„Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ aus dem Jahre 1660 ist eines der zentralen Werke des niederländischen Malers Jan Vermeer und wie bei der berühmten „Mona Lisa“ ist sowohl die Entstehungsgeschichte als auch die abgebildete Person ein Mysterium. Das Gesicht, welches aus der Dunkelheit des Gemäldehintergrundes hervortritt, scheint sowohl Glück als auch Trauer widerzuspiegeln. Auch über das Leben des Malers aus Delft ist nur wenig bekannt. Er war verheiratet, hatte elf Kinder und unterhielt ein herrschaftliches Haus. Aufgrund seines Perfektionsdranges und seiner minuziösen Arbeitsweise schuf er nie mehr als drei Bilder in einem Jahr. In Folge dessen sind auch nur knapp 40 Bildnisse Vermeers Gesamtwerk zuzuordnen. „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ basiert auf dem gleichnamigen Roman Tracy Chevaliers, der anhand von historischen Eckdaten eine Geschichte um die Entstehung des Gemäldes webt. Der ruhige, hervorragend photographierte Film lässt dem Zuschauer viel Freiheit für Interpretationen und entwirft fernab von Hollywoodromanzen eine Geschichte zu Zeiten des Barock um Muse und Meister, Alltag und Kunst.
Delft 1665: Im goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei nimmt die 17-jährige Griet (Scarlett Johansson) im vornehmen Hause Vermeer eine Stelle als Magd an. Zu ihren Aufgaben gehört es, das Atelier des verschlossenen Künstlers (Colin Firth), welches außer ihm selbst kein Mitglied des kinderreichen Haushaltes betreten darf, sauber zu halten. Griet ist fasziniert von den Werken Vermeers, der im Laufe der Zeit eine besondere Beziehung zu ihr aufbaut und sie in die Geheimnisse seiner Kunst einweiht. Als sie schließlich sogar die kostbaren Farben herstellen darf, ist die Hausherrin mehr als ungehalten. Zudem hat der lüsterne Mäzen Vermeers (Tom Wilkinson) ein Auge auf sie geworfen.
Zusammen mit Griet schreitet der Zuschauer zu Beginn durch Delft, verfolgt wie sie das erste Mal das Haus des niederländischen Meisters betritt und in die Regeln und Geflogenheiten des Haushaltes eingeführt wird. Schon an diesem Punkt wird deutlich, dass der Film vornehmlich die Lebensweise und Stimmung in den Niederlanden zu dieser Zeit einfangen will. Die Kulissen, die Ausstattung und die Kostüme – alles wirkt sehr authentisch und wurde sehr detailreich in Szene gesetzt, so dass man sich wahrhaftig in eine Stadt des 17. Jahrhunderts zurückversetzt fühlt. Sehr viel Wert legte Peter Webber bei seinem ersten Regiewerk auf eine ausgefeilte Lichtsetzung. Selten wurde bei einem Film so präzise und kunstvoll mit Licht- und Schatteneinfall gespielt. Dieses und die sehr ruhige Kameraführung bewirken, dass man bei vielen großartig arrangierten Szenen meint, sie einfrieren und als eine der Meisterwerke des niederländischen Meisters an die Wand hängen zu können. Die Bilder des Künstlers, der vorzugsweise Alltagsszenen aus dem bürgerlichen Milieu auf seine Leinwände bannte, wurden hervorragend zum Leben erweckt. Die musikalische Untermalung, die bei den vielen sprachlosen Szenen wunderbar zur Geltung kommt, passt vortrefflich und unterstreicht die Schönheit der bildlichen Darstellung.
Obwohl sich die Geschichte nur bedächtig entwickelt und insgesamt wenig geschieht, schafft es der Film, einen feinen Spannungsbogen aufzubauen, der sich bis zum Ende erstreckt. Die Handlung konzentriert sich auf die wesentlichen Figuren und Elemente, einzig der Griet verehrende Metzgersohn wirkt überflüssig. Dass der Film trotz aller Muse, bildhafter Statik und weniger Dialoge funktioniert, ist der Verdienst des herausragenden Ensembles.
Ganz besonders die Hauptdarsteller Scarlett Johansson und Colin Firth wissen in ihren Rollen zu überzeugen und das besondere Verhältnis zwischen Magd und Künstler darzustellen. So hält sich die Beziehung wie in „Lost in Translation“ in einer faszinierenden Schwebe. Man spürt förmlich das Knistern, dass in der Luft liegt, wenn der eigensinnige Maler das Mädchen in die Welt der Kunst und der Farbherstellung einweiht. Die, seit ihrer Rolle in der in Tokio spielenden Tragikomödie, sehr gefragte Scarlett Johansson zeigt eine ausgezeichnete Leistung. Sie schafft es allein durch ihr Mienenspiel, den Zuschauer an Griets Gefühlen teilhaben zu lassen. Dank ihrer enorme Ausstrahlung wird verständlich, warum gerade Griet, die aus niederem Stande kommende Magd, den schwierigen Künstler inspiriert. Die Figur des Vermeer hingegen bleibt stets geheimnisvoll im Hintergrund, so dass das Mysterium um den Künstler gewahrt bleibt. „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ versteht sich als Sittengemälde der Niederlande des 17. Jahrhunderts und als Geschichte hinter einem Meisterwerk. Wer sich auf einen ruhig inszenierten Film einlassen kann bekommt akustisch, schauspielerisch und vor allem visuell viel geboten. Kunstgeschichte wurde noch nie so gelungen und detailreich zum Leben erweckt – ein wunderbar photographiertes Stück Filmkunst.