Er sieht ein bisschen aus wie Woody Harrelson, ist dem gemeinen Kinogänger am ehesten durch „Erin Brockovich", „Traffic", „Ocean´s Eleven" oder zuletzt „Solaris" bekannt, lässt Schauspieler ihre Garderobe am liebsten selbst aussuchen und erreichte mit seinem Debüt „Sex, Lies and Videotape“ Kultstatus unter Cineasten. Steven Soderbergh wagt wie nur wenige seiner Berufsgenossen den Spagat zwischen künstlerisch anspruchsvollem „Sophisticated“-Kino und kurzweiliger Hollywood-Unterhaltung. „Voll frontal“ ist der denkbar beste Beweis dafür – spielt doch Julia Roberts eine tragende Rolle in dieser größtenteils mit einer Videokamera gedrehten Low-Budget-Produktion, einer Beinahe-Satire auf das Showbiz und die snobistische Lebenskultur der High Society. Das Drehbuch von Coleman Hough erzählt von Carl (David Hyde Pierce), dem Redakteur eines Boulevard-Magazins, der seinen Chef nicht ausstehen kann, dafür seine Frau Lee (Catherine Keener) über alles liebt, die ihn allerdings verlassen will. Außerdem geht es um Lees Schwester Linda (Mary McCormack), deren längste Beziehung drei Monate andauerte und die ihre selbst diagnostizierte Beziehungsunfähigkeit mit Internet-Flirts behandelt. Es geht um den farbigen Serien-Star Calvin (Blair Underwood), der es endlich nach Hollywood geschafft hat und Nicholas spielt - einen Schauspieler, über den die Reporterin Francesca eine Titelstory schreibt. Francesca wird gespielt von Catherine (Julia Roberts) und produziert wird der Streifen von Gus (David Duchovny), einem selbstverliebten Neurotiker, der am Abend seinen 40. Geburtstag feiern wird.
„Voll frontal“ zeigt einen Tag im Leben all dieser Personen, die auf Umwegen zu Gus’ Geburtstagsfeier eingeladen sind und deren Schicksale sich überschneiden, ohne dass die Beteiligten davon wissen. Da der Zuschauer aber auch Szenen aus dem Film von Gus, Catherine und Calvin als Film im Film zu sehen bekommt, drehte Soderbergh diese Szenen in gebräuchlicher Kino-Qualität, während der Rest von „Voll frontal“ mit einer Videokamera aufgezeichnet wurde - ohne künstliches Licht, ohne Schnitte und mit stellenweise dilettantisch anmutenden Aufnahmen - das alles für ein Budget von zwei Millionen Dollar. Die Kombination beider Stile funktioniert erstaunlich gut und sorgt dafür, dass sich der Kinogänger nicht im Geflecht von Film und Realität verheddert; hat er doch die erste halbe Stunde ohnehin genug damit zu tun, Ordnung ins Gewirr der Charaktere zu bringen und sich zu fragen, worauf all das hinauslaufen soll.
Dass Drehbuchautor Coleman Hough eigentlich Theaterstücke schreibt, merkt man dem Skript recht schnell an. Vom Finale abgesehen teilen sich nie mehr als zwei der Hauptdarsteller die Leinwand; dennoch reichen die minimalistischen Dialoge vollkommen aus, um dem Zuschauer das komplexe Story-Gerüst verständlich zu machen. Natürlich tragen auch die großartigen Schauspieler ihren Teil dazu bei, die auf Geheiß von Soderbergh für Make-Up und Kleidung selbst verantwortlich waren. Vor allem Blair Underwood überrascht mit seiner differenzierten Darstellung eines farbigen Schauspielers auf dem Weg ganz nach oben. Julia Roberts macht das Beste aus der undankbaren Rolle der durchschnittlich-talentierten Schauspielerin. Überragend präsentieren sich jedoch David Hyde Pierce und Catherine Keener als von Problemen zerfressenes Ehepaar kurz vor der Scheidung. David Duchovny ist das traurige Schlusslicht des Ensembles. Soderbergh setzte großes Vertrauen in den abgehalfterten Serienschauspieler, in dem er ihn für die Rolle von Gus besetzte, der lediglich in einer einzigen Szene zu sehen ist, sodass sein Darsteller den Charakter in nur wenigen Minuten mit Leben füllen muss. Eine Aufgabe, die nur wenige so gründlich hätten vermasseln können wie Duchovny, der Gus durch seine lethargische Ausdruckslosigkeit farbloser zurücklässt, als das geistige Auge des Zuschauers ihn vorher erschuf.
Duchovnys Darstellung ist jedoch geradezu ein Sinnbild für „Voll frontal“. Soderbergh und Hough vergaßen vor lauter Anspruch nämlich die Aussage ihres Films. So verwirren sie den Zuschauer kurz vor Schluss nicht nur mit einer „Film im Film im Film“-Situation, sondern führen die einzelnen Handlungsstränge später wahlweise gar nicht zu Ende oder ersticken die mühsam aufgebaute charakterliche Tiefe in zuckersüßem Kitsch - keine Spur von Soderberghs Gespür für’s Geschichtenerzählen. Was bleibt ist ein Film, der viel beginnt und nichts zu Ende führt; Komödie, Drama, Satire – „Voll frontal“ ist trotz einiger gelungener Szenen nichts Halbes und nichts Ganzes.