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    Der Einzelgänger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Einzelgänger
    Von Björn Becher

    „I’ve reached a turning point in my life“, singt die „Mighty Joe Young Band“ in einer Bar nach ziemlich genau einer halben Stunde im Film „Thief“. Um das Erreichen jenes „turning point“ im Leben des Einbrechers Frank (James Caan) geht es in Michael Manns Kinodebüt, das in Deutschland den nicht unbedingt passenden Titel „Der Einzelgänger“ verpasst bekam. Frank ist Chicagos Meisterdieb und hat sich auf Juwelen spezialisiert. Er vertraut nur seinem Partner Barry (James Belushi in seiner ersten Filmrolle), der ihm hilft, die Zielobjekte auszukundschaften und die Einbrüche durchzuführen.

    Doch nach dem letzten Streifzug ändert sich vieles für Frank. Nach der Übergabe der gestohlenen Ware an seinen Hehler und vor dem Erhalt der dafür vereinbarten Kaufsumme, stirbt der Hehler auf unnatürliche Art und Weise und Franks Geld landet bei einem der Handlanger des Gangsterbosses Leo (Robert Prosky). Dieser überredet Frank, der bisher immer nur auf eigene Rechnung gearbeitet hat, zu einem Auftragseinbruch. Einmal nur, so verspricht es Leo zumindest, soll er für ihn arbeiten und kann damit eine Million verdienen.

    Es könnte jener „turning point“ im Leben von Frank sein. Gerade hat er auf Anraten seines Ersatzvaters, des alten Einbrechers Okla (Willie Nelson), seiner Freundin Jessie (Tuesday Weld) die Wahrheit über seine Arbeit gesagt und sie will ihn trotzdem heiraten. Gemeinsam wollen sie ein Kind adoptieren, was aufgrund von Franks früherem langjährigem Gefängnisaufenthalt auf dem normalen Behördenweg nicht geht, der einflussreiche Leo aber deichseln kann. Gerade hat er auch Okla dessen letzten Wunsch erfüllt. Er hat sich einen bestechlichen Richter zunutze gemacht und den todkranken Okla aus dem Gefängnis frei bekommen, so dass dieser in Freiheit sterben kann.

    Gerade jene Szenen zwischen Frank und Okla, den der Countrysänger Willie Nelson (Wag The Dog) hervorragend mimt, zeigen, was eine Art von Charakter Frank ist. Trotz seines Berufes ist er ein ehrlicher und ehrenhafter Mann. Frank haut niemanden übers Ohr und erwartet auch, dass man ihn nicht übers Ohr haut. Wer ihn hereinlegt, bezahlt dafür allerdings bitterlich, wer sein Freund ist, kann sich sicher sein, dass Frank ihm immer helfen wird. Er verachtet die korrupten Richter, die für lumpige 6.000 Dollar jemandem die Haftstrafe erlassen, macht sie sich aber auch zunutze.

    Noch mehr Verachtung hat er aber für korrupte Polizisten übrig und genau mit jenen bekommt er es zu tun. Je intensiver er und Barry sich mit dem Auskundschaften des von Leo genannten Zielobjekts beschäftigen, desto mehr sind ihm die Polizisten auf den Fersen. Eine größere Gruppe korrupter Beamter unter der Führung von Urizzi (John Santucci) setzt ihm schließlich immer mehr zu, bedroht ihn und schlägt ihn sogar zusammen. Man weiß, dass er einen großen Coup plant und will zehn Prozent von den Einnahmen abhaben, dafür hält man ihm den Rücken frei.

    Michael Mann nimmt sich viel Zeit, um die ganzen Facetten der Geschichte darzustellen. Mit vielen brillanten Szenen zeigt er die Verhältnisse zwischen Frank und der Gruppe von Polizisten, zwischen Frank und seiner Freundin, Frank und Barry, Frank und Okla sowie Frank und Leo auf. Manns Kinodebüt ist dabei schon von seinem typischen Erzählstil geprägt, der auch seine viel bekannteren Filme, wie vor allem Heat (1995 mit Al Pacino, Robert DeNiro) bestimmen sollte: Zwar sehr ruhig und sehr ausführlich, aber niemals langweilig, sondern immer hochspannend und in den richtigen Momenten mit viel Tempo und Action versehen.

    Auch die Inszenierung ist Mann-typisch. Viele Szenen spielen in der Dunkelheit, auch porträtiert der Film eine Stadt. Wo in vielen von Manns späteren Filmen Los Angeles so etwas wie ein weiterer Hauptdarsteller ist, übernimmt hier Chicago diese Rolle und wird einige Male wunderbar eingefangen. Größtes Highlight der Inszenierung sind aber die beiden großen Einbrüche. Gleich zu Beginn in den ersten Sekunden wird man in einen solchen geworfen und lernt Frank kennen. Schließlich folgt natürlich gegen Ende der große Beutezug für Leo. Die Einbrüche werden sehr detailliert geschildert, so dass man merkt, dass sich Mann intensiv mit der Materie beschäftigt hat und dies möglichst realistisch darstellen wollte. Dazu beigetragen hat sicher, dass der Film lose auf dem Roman „The Home Invaders“ des Einbrechers Frank Hohimer beruht und dass Mann zudem den ehemaligen Profidieb John Santucci und den ehemaligen Polizisten Dennis Farina als Berater hinzuzog. Beide bekamen zudem Nebenrollen in dem Film, wobei interessanterweise Dieb Santucci einen Polizisten spielt und Polizist Farina einen Gangster. Farina hat mittlerweile auch eine beachtliche Schauspielerkarriere hingelegt und unter anderem in Filmen wie Snatch, Out Of Sight und „Get Shorty“ in Nebenrollen geglänzt.

    Die Besetzung ist ohnehin ein weiterer Glücksgriff von Mann. Der Regisseur ist dafür bekannt, dass er seine Filme sehr auf die Darsteller zuschneidet und diesen viel abverlangt. Genauso bekannt ist er aber auch dafür, dass er aus den Schauspielern ungeahnte Bestleistungen herausholt oder verborgene Talente von ihnen entdeckt. Auch hier beweist er wieder dieses Gespür. Gar nicht so überraschend ist die hervorragende Performance von James Caan (Rollerball (1975), Der Pate) in der Hauptrolle. Deutlich erstaunlicher ist aber die Leistung des heimlichen Stars des Films. Robert Prosky, dessen Gesicht zwar vielen Filmfans vertraut sein dürfte, dessen Name aber kaum einer kennt, besticht mit einem eindrucksvollen Spiel. Der dauerhafte Nebendarsteller Hollywoods, meist in Rollen des väterlichen oder großväterlichen Freundes besetzt, spielt den knallharten Gangsterboss so wie er sein muss. Im einen Moment sehr freundlich und zuvorkommend, um den anderen zu ködern, im anderen Moment brutal und unnachgiebig, um dem Gegenüber zu zeigen, dass er immer bekommt, was er will.

    So ist es mehr als verwunderlich, dass „Thief“ in der öffentlichen Wahrnehmung des Gesamtwerks von Michael Mann so eine geringe Bedeutung einnimmt. Der Film hat schon alles, was einen Michael Mann auszeichnet, wenn er auch sicherlich nicht ganz die Brillanz eines „Heat“ erreicht. Immerhin ist es ein erster „turning point“ in der Karriere des Regisseurs gewesen, der zuvor nur Werbespots und ein paar Episoden von TV-Serien inszenierte und nach „Thief“ die TV-Serie Miami Vice erfand und schließlich zu einem der interessantesten und besten Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten der Neuzeit werden sollte. Für seinen Protagonisten Frank gibt es allerdings keinen „turning point“. Für einen Mann, der aufgrund seines Berufes kein normales bürgerliches Leben führen kann, aber trotzdem so ehrlich ist, dass er die Regeln der örtlichen Gangstersyndikate nicht befolgen kann und deren Leben nicht leben will, gibt es keinen Platz auf der Welt. Das ist die Erkenntnis, die am Ende des hochspannenden Actionthrillers übrig bleibt.

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