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    Mary Poppins
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Mary Poppins
    Von Andreas Staben

    Wenn ein Film nicht nur regelmäßig in Umfragen und Bestenlisten über die beliebtesten Werke der Familienunterhaltung genannt wird, sondern auch der zentrale Bezugspunkt einer ganzen „Simpsons“-Folge („Das magische Kindermädchen“) ist, dann handelt es sich zweifelsfrei um einen Klassiker. Walt Disney selbst betrachtete seine Produktion „Mary Poppins“ von 1964 als ein Vermächtnis seiner Arbeit. Und in der Tat offenbart das Fantasy-Musical, dessen Regie Disney Robert Stevenson anvertraute, das einmalige Gespür des Unterhaltungsgiganten für Talente vor und hinter der Kamera, für das Geschichtenerzählen mit den neuesten technischen Möglichkeiten und für den Publikumsgeschmack. Die Buchvorlagen der englischen Autorin P.L. Travers wurden in eine typische Disney-Geschichte mit mitreißender Musik und Choreographie sowie einer in Filmmagie verpackten Botschaft verwandelt. Und Julie Andrews („The Sound of Music“, Plötzlich Prinzessin) erlangte als „Mary Poppins“ gleich mit ihrem Filmdebüt unvergänglichen Ruhm und einen Oscar.

    London, um 1910. Michael (Matthew Garber) und Jane Banks (Karen Dotrice) werden von ihren Eltern vernachlässigt. Mr. Banks (David Tomlinson, „Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett“) ist ein Bankangestellter, in dessen striktem Tagesablauf die Kinder kaum Platz haben, und Mrs. Banks (Glynis Johns, „Der endlose Horizont“) verwendet ihre Zeit hauptsächlich für ihren Kampf um das Frauenwahlrecht in der Suffragetten-Bewegung. Die Kinder vergraulen ein Kindermädchen nach dem anderen, ehe sich der Wind dreht und buchstäblich Mary Poppins (Julie Andrews) ins Haus geflattert kommt. Sie erobert die Herzen von Jane und Michael im Nu. Gemeinsam mit Bert (Dick van Dyke, „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“, Nachts im Museum), einem Freund Marys, erleben die Kinder die erstaunlichsten Abenteuer und natürlich erfüllt die Nanny auch ihre eigentliche Mission: Sie öffnet den Eltern die Augen und bringt das Familienleben der Banks' wieder in Ordnung.

    Walt Disney hat mehr als 20 Jahre lang versucht, die Rechte an Pamela Travers' Geschichten zu erwerben. Erst 1959 gab die resolute Autorin wegen sinkender Verkaufszahlen der Bücher nach. Obwohl sie sich als Beraterin das Recht vorbehielt, dem Drehbuch grünes Licht zu geben, war Travers mit dem fertigen Film nicht zufrieden. Neben der Musik störte sie sich hauptsächlich daran, dass ihre weitgehend unverbundenen märchenhaften Episoden bei Disney mit der Mission der Familienversöhnung eine dazugedichtete Klammer erhalten haben. Diese Entscheidung verleiht dem über zweistündigen Film nicht nur Struktur, der Produzent eignete sich so auch diesen Stoff an. Der Song „A Spoonful of Sugar“ kann dabei fast als emblematischer Ausdruck für die Methode des virtuosen Massenunterhalters verstanden werden. Das Einnehmen bitterer Medizin wird den Kindern versüßt und aus dem Zimmeraufräumen wird mit Zauberei ein Spiel gemacht: „In every job there is a bit of fun.“ Eine pädagogische Botschaft, die im weiteren Sinn große Teile im Schaffen des 1966 verstorbenen Disney kennzeichnet und der auch seine Erben weitgehend treu sind. Sie entführen uns aus unserem Alltag und vermitteln gleichzeitig Werte wie Familie, Heimat und Verantwortung.

    „Mary Poppins“ ist ohne Zweifel ein Produzentenfilm. Das Genie von Walt Disney zeigt sich bei diesem Film besonders bei der Wahl der Mitarbeiter. Ein erster Glücksgriff war die Entscheidung für das Brüderpaar Richard und Robert Sherman als Komponisten. Das Duo entwickelte den Stoff gemeinsam mit Don DaGradi, es zeichnete für alle Songs und Liedtexte verantwortlich. Von über 30 komponierten Titeln fanden etwa zwei Drittel den Weg in den fertigen Film, darunter etliche Ohrwürmer und Evergreens wie das oscargekrönte Schornsteinfegerlied „Chim Chim Che-ree“. Die Shermans orientierten sich am lebhaften und eingängigen Stil von Vaudeville-Musik, womit sie die Handlungszeit reflektierten. Zudem erhielt jede Figur ein eigenes Thema oder Leitmotiv, was die Einheit des Films verstärkte, der auch die Arbeit des Regisseurs Robert Stevenson verpflichtet ist. Dessen Anteil an dem so natürlichen wirkenden Fluss der Erzählung wird häufig übersehen. Stevenson hatte in den 30ern und 40ern einige atmosphärisch bemerkenswerte Filme gedreht, darunter die „Jane Eyre“-Verfilmung „Die Waise von Lowood“ mit Orson Welles. Später wurde er zu Disneys Spezialist für Realfilme und zeichnete für bekannte Familienunterhaltung wie „Der fliegende Pauker“, „Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett“ und „Ein toller Käfer“ verantwortlich.

    Voll zur Entfaltung kommt Musik natürlich erst durch die Interpretation und oft auch durch die visuelle Umsetzung. Dabei erweist sich der gefühlvolle Vortrag der perfekten Sängerin Julie Andrews beim Schlaflied „Stay Awake“ oder bei Walt Disneys Lieblingssong „Feed the Birds“ wenig überraschend als besonders wirkungsvoll, aber auch der musikalisch untrainierte David Tomlinson gibt seinem „The Life I Lead“ mit einer Art Sprechgesang den für seinen Part als pflichtbewusster Patriarch passenden Ausdruck. Berühmt geworden ist die Kombination von Realfilm und Zeichentrick in der Nummer „Jolly Holiday“, in der Julie Andrews und Dick van Dyke mit kellnernden Pinguinen und allerlei animiertem Getier interagieren. Für die damalige Zeit sehr aufwändige Spezialeffekte werden auch bei „I Love to Laugh“ eingesetzt. Hier finden sich Erwachsene und Kinder vor Lachen buchstäblich unter der Zimmerdecke wieder, das Teetrinken wird prompt in luftige Höhen verlegt. Technische Meisterschaft und erzählerische Finesse geben selbst dieser an sich recht albernen Sequenz Charme.

    Ein absoluter Höhepunkt des Films ist das insgesamt 14 Minuten lange, mitreißende Ballett der Schornsteinfeger auf den Dächern Londons und im Haus der Banks. Hier wird akrobatisch in der Selbstgenügsamkeit des Musicals geschwelgt. Der fantasievolle, künstliche Look der Stadt kommt hier ebenso zur Geltung wie die tänzerischen Talente von Fernsehstar Dick van Dyke. Diese Agilität ist auch ein köstlicher Kontrast zur zweiten Rolle van Dykes im Film. In fast unkenntlich machender Maske zelebriert er als greiser Bankdirektor Mr. Dawes sr. den Versuch, eine Treppenstufe hinabzusteigen mit komischem Effekt. Irgendwann kann er sich zu den Worten „Stürzen eines Tages Englands Banken, stürzt England“ nicht mehr auf den Beinen halten. Bei aller Zeitlosigkeit des Films hat die Szene in der Bank auch dank einer sympathischen Wendung in der aktuellen Wirtschaftskrise einen besonderen Nachhall.

    „Mary Poppins“ ist ein Klassiker der guten Laune und tatsächlich so gut wie vollkommen, „practically perfect“ wie die Titelheldin von sich selbst sagt: vor allem in der Originalfassung erstaunlich frisch gebliebene Unterhaltung mit kaum merklichen Längen in bester Walt-Disney-Tradition. Um es mit Mary Poppins' Lieblingswort zu sagen: Supercalifragilisticexpialigetisch!

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