Die sehr umfangreiche Italo-Western-Karriere von Sergio Corbucci hat zwei Seiten. In den Sechzigern stand er für harte Western, drehte unter anderem „Django“, „Die Grausamen“ oder Leichen pflastern seinen Weg. In den Siebzigern verlegte er sich dagegen erst auf Western-Komödien wie „Lasst uns töten, Companeros“, um schließlich sogar ganz ins Komödienfach zu wechseln und Hill/Spencer-Haudrauf-Werke wie Zwei sind nicht zu bremsen oder Zwei Asse trumpfen auf zu inszenieren. Sein letzter eher ernster Western war 1969 „Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“, entstanden vor ungewöhnlicher Kulisse. Die nicht nur mit italienischen und deutschen, sondern vor allem auch mit französischen Geldern finanzierte Produktion nutzt nicht die staubigen Drehorte Spaniens, sondern die französischen Alpen. Als überraschend erweist sich auch Corbuccis Rückgriff auf zeitgenössische Motive. So findet sich eine Gruppe von kiffenden Hippies inmitten der Filmhandlung. Das wirkt bisweilen recht befremdlich und sorgt mit dem etwas zähen Beginn dafür, dass Corbuccis Western doch deutlich hinter der Qualität seiner besseren Werke zurückbleibt. Die erzählerischen und inszenatorischen Fähigkeiten des oftmals auch sehr sozialkritischen Filmemachers verhindern allerdings, dass „Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“ auch nur in die Nähe der zahlreichen miserablen Italo-Western-Produktionen rutscht.
Angst macht sich breit bei den Bewohnern von Blackstone, denn der toughe Revolverheld Brad (Johnny Hallyday) soll auf dem Weg zu ihnen sein und vor dem fürchten sie sich zu Recht. Vor einiger Zeit wurde die örtliche Bank überfallen und den Raub schob man Brads Bruder in die Schuhe und lynchte diesen. Nun fürchten die Bewohner Rache für den feigen Akt der Lynchjustiz. So beknien die Bürger des kleinen Städtchen, allen voran die umtriebige und verschlagene Bankdirektorin Virginia Pollywood (Françoise Fabian), den Sheriff (Gastone Moschin), etwas gegen Brad zu unternehmen. Doch dem eigentlich rechtschaffenen Gesetzeshüter, der damals machtlos war, sind vorerst die Hände gebunden. Und so erreicht Brad Blackstone, nicht nur nach Rache sinnend, sondern auch nach der Wahrheit und dem damals verschwundenen Geld suchend. Erst der einarmige Bandit El Diablo (Mario Adorf) gibt ihm den entscheidenden Hinweis.
Corbuccis eher französischer denn italienischer Western bietet eine interessante Geschichte, bei der gerade bei diesem, zur Sozialkritik neigenden Regisseur etwas mehr zu erwarten war. Ein ganzer Ort hat sich zusammen versündigt, ähnlich wie in Clint Eastwoods Ein Fremder ohne Namen oder in Fritz Langs Fury – Blinde Wut und soll dafür bestraft werden. Dabei bleibt lange Zeit unklar, was wirklich passiert ist und damit auch wie hoch die Schuld der Menschen in Blackstone ist. War Brads Bruder wirklich ein Dieb, nur ein Sündenbock oder das Opfer eines Missverständnisses? Alle drei Optionen scheinen zu Beginn möglich. Immer wenn dieses Szenario im Vordergrund stattfindet und im Hintergrund die verzweifelten Versuche der Bewohner ablaufen, Brad auszuschalten, bekommt der Zuschauer einen spannenden Western zu sehen. Doch daneben dringen immer wieder störende Elemente durch. Die Geschichte rund um die schöne Sheba (Sylvie Fennec), eine der wenigen ehrlichen Häute des Ortes, dient eigentlich nur dazu, sie vom Helden ein paar Mal aus der Gefahr hauen zu lassen.
Was sich Corbucci beim Einbau einer vierköpfigen Hippie-Gruppe gedacht hat, ist völlig schleierhaft. Die ständig Joints qualmende und freie Liebe propagierende Bande wirkt in diesem Western so fehl platziert wie ein Maschinengewehr in einem Historienfilm. Die „Hippie“-Szenen stören größtenteils den Erzählfluss und schaden dem Spannungsaufbau. Erst im Finale kommen die vier schrägen Gestaltungen zu einer wirklichen Bedeutung. Wenn sie den gesamten Ort zwingen sich zu entblößen, gelingt es Corbucci geschickt, verschiedene Bedeutungsebenen mit einem außergewöhnlichen Showdown zu vermischen. Doch dies bleibt wirklich der einzige Moment, wo man sich über die ungewöhnlichen Gäste für diesen Western freut.
In der Hauptrolle müht sich Frankreichs Superstar Johnny Hallyday redlich, seinem einsamen Rächer das richtige Profil zu verleihen. Richtig gelingen will es dem Multitalent, das vor allem mit seinen Gesangeskünsten Karriere machte, aber nicht. Hallyday hat zwar unbestritten ein enormes Charisma, doch er erreicht nie auch nur ansatzweise die Grimmigkeit eines Franco Nero oder Clint Eastwood. Trotzdem ist „Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“ ein sehr stark besetzter Western. Dies ist der Verdienst der Nebendarsteller. In erster Linie zu nennen ist hier Françoise Fabian als schwer durchschaubare Bankdirektorin Virginia Pollywood, die in einer exzellenten Szene den Sheriff betört. Den mimt Charakterdarsteller Gastone Moschin, (Der Pate II) in überzeugender Weise. Mario Adorf (Rossini, Die Rote Zora, Die verlorene Ehre der Katharina Blum) hat als ständig seine Biographie diktierender einarmiger Bandit einen leider viel zu kleinen, aber sehr nachdrücklichen Auftritt.
Ohne Sergio Corbucci auf dem Regiestuhl und dem ausgezeichneten Kameramann Dario Di Palma („Oktober in Rimini“, „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“) wäre „Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“ wahrscheinlich im tiefen Genremittelmaß verschwunden. Der „Django“-Regisseur und sein Kameramann schaffen es aber, einige inszenatorische Ausrufezeichen zu setzen, die gemeinsam mit den guten Darstellern und der nach und nach zulegenden Spannung ein gerade für Genre-Freunde äußerst ansprechendes Werk ergeben. Die dürfen sich freuen. Dank Kinowelt gibt es Corbuccis Western nun zum ersten Mal auch hierzulande in einer ungekürzten Fassung.