt. Beinahe brillant, aber leider nur beinahe. Wert gesehen zu werden, ist „Mondovino“ aber allemal.