Eine der schlimmsten Einfälle aus Stephen Norringtons bitterlich schlechter „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ im vergangenen Jahr war die Verunstaltung von Mr. Hyde. Aus Robert Louis Stevensons dämonisch-bösartiger, im Roman ausdrücklich als zwergenwüchsig beschriebener Doppelgängerfigur – unter anderem wunderbar verkörpert von Frederic March in der 1931 gedrehten Mamoulian-Verfimung der Stevenson-Vorlage - machte Stephen Norringtons Adaption des gleichnamigen Alan-Moore-Comics ein lächerlich aufgeblasenes und geradezu schmerzhaft peinliches, quietschbuntes Blubber-Bubblegum-Monster, welches tricktechnisch schauderhaft schlecht animiert über die Dächer von Paris hüpfte. Ereilt einen ein halbes Jahr später das schicksalhafte Verhängnis, Stephen Sommers’ „Van Helsing“ goutieren zu müssen, so wird einem spätestens nach zehn Minuten Film das völlige Debakel dieses Streifens mit der Unbarmherzigkeit einer Deutschland-sucht-den-Superstar-Jury offenbart: Als würde man ein zweites Mal in einen schauderhaften Alptraum gestoßen, aus dem man gerade erst erwacht und halbwegs genesen zu sein glaubte, erscheint auf der Leinwand eben genau dieser Mr. Hyde, und das auf die exakt gleiche Art tricktechnisch vergewaltigt, misshandelt und ins Lächerliche gezogen wie erst vor wenigen Monaten in Norringtons „Liga“. Das unter der vollständig CGI-animierten Monstervisage der wunderbare Charaktermime Robbie „Hagrid“ Coltrane steckt, ist zu keiner Sekunde zu erkennen und rettet an der Auftaktsequenz ohnehin nichts mehr – ja, so grausam kann Kino sein.
„Van Helsing“, das neueste Produkt aus den Blockbuster-Laboratorien Hollywoods, ist in jeglicher Hinsicht ein Gruselfilm geworden. Gruselig, weil dieses Paradebeispiel postmoderner Plünderung und Vergewaltigung klassischer Literatur- und Filmstoffe so ziemlich alles falsch macht, was ein Film nur falsch machen kann und einen wirklich traurigen Höhepunkt in der Reihe all jener Streifen darstellt, die einen Mangel an erzählerischem Inhalt mit immer mehr Donnergetöse an Action, Ausstattungsbombast und Special Effects zu kompensieren versuchen. Bereits 2001 hatte Stephen Sommers mit „The mummy returns“ verhängnisvollen Vorschub in diese desolate Richtung geleistet. Dabei hatte er selbst noch drei Jahre zuvor gezeigt, wie man es anders und vor allem besser machen kann: Mit seinem ersten Mullbinden-Spektakel „The mummy“ hatte er im Kinosommer 1999 eine wunderhübsch atmosphärische und herrlich selbstironische Parodie auf die Gruselschinken der klassischen Universal-Ära geliefert. Auch seine zuvor gedrehte Gangster-Horror-Melange "Octalus" war eine durchaus clevere Mischkalkulationen aus altmodischem Horror-Flair, trendbewussten Schockmomenten und einem ironisch distanzierenden Humor.
Die anno 2001 in den Kinos gestartete Mumien-Fortsetzung warf jedoch diese guten Eigenschaften zugunsten einer alles niederwalzenden Tricktechnik und einer wirklich lausig schlechten Story über Bord. „Blade“-Erfinder Stephen Norrington setzte sich 2003 mit der „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ in die gleiche Spur und seinen Film genauso komplett in den Sand. Und als hätten sich die beiden Stephens miteinander abgesprochen, kredenzt uns nun der Mumien-Stephen als neuen Negativ-Rekord hirnverbrannter Drehbuch-Nichteinfälle, grottiger Special-Effects und völlig sinnloser Budgetvergeudung den Monster-Killer Van Helsing als komplett unverdauliche Mischung aus „Blade 2“, seinem eigenen Mumien-Sequel und ausgerechnet Len Wisemans prinzipiell gelungenem Werwolf-Opus „Underworld“.
Das literarische Alter Ego von Sommers’ Filmfigur, Dr. Abraham Van Helsing, unvergesslich verkörpert vor allem durch Peter Cushing in den klassischen Hammer-Filmen, später dann durch Anthony Hopkins bei Francis Ford Coppola und zuletzt von Christopher Plummer bei Wes Craven, bildete bekanntermaßen in Bram Stokers Romanvorlage und beinahe allen daraus resultierenden „Dracula“-Verfilmungen das bürgerlich-erzkonservative Bollwerk des viktorianischen Großbritanniens gegen die osteuropäische Bedrohung durch den verführerischen, frauenverderbenden Transsylvanien-Fürsten. Aus reichlich berechtigten Lizenzgründen muss dieser Van Helsing, der keinen Doktortitel, dafür aber einen Schlapphut, führt und auch sonst mit Stokers Romanfigur nicht das Allergeringste gemeinsam hat, den Vornamen Gabriel tragen, weiß wie sein postmoderner Gesinnungsgenosse Blade nichts über seine Herkunft, aber dafür bestens mit allerlei Waffen Bescheid, die er stets unter einer wallenden Lederkluft mit sich führt, um den Monstren aller Erdteile heimzuleuchten. Als Agent des Vatikans mit der Lizenz zum Coolsein entsorgt er Hexenmeister und Unholde im Dutzend billiger und stellt dabei nicht viele Fragen, allenfalls diese beiden: „Was ist es und wie kann ich es töten?“ In den Katakomben von St. Peter darf er sich nach gelungener Mission gegen den offensichtlich aus Stephen Norringtons „Liga“ entfleuchten Mr. Hyde von einem klerikalen „Q“ mit allerlei Waffen ausstatten lassen, bevor es auf die finale Mission gegen die Wurzel allen Übels, den Vampirfürsten Dracula zu Felde geht.
So weit, so traurig. Doch Van Helsings Aufbruch nach Transsylvanien, wo sich just zu diesem Zeitpunkt mit dem Grafen Dracula, dem Wolfsmenschen und Frankensteins künstlichem Menschen gleich drei klassische Universal-Monster zum CGI-animierten Stelldichein versammelt haben, bildet erst den Auftakt für das nun folgende, insgesamt 131 Minuten andauernde Zuschauer-Martyrium. Wenn es einen Preis für das peinlichste, hirnrissigste und inhaltsleerste Drehbuch gäbe, Stephen Sommers hätte ihn sicher: Was er dem Zuschauer als Story-Kompott mit den drei bekanntesten Ungeheuern aus den Tiefen des Universal-Archivs zumutet, spottet jeglicher noch so wohlwollender Beschreibung.
Da nicht einmal der rudimentäre Ansatz einer auch nur halbwegs zusammenhängenden Handlung (von Logik mal ganz zu schweigen) zu erkennen ist, schwingt Stephen Sommers in noch gnadenloserer Effektehascherei als im Mumien-Sequel den CGI-Hammer, um mit der Vorhersehbarkeit einer ZDF-„Traumschiff“-Episode, der Zuverlässigkeit eines Metronoms und dem Spannungsgehalt einer Partie Sackhüpfen auf einem durchschnittlichen Kindergeburtstag Explosionen, Monster und Mutanten abzuliefern. Da vollführen in schönster „Pearl Harbor“-Tradition irgendwelche geflügelten Vampirwesen Tieffliegerangriffe auf Mensch, Material und Kühe, zappeln Untote, Halbtote und Werwölfe an gigantischen Elektroden in enervierendem Dauer-Stroboskop-Blitzgewitter, wieseln missgestaltete, offenkundig in Ermangelung intelligenterer Einfälle bei Don Coscarellis „Phantasm“ ausgeliehene Zwerge um riesenhaft-futuristische und ständig irgendwie explodierende Laboreinrichtungen (warum, weiß eigentlich auch keiner), schwingen sich irgendwelche Personen ständig an zufällig gerade auftauchenden Drähten, Stahlseilen oder Brückengeländern durch die Lüfte, und in gewaltigen, unterirdischen Kavernen reift in schleimigen Kokons eine aus Star-Wars-Ewoks, Jurassic-Park-Raptoren und geflügelten Blade-2-Reapern geklonte Alien-Brut heran, deren Herkunft und Schicksal derart sinnbefreit ist, dass der Zuschauer die hilflosen Erklärungsversuche des Drehbuches ebenso schnell wie gründlich verdrängt. Dass Stephen Sommers nebenbei auch noch klaut, was das Zeug hält, stört zum Beispiel bei der Lichtbombe aus „Blade 2“ kaum noch. Dass er sich aber noch nicht einmal zu schade ist, den Maskenball aus Polanskis „Tanz der Vampire“ inklusive der Spiegelszene zu verhunzen, das tut wirklich weh.
Wirklich niederschmetternd ist die Maskerade des Frankenstein-Monsters, welches an Stelle seines Hirns und seines Herzens zwei lustig flackernde Glühbirnen trägt. Hätte der selige Ed Wood es doch noch erleben dürfen, wie hier Hollywood-Potentaten Millionen und Abermillionen dafür ausgeben, dem Versuch eines Grusel-Actioners das tricktechnisch minderbemittelte Flair Karloffscher B-Movie-Zeiten zu verpassen und mit ein paar idiotischen bunten Kirmes-Attraktionen zu versehen, er hätte sich verwundert die Augen gerieben und eiligst seine Radkappen-Ufos gegen bunte Glühbirnen getauscht! Untote, aller Länder vereinigt Euch und kauft Glühbirnen!
Sicher, der Anspruch dieser aus diversen cineastischen Monster-Mythen zusammengeklaubten Horror-Humoreske rangiert ohnehin nur auf dem Niveau einer handelsüblichen RTL-Vorabendserien-Folge. Aber wenigstens ein bisschen zum Lachen oder ein ganz klein wenig unterhaltsam hätte dieser minderbemittelte Clash of Monsters für ganz Arme doch wohl ausfallen können. Stattdessen tötet Stephen Sommers auch den wirklich letzten Rest von Popcorn-Atmosphäre mit einer alles lähmenden Lawine schrecklich künstlich aussehender Digitaltechnik. Alles geht unter in einer atemlosen Aneinanderreihung computergenerierter Tricksequenzen, in denen die Figuren zu reinen Stichwortgebern restlos sinnentleerter Dialogfetzen degradiert werden.
Hugh Jackman mag als Actiondarsteller der richtige Mann für Filme wie „X-Men“ oder „Swordfish“ sein, hier kann selbst er nichts mehr retten. Kate Beckinsale, die als eisige Action-Heroine in „Underworld“ überzeugte, ist als Zigeuner-Prinzessin auf High-Heels und in atemabschnürendem Mieder ein darstellerischer Treppenwitz, und David Wenham, der heroisch-tragische Gondor-Prinz Faramir aus Peter Jacksons „Lord of the rings“, treibt als lustiger Sidekick des Helden, der zeitweilig tatsächlich mit Narrenkappe umherulken muss, dem Zuschauer mehr als einmal die Tränen in die Augen. Am peinlichsten wirkt „Moulin Rouge“-Star Richard Roxburgh, der als tuntiger Vampir-Fürst mit Zöpfchen wie ein ergrauter Frank’n’Furter auf Rocky-Horror-Glitter-Revival-Tour herumkaspern muss, assistiert von (wie passend!) Kevin J. O’Connor im absolut authentischen Riff-Raff-Look.
Im Final Showdown wird „Van Helsing” unbeabsichtigt zu einem echten Lehrstück über die Vernichtung der Träume durch das multimediale Bombastkino: Alles zappelt, wabert, explodiert, zersplittert, zerplatzt oder zerfließt in Glibber und endet damit genau dort, wo jeder Versuch enden muss, das Außergewöhnliche der menschlichen Fantasie technisch reproduzieren zu wollen – eine Schreckensvision, die „Van Helsing“ ohne es zu wollen als treffsichere Analyse des eigenen Genres enthüllt. Link-Tipp: CD-Kritik „Van Helsing“-Soundtrack
BUCH-TIPP: Van Helsing – Die Nacht des Jägers. 3-8025-3374-7. Ein Roman von Kevin Ryan. Nach dem Drehbuch von Stephen Sommers. Zum gleichnamigen Kinofilm. EUR 12,90 (D), EUR 13,30 (A), SFR 23,50 Erstverkaufstag: 7. Mai 2004. Egmont vgs Verlagsgesellschaft: Rumänien im 19. Jahrhundert – Werwölfe treiben ihr Unwesen in den düsteren Wäldern Transsilvaniens. Die Bewohner müssen grausige Opfer bringen, um den Blutdurst dieser und anderer dämonischer Kreaturen zu stillen, die das Land nun schon seit vier Jahrhunderten in Angst und Schrecken versetzen. Und niemand Geringeres als Graf Dracula hält alle Fäden in der Hand. Doch Widerstand regt sich: Es gibt eine Familie, die den Schwur geleistet hat, dem Terror ein Ende zu bereiten und die dafür einen hohen Preis zahlen muss. Jetzt hängt das Schicksal des Landes, ja der ganzen Welt, von der Letztgeborenen der Valerious-Familie ab, der stolzen und schönen Anna … und von dem wohl berühmtesten aller Vampirjäger, Van Helsing, dessen Auftrag es ist, sie vor dem Tode zu bewahren! Der Graf hat einen perfiden Plan ausgeheckt. Er und seine Lakaien liegen in den letzten Zügen eines grausigen Experiments – und stehen kurz davor, die Weltherrschaft anzutreten. Ein unerbittlicher Kampf auf Leben und Tod beginnt … Eine packende Story mit alten Bekannten aus der klassischen Horrorliteratur, voller überraschender Verknüpfungen. Bestellung und weitere Information beim vgs-Verlag (www.vgs.de)