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    Zeugin der Anklage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Zeugin der Anklage
    Von Ulrich Behrens

    Für Billy Wilder war Charles Laughton der größte Schauspieler, der je gelebt hat. Wilder erzählte, dass Laughton ihm Szenen vorspielte, von denen Wilder meinte, sie seien genial. Doch dann überlegte sich Laughton eine andere Version. Wieder genial. „Er hatte eine ungeheure Präsenz; eine unglaubliche Präsenz und ein wundervolles Instrument, seine Stimme. Wenn er zu den Zuschauern sprach, waren sie äußerst aufmerksam, weil sie wussten, dass er nicht nur sprach, sondern etwas sagte.” (1)

    Wilder bekam für die Verfilmung des Kriminalromans von Agatha Christie aber nicht nur Laughton, sondern auch Marlene Dietrich und Tyrone Power.

    Der brillante Londoner Strafverteidiger Sir Wilfrid Robarts (Charles Laughton) darf nur unter der Obhut der gestrengen Krankenschwester Plimsoll (Elsa Lanchester) das Krankenhaus verlassen, in dem er sich wegen eines Herzanfalls aufhalten musste. Doch obwohl noch nicht genesen, übernimmt er gegen den Willen von Miss Plimsoll von einem Kollegen die Verteidigung von Leonard Vole (Tyrone Power), der die reiche Witwe Mrs. French ermordet haben soll, die ihn zu ihrem Haupterben gemacht hatte. Vole bestreitet natürlich die Tat und beruft sich auf ein Alibi seiner Frau Christine (Marlene Dietrich). Für Sir Wilfrid taugt dieses Alibi nichts. Und als er die undurchsichtige Christine Vole kennenlernt, glaubt er um so weniger an die Verwertbarkeit des Alibis. Sir Wilfrid will Christine Vole daher gar nicht erst als Zeugin der Verteidigung im Prozess benennen.

    Als es schließlich zur Verhandlung kommt, überrascht Christine Vole alle Anwesenden als Zeugin der Anklage mit der Aussage, das Alibi sei falsch und ihr Mann der Mörder der reichen Witwe. Vole sei später an dem betreffenden Abend nach Hause gekommen, als er angegeben habe, zudem mit einem blutverschmierten Jackett.

    Doch nicht nur diese Überraschung müssen Vole und Sir Wilfrid verkraften. Christine Vole heißt eigentlich Christine Helm und ist mit Vole anscheinend gar nicht verheiratet. Und schließlich tauchen auch noch Liebesbriefe von Christine an einen Max auf, die Sir Wilfrid von einer geheimnisvollen Frau erhält ...

    Wilder inszenierte mit „Witness for the Prosecution” eines der spannendsten Justizdramen der Filmgeschichte. Der Film lebt nicht zuletzt von etlichen überraschenden Wendungen; Wilder führt den Zuschauer bis zum Schluss an der Nase herum, bis endlich klar wird, wer der Mörder ist und welche Hintergründe die Tat provozierten. Doch nicht nur die Umsetzung des von Wilder selbst geschriebenen Drehbuchs, vor allem auch die schauspielerischen Leistungen von Charles Laughton und Marlene Dietrich entfachen Spannung bis zum Schluss.

    Laughton spielt den kränkelnden, aber mit Witz und eisernem Willen über seinen Gesundheitszustand hinwegsehenden Strafverteidiger, dem es zwar nicht an Intelligenz und Einfühlungsvermögen fehlt, der aber selbst von den etlichen Wendungen des Falls immer wieder zutiefst überrascht wird, fast in seiner Berufsehre gekränkt erscheint. Ihm gegenüber stehen Marlene Dietrich als geheimnisvolle, undurchsichtige, aber mit allen Wassern gewaschene, verruchte Christine Vole sowie ein locker aufspielender Tyrone Power.

    Wilder lässt seine Hauptdarsteller die Handlung ausspielen, ausreizen bis zur nächsten Wende, bis zum Ende. „Witness for the Prosecution” ist Komödie und Gerichtsdrama zugleich. Der Film ist Hitchcock-like, doch Wilder ging mehr Risiko ein als der Krimi-Spezialist: Er ließ insbesondere Laughton dessen Rolle als Strafverteidiger bis an die Grenzen des Möglichen ausloten.

    Kaum ein Gerichtsdrama hat mich in der Filmgeschichte so fasziniert wie „Zeugin der Anklage”. Wieder ein Wilder-Streifen, bei dem alles stimmt, Schauspieler, Plot, Spannungsmomente, usw., dabei mit etlichen komödiantischen Effekten, Laughton in einer lebhaften, begeisternden Rolle, die Dietrich auf einem Höhepunkt ihrer Karriere – was will man mehr. Und im Unterschied zu Hitchcock präsentiert Wilder beide Seiten der Wahrheit.

    (1) Cameron Crowe: Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?, München und Zürich 2000, S. 30 f.

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