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    Anatomie einer Entführung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Anatomie einer Entführung
    Von Carsten Baumgardt

    1980 gründete Hollywood-Star und Regisseur Robert Redford das Sundance Institut. Seitdem hat sich das Sundance Festival als DAS Mekka für junge, talentierte Independent-Filmemacher etabliert. Das Kuriose: Der große Förderer Redford hatte bisher nicht einmal in einem Indie-Film mitgespielt. Doch das soll sich mit Pieter Jan Brugges Regiedebüt „Anatomie einer Entführung“ ändern. Das gut gespielte, psychologisch ausgereifte Entführungs-Drama glänzt mit einer erstklassigen Besetzung, leidet aber an dem gemächlichen Tempo, das zugunsten der Charakterentwicklung in Kauf genommen wird.

    Der erfolgreiche Geschäftsmann Wayne Hayes (Robert Redford) ist ein Self-Made-Millionär, der sich durch harte Arbeit nach oben gekämpft hat. Doch seine Ehe mit Frau Eileen (Helen Mirren) steht vor dem Scheitern. Eine Affäre von Hayes hat das Zusammenleben auf eine harte Probe gestellt. Als er eines Tages von einem Mann namens Arnold Mack (Willem Dafoe), der vorgibt, Hayes zu kennen, entführt wird, beginnt für alle Beteiligten ein nervenzerrendes Martyrium. Arnold will Hayes durch einen Wald zu einer Hütte bringen, um ihn dort an seine Auftraggeber zu überstellen. Eileen, Sohn Tim (Alessandro Nivola) und Tochter Jill (Melissa Sagemiller) ziehen das FBI hinzu. Agent Fuller (Matt Craven) nistet sich mit seinem Team bei den Hayes’ ein, um den Kidnappern auf die Spur zu kommen. Nach einiger Wartezeit gehen die Forderungen ein: Die Entführer wollen 9,5 Millionen Dollar in Diamanten und eine halbe Millionen Dollar in bar...

    Pieter Jan Brugge machte sich in Hollywood als Produzent von Meisterwerken wie „Heat“ und „Insider“ oder Kassenhits wie „Die Akte“ einen Namen. Nun entschied sich der Niederländer, die Seiten zu wechseln und auf dem Regiestuhl Platz zu nehmen. Sein erstes Werk ist eine scheinbar sichere Sache. Das Low-Budget-Drama „Anatomie einer Entführung“, das Anfang 2004 beim Sundance Festival uraufgeführt wurde, kostete lediglich elf Millionen Dollar - und das trotz der Starbesetzung. Brugge geht seine Geschichte, die nur vordergründig von einer Entführung handelt, langsam und bedächtig an. Er verschleppt das Erzähltempo bewusst, um seine Charaktere zu sezieren. Denn unter der Fassade der Kidnapping-Story kommt der eigentliche Kern zum Vorschein. Das Drama um die zerrüttete Ehe von Wayne und Eileen. Trotz aller Demütigungen liebt sie ihn immer noch, selbst als sie durch die FBI-Ermittlungen erfährt, dass er den Kontakt zu seiner Geliebten nie abgebrochen hat. So ist „Anatomie einer Entführung“ weniger ein spannungsgeladener Thriller, sondern vielmehr ein subtiles, kammerspielartiges Drama.

    Robert Redford („Spy Game“) und Willem Dafoe („Spider-Man“) liefern mit ihrem zurückhaltenden Spiel, das sich dem Erzähltempo anpasst, grundsolide Leistungen. Die Beziehung zwischen Entführer und Entführtem ändert sich beinahe ständig. Beide belauern sich, um möglichst einen Vorteil herauszuschlagen. Arnold versucht, mit seinem Gewissen klar zu kommen, Wayne kämpft um sein Leben. Die Männer stehen exemplarisch für zwei verschiedene Schichten der amerikanischen Gesellschaft. Auf der einen Seite, der erfolgreiche Geschäftsmann, auf der anderen der arbeitslose vom Leben Enttäuschte, der sich sein Glück durch ein Unrecht erzwingen will. Übertroffen werden Redford und Dafoe allerdings von Helen Mirren („Kalender Girls“), die als gepeinigte, aber kämpferische und mitfühlende Ehefrau glänzt. Ihre Gemütszustände sind wunderbar in ganz kleinen Gesten in ihrem Gesicht abzulesen.

    Die Story von Debütautor Justin Haythe nimmt sich viel Zeit, Details zu entwickeln. Dementsprechend ruhig und unaufgeregt ist die Inszenierung von Pieter Jan Brugge. Zum einen kommt dies der ausgefeilten Charakterisierung zugute, aber auf der anderen Seite, leidet der Erzählfluss, sodass alles ein wenig zäh wirkt. Der Clou der Geschichte ist im Grunde keiner, aber das war wahrscheinlich auch nicht beabsichtigt. Spätestens nach der Hälfte des Films wird jedem klar, auf was die Entführung hinauslaufen wird. Dabei zeigen Haythe und Brugge eine Hollywood-untypische Konsequenz ohne die der Film nicht funktioniert hätte. Ein weiterer Trumpf ist die geschickte Struktur, die Brugge aufbietet. Ab einem gewissen Zeitpunkt arbeitet der Regisseur mit Rückblenden, die auf den ersten Blick nicht als solche zu entlarven sind, sondern erst am Ende - ein sehr schöner Effekt. Die Produktionswerte sind solide, das geringe Budget ist dem Film nicht unbedingt anzusehen.

    Pieter Jan Brugge hat mit „Anatomie einer Entführung“ ein ordentliches Regiedebüt vorgelegt, dem eine straffere Dramaturgie gut getan hätte. Die kommerziellen Chancen halten sich Grenzen. In den USA spielte der Film mit wenigen Kopien sechs Millionen Dollar ein. Für einen Independent-Film ist das Werk ein Stück weit zu konventionell und für ein Mainstream-Film, der die Massen ins Kino locken soll, ist „The Clearing“, so der Originaltitel, zu behäbig. Was bleibt, ist eine Stilübung von Neu-Regisseur Brugge, der sich durch einige gute Ansätze durchaus für weitere Aufgaben empfehlen kann.

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