Sowohl der Erfolgsroman von Erich Maria Remarque, als auch Lewis Milestones Film sind klassische Beispiele dafür, wie Literatur und Film unter den Schlägen und Schnitten der Zensur oft zu leiden haben. Als der 1929 in Buchform erschienene Roman (vorher konnte man einen Vorabdruck in der „Vossischen Zeitung” lesen) 1930 eine Auflage von über einer Million verkauften Exemplaren erreichte (weltweit zu diesem Zeitpunkt 3,5 Mio. in zwölf Sprachen), war der Streit um „Im Westen nichts Neues” längst entbrannt.
Vor allem die Nationalsozialisten hetzten gegen Remarque – und dann auch gegen den Film, der in den USA z.B. 23 Wochen lang im „Central Theatre” in täglich fünf Vorstellungen Erfolge feierte. Doch bereits die Originalfassung Milestones, 150 Minuten lang, gelangte nie in irgendein Kino, weil die amerikanische Zensurbehörde bereits zehn Minuten schnitt – in „weiser Voraussicht”, dass der Film ansonsten keine Chance hätte, in Deutschland in den Kinos gezeigt zu werden. Weitere Schnitte folgten, bis der Film von der Oberprüfstelle in Berlin am 21.11.1930 freigegeben wurde.
Schon die ersten Aufführungen wurden begleitet von Stinkbombenangriffen und Schlägereien, einer Demonstration von ca. 6.000 Nazis, einer flammenden Rede von Goebbels gegen den Film, der Verteidigung des Films durch den preußischen Innenminister Severing und schließlich dem Antrag der Regierungen von Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Bayern und Württemberg (wo der Film noch gar nicht aufgeführt worden war), den Film zu verbieten, was dann am 11.12.1930 auch geschah. Die Verbotsbegründung ist übrigens lesenswert (1). Zwar wurde – nach weiteren drastischen Schnitten – 1931 für kurze Zeit der Film noch einmal freigegeben. Mit der Machtübernahme Hitlers 1933 jedoch war für Roman wie Film in Deutschland Schluss.
Auch auf der von Universal Picture herausgebrachten DVD ist nur eine Fassung von 128 Minuten zu sehen, also eine um 12 Minuten (im Vergleich zur ursprünglichen amerikanischen Kinofassung) bzw. 22 Minuten (im Vergleich zum Originalfilmmaterial) gekürzte Fassung, die allerdings die von den deutschen Zensurbehörden attackierten Szenen wohl weitgehend enthält.
Der Roman und der weitgehend werktreu inszenierte Film erzählen die Geschichte von Abitursschülern, die sich durch ihren Lehrer Kantorek (Arnold Lucy) 1914 in Kriegsbegeisterung versetzen lassen und sich freiwillig beim Militär melden. In der Kaserne treffen sie schon bald auf ihren ehemaligen Briefträger Himmelstoss (John Wray), der sie jetzt dem entsprechenden Drill zur Vorbereitung ihres Einsatzes an der Front unterziehen soll. Himmelstoss ist ein Sadist, der die jungen Soldaten durch den Dreck schleift und am letzten Abend vor ihrem Fronteinsatz ihren kurzen Urlaub bis Mitternacht zusätzlich vereitelt.
An der deutsch-französischen Front treffen Paul Bäumer (Lew Ayres), Franz Kemmrich (Ben Alexander), Behm (Walter Rogers), Albert (William Bakewill) und die anderen ihrer Klasse u.a. auf den Ostpreußen Katczinsky (Louis Wolheim), den alle „Kat” nennen, und den Hamburger Tjaden (Slim Summerville), zwei Soldaten, die wissen, wie man sich im Krieg verhalten muss, und den jungen Kerlen Ratschläge geben und Anweisungen erteilen, um ihre Überlebenschancen zu vergrößern.
Schon bald findet der erste Schüler den Tod. Beim Ziehen von Stacheldraht trifft es Behm. Und kurze Zeit später leben von den 150 Männern der Einheit nur noch 70. Auch Kemmrich, der beide Beine verliert, stirbt, und seine teuren, guten Stiefel wechseln von einem Soldaten zum anderen. Die Illusion, tapfer und ruhmreich für das Vaterland zu kämpfen und zu siegen, weicht schon bald der Realität des Kriegsgeschehens. Als Bäumer einen französischen Soldaten mit dem Bajonett trifft, fragt er sich nicht das erste Mal, warum er und die anderen in diesem Krieg töten müssen. Der Soldat lebt noch eine Weile, und Bäumer erkennt, wie sinnlos das Gemetzel für ihn und die Kameraden ist. Verzweifelt bittet er den Toten um Verzeihung.
Noch sinnloser erscheint der Krieg Bäumer, als er nach einer Verletzung Fronturlaub erhält. Immer noch faseln die Honoratioren, Kantorek und auch sein Vater zu Hause vom heldenhaften Krieg. Und die Schüler, die Kantorek jetzt für den Krieg begeistern will, stellen Bäumer als Feigling hin, als er über das Grauen an der Front berichtet. Vier Tage vor dem Ende des Fronturlaubs entschließt sich Bäumer, vorzeitig wieder an die Front zu gehen, weil er die Lügen und erbärmlichen Sprüche in seinem Heimatort nicht aushält ...
Milestones Adaption des Remarqueschen Stoffes kann als der erste Anti-Kriegs-Film der Tonfilmgeschichte gelten – und das zu Recht. Erstaunlich bei der Inszenierung ist, dass Milestone ganz offensichtlich nicht die heutzutage weit verbreitete These vertritt, man müsse möglichst viel Kampfgeschehen zeigen, um dem Publikum die Grausamkeit des Krieges zu demonstrieren. Der Film zeigt zwar etliche Szenen von der Front, sterbende Soldaten und einschlagende Granaten – aber Milestone legt das Hauptgewicht auf die Darstellung und Veränderung der Charaktere im Verlauf der Handlung sowie auf die entscheidenden Etappen der Herstellung von Kriegsbereitschaft und des für die Kriegsführung so enorm bedeutsamen Ausgeliefertseins der Soldaten.
In der Schule wird Kriegsbereitschaft erzeugt. Draußen marschieren die ersten Soldaten, umsäumt von einer jubelnden Menge, drinnen faselt der Lehrer davon, wie ruhmreich es sei, für das Vaterland zu sterben. Danach beginnt der Drill in der Kaserne mit den Worten von Himmelstoss: „Das erste, was ihr tun müsst, ist, alles zu vergessen, was ihr jemals gewusst oder gelernt habt, was ihr werden wolltet. Ihr seid jetzt nur noch eines: Soldaten, und das ist alles. [...] Ich mache entweder Soldaten aus euch, oder ich töte euch.”
Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um die jungen Männer an die Front zu schicken. In der zweiten Phase ergreift sie Ernüchterung, und der Realitätssinn bestimmt ihr Handeln. Nur wenige Freuden – ein Flirt oder mehr mit drei französischen Frauen, eine doppelte Ration Essen, nachdem die Hälfte der Truppe bereits tot ist, ein paar Zigaretten und der Zusammenhalt, den Kat und Tjaden bewirken – können kurze Zeit davon ablenken, dass sie alle dem Tod geweiht sind. Ihr unmittelbarer Eindruck ist geprägt von einer völlig undurchsichtigen Situation an der Front und einer unüberschaubaren Kriegssituation. Ihrem Ausgeliefertsein können die jungen Männer nur wenig entgegensetzen. Man verprügelt (noch vor dem Fronteinsatz) den Schinder Himmelstoß, der sich später im Krieg als jämmerlicher Feigling präsentiert und stirbt, man fragt sich, wie Kriege eigentlich entstehen und wer von ihnen profitiert (s. obigen Dialog) und man versucht, dem Rat Kats zu folgen, „das beste” draus zu machen, um selbst zu überleben.
Als Bäumer den französischen Soldaten schwer verletzt, gerät der Defaitismus des jungen Soldaten hart an die Grenze, an der jemand aufgeben, desertieren würde oder sich selbst töten lässt. Doch Milestone will nicht die wenigen zeigen, die sich dazu entschlossen zu desertieren. Er zeigt den „normalen” Kriegsalltag von jungen Männern und wie der Krieg ihr Denken und Fühlen verändert.
Dem Film wurde später vorgeworfen, er stelle die deutschen Soldaten zu positiv dar. Doch dieser Vorwurf trifft den Film nicht. Denn es geht in Roman wie Film eben gerade nicht um Nationalismen, Sieger und Besiegte, Gut und Böse, sondern um die angedeuteten Mechanismen, denen alle Soldaten, auf welcher Seite auch immer, unterworfen werden, und die Veränderungen, die dies in ihrem Denken und Fühlen ausmacht.
Erwähnenswert ist im Übrigen noch, dass Milestone das Kriegsgeschehen ausschließlich aufgrund etlicher Fotografien aus dem ersten Weltkrieg und einiger Berichte von Soldaten in Szene setzte. Weder er, noch Remarque konnten auf eigene Kriegserfahrungen zurückgreifen. Remarque wurde schon kurz nach Abkommandierung an die Front 1917 verletzt und verbrachte den Rest des Krieges in einem Lazarett. Es gab im übrigen keine Filmaufnahmen über das Kriegsgeschehen im ersten Weltkrieg, da die Kameras zu groß und schwer waren und zudem die Heeresführungen es nicht gerne sahen, wenn die Gräuel des Krieges für die Nachwelt fotografiert werden sollten.
Umso erstaunlicher sind die im Film gezeigten Szenen, die übrigens später in mehreren Fällen für Dokumentarfilme verwendet wurden, obwohl sie nicht das Kriegsgeschehen im ersten Weltkrieg zeigen, aber die einzigen (pseudo-)„realistischen” Aufnahmen waren, die dafür herhalten konnten. Auch das Publikum, wurde berichtet, war tief beeindruckt von diesen Kriegsbildern.
Die von Universal herausgebrachte DVD enthält den gekürzten Film (128 Minuten). Warum Universal nicht auf eine 1984 durch Jürgen Labenski für das ZDF durchgeführte Rekonstruktion des Films zurückgegriffen hat (135 Minuten), ist mir nicht bekannt. Labenski nannte als Grund für die Zensurmaßnahmen übrigens auch, dass 1930 der Vorspann geschnitten wurde, weil dort etliche jüdische Mitarbeiter namentlich genannt waren. Der Regisseur selbst, der aus der Nähe von Odessa stammte und 1913 über Belgien in die USA ausgewandert war, war selbst jüdischer Abstammung (er wurde als Lev Milstein geboren). (2)
(1) Auszug aus der Verbotsbegründung:
„Eine so ausgesprochen einseitige Darstellung, die die ganze Krassheit des Krieges und seine menschlichen Schwächen nur und ausschließlich auf deutscher Seite sucht und findet und jedes ethische Moment auf deutscher Seite bewusst vermissen lässt, wird von weitesten Volkskreisen, die Kriegsteilnehmer gewesen sind, ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit als Verhöhnung empfunden. Eine solche Darstellung wird dem Gemütsleben einer Generation des deutschen Volkes, die in diesem Krieg gelitten und ihr Leben gelassen hat, so wenig gerecht, dass es verständlich erscheint, wenn sie laute Proteste auslöst. Insoweit befindet sich die Oberprüfstelle in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Sachverständigen des Reichswehrministeriums [...], dass der vorliegende Bildstreifen nicht der Film des Krieges, sondern der Film der deutschen Niederlage ist. [...] Mit der Würde eines Volkes wäre es nicht vereinbar, wenn es seine eigene Niederlage, noch dazu verfilmt durch eine ausländische Herstellungsfirma, sich vorspielen ließe, Es würde im Ausland nicht verstanden und als Billigung der bösartigen Originalfassung dieses amerikanischen Filmwerks angesehen werden, wenn dieser Bildstreifen, für den deutschen Gebrauch zurechtgestutzt, über die Leinwand deutscher Lichtspielhäuser laufen würde.”
Zit. nach: www.remarque.uni-osnabrueck.de
(2) Vgl. zu Milestone z.B.:
Weitere Informationen zum Film:
Deutsches Filminstitut: