Wohl kein anderer Regisseur hat den Anime-Film so sehr geprägt wie Hayao Miyazaki. Der auch als „japanischer Walt Disney" titulierte Filmemacher wurde als Zeichner der 1974 gedrehten Kinderserie „Heidi" bekannt. Nachdem Miyazaki mit „Das Schloss des Cagliostro" seinen ersten Anime auf die Leinwand brachte, drehte er im Orwell-Jahr 1984 das postapokalyptische Science-Fiction-Märchen „Nausicaä aus dem Tal der Winde". Die grandiose Adaption seiner eigenen Manga-Vorlage war die Initialzündung für die Gründung des Ghibli-Studios („Prinzessin Mononoke", „Chihiros Reise ins Zauberland") und hat bis heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt.
Weite Teile der Welt sind bedeckt vom „Meer der Fäulnis". Die Überlebenden haben sich nach den „sieben Tagen des Feuers" in fäulnisfreie Verstecke zurückgezogen. Einer dieser Orte ist das Tal der Winde, dessen Bewohner unter der Regentschaft von Prinzessin Nausicaä versuchen, mit den Gefahren des immer weiter wuchernden Giftpilzwaldes zu leben. Jeder fürchtet sich vor den monströsen Insekten, die dort ihr Unwesen treiben, besonders vor den riesigen Ohmus. Alle außer Nausicaä, die sich weiter um eine harmonische Koexistenz der beiden Welten bemüht! Doch als Truppen vom Königreich Torumekia das Tal angreifen, fällt Nausicaäs Vater – während sich die Invasoren eines uralten Kriegstitans bemächtigen, um den Pilzwald niederzubrennen...
„Ich bin an einen Punkt gelangt, an dem ich einfach keinen Film mehr machen kann, ohne das Problem der Menschheit als Teil eines Ökosystems anzusprechen." In Hayao Miyazakis Märchenwelt mit Prinzessinnen, rivalisierenden Königreichen und fantastischen Kreaturen haben sich Mensch und Natur verfeindet, Handlung und Zivilisationskritik sind hier kaum voneinander zu trennen. Das grüne Anliegen ist prägend für das Oeuvre des Japaners, immer wieder verweist er mit seinen Geschichten auf Probleme von globalen Ausmaßen. „Nausicaä aus dem Tal der Winde" ist fast drei Jahrzehnte alt – und dabei mit seiner Vision einer ausgebeuteten und zugrunde gerichteten (Um-)Welt immer noch so aktuell wie am ersten Spieltag - wenn nicht inzwischen sogar noch dringlicher.
Ein friedliches Tal wird von der Militärmaschinerie eines machthungrigen Königreichs überrollt. Anschließend soll dann ein Unheil bekämpft werden, indem mit dem Kriegstitan ein noch schlimmeres Unheil heraufbeschworen wird. Nur Nausicaä und ihre Getreuen erkennen, dass es eine friedliche Lösung geben kann beziehungsweise geben muss, wenn die Menschheit eine Zukunft auf diesem Planeten haben soll. Miyazakis Protagonistin – eine aufrichtige und selbstlose Herrscherin auf der Suche nach universeller Harmonie – mag einer sehnsüchtigen Utopie entspringen, im Kontext der überhöhten Fantasiewelt wirkt die Figur aber keineswegs verklärt.
Nein, Miyazakis laut und klar formulierten Idealismus als naiv abzukanzeln, das wäre schlichtweg zynisch. Der Japaner bevölkert seine postapokalyptische Welt zwar sehr wohl mit hinlänglich bekannten Archetypen, so gibt es neben einer im Sterben liegenden Mentorfigur auch eine böse Königin samt Speichellecker-Hofstaat, aber der Regisseur haucht ihnen mit starken Dialogen ein pulsierendes Eigenleben ein. Für seine Figuren schafft er eine Welt voller faszinierender Orte und Wesen, die unter anderem auch James Cameron („Avatar") inspirierte, als er seinen Planeten Pandora ausgestaltete. Miyazakis Bilderwelten zwischen Mittelalter-Märchen und Steampunk sind allerdings auch ohne zeitgenössisches 3D und Hightech-Animation von schlichter, zeitloser Schönheit.
Atmosphärisch vertieft wird „Nausicaä aus dem Tal der Winde" zusätzlich von Joe Hisaishis ergreifendem Soundtrack, der mit einprägsamen Themen für die einzelnen Figuren begeistert – angefangen bei den für Hisaishi typischen, ruhigen Klavierklängen bis hin zu kraftvollen Orchesterstücken. Einen tollen Klang hat, im Gegensatz zur deutschen Synchronfassung, auch die englische Wiederveröffentlichung von 2005, für die sich neben Alison Lohman („Drag me to Hell") als Titelheldin so wunderbare Sprecher wie Patrick Stewart („Star Trek - Der erste Kontakt"), Edward James Olmos („Battlestar Galactica") und Mark Hamill („Krieg der Sterne") eingefunden haben.