Die Zeiten, in denen Kreativität noch eine der vorherrschenden Eigenschaften des Filmgeschäfts war, sind lange vorbei. Gesetzt wird auf das, was sicher ist und sich bei der breiten Masse bewährt hat. Nur kein Risiko eingehen und dabei Geld kaputt machen. Das Ergebnis ist viel beliebig austauschbarer Einheitsbrei ohne großen bleibenden Wert. Massenware von der Stange. Doch es gibt sie noch. Diese kleinen, wundervollen Filme, die gänzlich unerhofft auftauchen und einen nicht mehr loslassen. Filme wie Zach Braffs zutiefst berührender Indie-Hit „Garden State“.
Mit seiner Vergangenheit hat Andrew Largeman (Zach Braff) schon lange abgeschlossen. Mit seiner Gegenwart allerdings auch. Für eine TV-Produktion hatte er einmal einen geistig zurückgebliebenen Quarterback gespielt - sein einzig nennenswerter Job als Schauspieler. Über Wasser hält er sich als Kellner bei einem Asiaten. Ansonsten plätschert sein Leben dahin und an ihm vorbei. Seine Wohnung ist spartanisch eingerichtet: Weiße Wände, weißes Bett. Mehr Möbel besitzt er nicht. Sein Psychiater hat ihm viel zu starke Medikamente verordnet, als dass er noch Freude an irgendwas empfinden könnte. Dann erhält er einen Anruf von seinem Vater Gideon (Ian Holm) - seine Mutter hat sich selbst umgebracht. Also macht er sich auf in sein Heimatstädtchen im Garden State New Jersey, wo es gilt, die Vergangenheit aufzuarbeiten und die Zukunft zu entdecken.
Der Name Zach Braff dürfte hierzulande den Allerwenigsten ein Begriff sein. Bekannt ist er allenfalls als Dr. John Dorian aus der eher mäßigen TV-Serie „Scrubs“. Dass er dort jedoch chronisch unterfordert ist, hätten sicherlich nicht viele vermutet. Allein und im Geheimen werkelte er am Drehbuch zu „Garden State“. Ein absoluter Glücksfall für seine Karriere! Was Braff hier zu Papier brachte, ist keine der üblichen “Coming Of Age“-Dramen. „Garden State“ ist viel mehr eine Geschichte über das Leben selbst. Ein Sammelsurium voller faszinierender Charaktere - gleichermaßen amüsant wie bewegend. Und da Braff noch über viel mehr brach liegendes Potential verfügt, übernahm er mal eben noch kurz die Regie und die männliche Hauptrolle. Kurz gefasst: Er ist in jeder Hinsicht eine absolute Offenbarung und schon jetzt eine der Entdeckungen des Jahres.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Andrew. Warum er vor neun Jahren in seiner Heimatstadt alle Zelte abbrach, in die weite Welt zog und keinerlei Kontakt mehr pflegte, das erfährt der Zuschauer erst nach und nach. Stück für Stück wird klar, wie Andrew der Mensch wurde, der er nun mal ist. Welche Rolle sein undurchsichtiger Vater dabei spielt, ist eines der Geheimnisse von "Garden State". Zu Beginn wird nur Gideons Behauptung in den Raum geworfen, dass Andrew erst einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen und sich selbst vergeben müsse, bevor er seine Zukunft in den Griff bekommen kann. Die außergewöhnliche Ausgangssituation: Papa Gideon selbst ist der Psychiater seines Zöglings (und bestimmt somit dessen Medikamentendosis). Als Andrew eigenwillig die Einnahme der Medikamente absetzt, kommt die Geschichte ins Rollen...
Bis es allerdings zur unausweichlichen Konfrontation zwischen Andrew und Gideon kommt, steht anderes auf dem Programm. Auf der Beerdigung seine Mutter trifft Andrew zum ersten Mal seit langer Zeit seinen alten Jugendfreund Mark (Peter Sarsgaard) wieder. Dieser wohnt zwar immer noch bei seiner Mutter, hat allerdings ein außergewöhnliches Talent darin entwickelt, mit möglichst wenig Arbeit möglichst gut über die Runden zu kommen und möglichst viele Partys zu feiern. Im Krankenhaus lernt Andrew bei einer Routine-Untersuchung die notorische Lügnerin Sam (Natalie Portman) kennen. Eine im Grunde ebenso einsame Seele wie er. Mit einem gravierenden Unterschied: Sie bejaht das Leben in allen Punkten und fühlt sich sofort zu dem ungewöhnlichen Sonderling hingezogen.
Neben den herrlichen Charakteren ist es die Fülle skurriler Geschehnisse, die „Garden State“ auszeichnet: Angefangen bei der Tante, die Andrew ein T-Shirt in Tapeten-Muster anfertigt, über Hamstermassengräber bis zu einem Bootshaus auf der Spitze eines Berges. Die originellen Einfälle, die Braff in dieser einen Geschichte miteinander vereint, sucht man in den gesammelten Vita anderer Kollegen vergebens. Und "Garden State" ist sein Drehbucherstling! Sich selbst übertrifft BRaff immer dann, wenn er Andrew und Sam aufeinander treffen lässt. Was sich hier entwickelt, ist keine der üblichen, ausgelutschten Romanzen. Braff schrieb für diese Beziehung einige der brillantesten Szenen des Films. Andrews erster Besuch bei Sam beispielsweise. Oder auch das ergreifende Geschehen am offenen Kaminfeuer im Anschluss an eine Poolparty.
„Garden State“ lebt vom in jeder Hinsicht phantastischen Spiel der einzelnen Darsteller. Von Braffs übertriebenem, aufgesetzten Auftreten in der Krankenhaus-Groteske „Scrubs“ ist nichts mehr übrig geblieben. Der Mann kann schauspielern. Und zwar richtig, richtig gut. Das Unternehmen Drehbuch, Regie und Hauptdarsteller hätte schnell in die Hose gehen können. Doch diesen Drahtseilakt nimmt Braff problemlos mit Bravour. Peter Sarsgaards („Boys Don’t Cry“, „Kinsey“) Alter Ego Mark lässt sich zu Beginn nur sehr schwer einschätzen. Ihn umhüllt eine gewisse Undurchsichtigkeit, die Sarsgaard dem Publikum glaubhaft vermittelt. Natalie Portman werkelt nach „Hautnah“ weiter fleißig an ihrem Image als exzellente Mimin. Während sie in Mike Nichols' Beziehungs-Drama mit darstellerischer Brillanz und unverschämter Freizügigkeit zu fesseln wusste, ist sie in „Garden State“ einfach nur das Mädchen von nebenan. Ein sympathischer, zuckersüßer Auftritt zum Verlieben. Von der ersten bis zur letzten Minute. Das starke Ensemble wird durch Altmeister Ian Holm („Herr der Ringe - Trilogie“, „From Hell“, „The Day After Tomorrow“) abgerundet. Zwar besitzt er nur relativ wenige Szenen und hält sich zugunsten der jungen Darsteller an seiner Seite angenehm zurück, doch bei ihm sind es die kleinen Gesten, die zu überzeugen wissen.
Eine absolute Wucht und Bereicherung für den Film ist der erstklassige Soundtrack. Bekannte Acts wie Coldplay, Nick Drake oder Paul Simon finden sich ebenso darin wie unbekannte Newcomer. Die Songauswahl vereint gleichermaßen Melancholisches wie Gute-Laune-Musik. Auch absolute Ohrwürmer wie „New Slang“ von The Shins oder „Let Go“ von Frou Frou fehlen nicht. In den USA entwickelte sich „Garden State“ zu einem absoluten Indie-Sleeper-Hit. Billig gedreht für gerade einmal 2,5 Millionen Dollar hielt der Film sich monatelang in den Charts und spielte am Ende 27 Millionen Dollar ein. Vergleichen lässt sich „Garden State“ vielleicht am ehesten mit Burr Steers Geheimtipp „Igby“. Hier gibt es keine falsche, heuchlerische Hollywoodmoral. Hier wird einfach nur eine wundervolle, aus dem Leben gegriffene Geschichte mit superben Darstellern erzählt. Witzig, ironisch, zynisch, traurig, dramatisch, toll!