Mit „Rocky IV“ setzt Hauptdarsteller, Regisseur und Drehbuchautor Sylvester Stallone seine seltsame künstlerische Odyssee der Boxer-Reihe fort. Nach anspruchsvoller, Oscar-prämierter Milieustudie (Rocky), überzeugendem Melodram (Rocky II) und spaßig-emotionalem Action-Kitsch (Rocky III) folgt in der vierten Runde auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ideologisch fragwürdiger Sport-Trash, der aber trotzdem eine Menge Kurzweil verbreitet.
Schwergewichts-Boxchamp Rocky Balboa (Sylvester Stallone) erholt sich von seinem WM-Sieg gegen Clubber Lang und löst ein Versprechen ein, das er seinem Coach und Freund Apollo Creed (Carl Weathers) gegeben hat: Sie treten noch einmal gegeneinander an – allerdings ganz privat unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Apollo hat immer noch an der bitteren Niederlage gegen Rocky vor fünf Jahren zu knabbern, ihn drängt es zurück in den Ring. Da kommt die sowjetische Kampfmaschine Ivan Drago (Dolph Lundgren) als „Opfer“ gerade recht. Der furchteinflössende Hüne ist auf Tour in den USA und verarbeitet einen Gegner nach dem anderen zu Kleinholz. Rocky hält wenig von dem Comebackplan, stimmt aber zu, seinem Kumpel zu helfen. Doch das, was zu einem harmlosen Schaukampf werden sollte, endet in einer Katastrophe. Drago prügelt Apollo im Ring zu Tode. Rocky will sich einer Revanche stellen - zu Weihnachten in der Sowjetunion...
Der Verfall des Anspruchs durchzieht das „Rocky“-Franchise wie ein roter Faden. Dem Erfolg hat dies aber keineswegs geschadet. Auch Teil 4 avancierte zu einem Blockbuster und ebnete den Weg für „Rocky V“, der jedoch enttäuschte und folgerichtig floppte. „Rocky IV“ ist aus heutiger Sicht ein merkwürdiges Vergnügen. 1985 mitten im Kalten Krieg entstanden, ist der Box-Actioner pure US-Propaganda, die Stallone stramm linientreu unters Volk jubelt. Allerdings stellt er dies so plump an, dass man es eher amüsiert, als pikiert zur Kenntnis nehmen muss. Rocky, der aufrechte Amerikaner, verteidigt die US-Werte auf Gedeih und Verderb - und wenn es ihn das Leben kostet. Der böse Sowjet – minimalistisch und cool-absurd von Dolph Lundgren in seinem Karrierehighlight gegeben – wird hochgezüchtet, gedopt, vom System gepusht und gleichzeitig ausgebeutet. Der böse rote Wolf ist ein perfektes Feindbild im US-Jahr 1985. Einen ebenso wunderbar trashigen Unterhaltungswert hat die Performance der Dänin Brigitte Nielsen, die Dragos Gattin Ludmilla kühl bis ans Herz spielt und sich während der Dreharbeiten in Stallone verliebte. Ein Jahr später heiraten beide, ein weiteres Jahr danach wurden sie geschieden.
Der Ton der 80er Jahre schlägt sich merklich nieder, vor allem im knalligen Soundtrack. Stallones Drehbuch-Konstruktion ist kurios. Nach einer ausschweifenden Exposition, die bis zu Apollos spektakulärem Ringtod andauert, besteht der sehr kurze zweite Akt eigentlich nur aus Rockys Training im verschneiten Sibirien. Das wird dann mit einer minutenlangen Musikcollage gestreckt, die auch als Video vermarktbar wäre. Erfreulich ist jedoch, dass Survivor, die den kultigen „Rocky“-Song „Eye Of The Tiger“ schufen, mit „Burning Heart“ erneut vertreten sind. Bei der Ankunft im Fernen Osten verbreitet der Track eine griffige Atmosphäre, Spaß und echtes „Rocky“-Flair.
Die Boxszenen sind wie in den Teilen zuvor packend und übertrieben wie eh und je - aber das gehört einfach dazu. „Keine Schmerzen, keine Schmerzen, keine Schmerzen...“ Das gilt auch für den Zuschauer. „Rocky IV“ bietet zwei ausführliche, große Kämpfe, die stilistisch völlig unterschiedlich, aber logisch aufgebaut sind. In Apollos großkotzigem Auftreten vor der tödlichen Schlappe gegen Drago („Wenn er tottt iest, iest er tottt!“) lässt sich hübsche Selbstkritik an amerikanischer Überheblichkeit herauslesen, aber Stallone nutzt dies nur als Legitimation und dramaturgischen Dampfhammer für den Kampf der Jahrhunderts (so der deutsche Untertitel). Auch wenn Stallone noch ein wenig Versöhnlichkeit erkennen lässt, feiert „Rocky IV“ das amerikanische System. Macht aber nichts, für Freunde des herzhaften Action-Trashs ist der Film von hohem Ereigniswert. Letztendlich ist der vierten Teil etwa auf dem Niveau des Vorgänger, der noch actiondominierter und emotionaler ausfiel.