Dass Hollywood seit Jahren nur Dutzendware von der Stange - von eher wenigen Ausnahmen abgesehen - produziert, ist kein Geheimnis. Wie erfrischend ist es da, dass das amerikanische Independent-Kino in schöner Regelmäßigkeit kleine Filmjuwelen in die Phalanx der großen Kassenhits einschmuggelt. Im vergangenen Jahr waren dies Meisterwerke wie „Adaption" oder „Igby" und nun schickt sich Regie-Debütant Wayne Kramer an, die Saison 2004 zu eröffnen. Sein grandios gespieltes Loser-Drama „The Cooler“ ist ein Fest für Cineasten: hart, kompromisslos, einfühlsam und liebevoll zugleich.
Bernie Lootz (William H. Macy) ist das personifizierte Pech. Der ewige Loser hatte noch nie in seinem Leben auch nur ein bisschen Glück. Seine Katze läuft einfach davon, seine Pflanzen verdörren ihm und als Spieler ist er so gnadenlos gescheitert, dass er bei Kasino-Boss Shelly Kaplow (Alec Baldwin) seit Jahren in der Kreide steht. Der Besitzer des „Golden Shangri-La“ in Las Vegas macht sich Bernies notorisches Pech zunutze. Er lässt ihn in seinem Kasino als „Cooler“ arbeiten. Bernie bringt den Menschen Pech, er braucht sie nur zu berühren und ihre Glückssträhne endet. Doch als sich Bernie überraschend in die Kellnerin Natalie (Maria Bello) verliebt, wendet sich das Blatt. Plötzlich bringt Bernie den Spielern Glück und Shelly, ein skrupelloser Tycoon alter Schule, verliert viel Geld. Außerdem sitzt ihm noch Larry Sokolov (Ron Livingston) im Nacken, der aus dem Kasino ein modernes Disneyland machen will. Deshalb kann Shelly nicht auf einen Bernie in Höchstform verzichten. Koste es, was es wolle.
„The Cooler“ ist eines jener Glücksfälle, wie sie im Kinojahr nur ein paar Mal vorkommen. Regie-Novize Wayne Kramer ging mit einem minimalen Budget von drei Millionen Dollar und einem exzellenten Drehbuch an den Start. So konnte er sein Low-Budget-Drama auch erstklassig besetzen. William H. Macy, der schon in Fargo, „Boogie Nights" und „Magnolia" als klassischer Loser brillierte, erweitert seine Stammrolle um eine weitere Schlagzahl. Sein Bernie Lootz ist der scheinbar größte Pechvogel, den es gibt. Mit schleppendem Gang, das kaputte Bein nachziehend, schlürft er mit gesenktem Blick wie ein geprügelter Hund durch „The Cooler“. Aber auch wenn Bernie nur Pech hat, ist er dennoch ein liebenswerter, sympathischer und ehrlicher Mensch. Als er sein unerwartetes Glück mit der Kellnerin Natalie findet, kommen diese Charakterzüge voll zur Entfaltung. Macy variiert seine Paraderolle zwar nur und treibt sie auf die Spitze, aber das in einer Brillanz, die sehenswert ist.
Überraschender ist da schon die exzellente Leistung von Maria Bello („Das geheime Fenster", „Auto Focus", „Coyote Ugly"). Die 37-Jährige, die eine hoch verdiente Golden-Globe-Nominierung einheimste (und bei den Oscars zu unrecht übergangen wurde), überzeugt als White-Trash-Kellnerin Natalie mit großer Wandlungsfähigkeit. Sie kann die ganze Bandbreite der Empfindungen ihres Charakters ausgezeichnet transportieren. Sie ist sich auch nicht zu schade - für amerikanische Verhältnisse – sehr gewagte Nacktszenen zu spielen. Selbst vor der im allzu prüden Amerika gefürchteten „full frontal nudity“ schreckt sie nicht zurück und zeigt sich komplett entblößt. Das verleiht dem Film zusätzliche Glaubwürdigkeit und führt dazu, dass die Sexszene zwischen Macy und Bello zu den realistischsten im US-Kino überhaupt zählt. Dabei hat der ungelenkte Bernie nach langer Pause alle Mühe, sich wieder auf dem Gebiet zurecht zu finden. Gerade diese Offenheit stärkt den Realitätsbezug und hat nichts von der hochglänzenden Gelacktheit, die Hollywood sonst an den Tag legt.
Neben den beiden dreht ein anderer in „The Cooler“ ganz groß auf und nutzt den Film, ein nicht mehr erhofftes Comeback zu starten: Alec Baldwin („...und dann kam Polly", „Pearl Harbor"). Jahrelang in kleinen Nebenrollen und TV-Produktionen abgetaucht, feiert der Älteste der Baldwin-Sippe eine glorreiche Wiederauferstehung. Trotz der hervorragenden Leistungen von William H. Macy und Mario Bello überragt Baldwin beide noch um Nuancen. Er spielt seinen Tycoon, der die Probleme nach alter Schule mit einem Baseballschläger oder einer Eisenstange löst, mit einer derartigen Ambivalenz, dass es dem Zuschauer nicht leicht fällt, den skrupellosen, furchteinflößenden Gewalttäter nicht zu mögen. Selbst in Szenen kompromissloser Härte offenbart Baldwin als Shelly immer noch ein Fünkchen Gewissen, das ihm Sympathien einbringt. Er hält sich an die alten Traditionen und sträubt sich dagegen, aus seinem eigenen „Paradies“ ein pervertiertes Disneyland machen zu lassen. Dass Baldwin tatsächlich grandios spielen kann, ließ er bisher nur einmal – in famosen Makler-Drama „Glengarry Glen Ross" – aufblitzen. Mit „The Cooler“ holte er sich späte, aber verdiente Lorbeeren, wurde für einen Golden Globe und einen Oscar nominiert. Er steht der großartigen Performance von Tim Robbins, der mit „Mystic River" den Academy Award gewann, in nichts nach und hätte die Auszeichnung gleichermaßen verdient gehabt.
Auch die Nebenrollen sind perfekt besetzt. Ron Livingston gibt den Kasino-Investor Larry als aalglatten Emporkömmling, lässt aber auch durchblicken, dass er zu Härte fähig ist. Arthur J. Nascarella hat als Nicky Bonnatto, der im Hintergrund die Fäden zieht und versucht, die Wogen zwischen Shelly und Larry zu glätten, einen großen Auftritt. Als ihn ein Kasino-Besucher verhöhnt, lächelt er kurz und schlägt ihn anschließend brutal zusammen. Überhaupt schreckt „The Cooler“ nicht vor eruptiver Gewalt zurück. Wo sich Mainstream-Produktionen mit Rücksicht auf die Altersfreigabe selbst filmisch prostituieren, geht Kramer volles Tempo. Wenn Shelly in Aktion ist, knacken die Knochen. Das erhöht die Intensität des Films und den Pulsschlag der Besucher, die mit diesen eingestreuten Szenen gnadenlos attackiert werden.
„The Cooler“ zeigt nicht die glitzernde Metropole Las Vegas, sondern das, was sich dahinter verbirgt: ein Abgesang auf das alte Vegas. Realistisch, unbarmherzig und ungeschminkt präsentiert der Regisseur seine Protagonisten. Der Charakter Macys ist sicherlich um einen beinahe märchenhaften Zug überhöht, aber den Bezug zur Realität verliert er nicht. Der Film glänzt nicht nur als reines Drama und Thriller, überzeugt auch als wundervoll schräge Liebesgeschichte und Parabel über Glück und Unglück, über das Leben in seinen verschiedenen Facetten. Dazu hat das brillante Drehbuch einige starke Wendungen zu bieten, auch wenn die erste zur Hälfte des Films bei genauem Mitdenken zu erahnen ist. Wayne Kramer gelang mit „The Cooler“ ein unaufdringliches, aber dennoch mitreißendes Meisterwerk, das jedem zu empfehlen ist, der von den überproduzierten Hollywood-Blockbustern der Neuzeit gelangweilt ist - kleines Kino ganz groß.