1971 startete Clint Eastwood (Jahrgang 1930) mit dem Thriller „Sadistico“ seine bisher 25 Arbeiten umfassende Regiekarriere, die ihm im Alter zwei Oscars („Erbarmungslos“, „Million Dollar Baby“) einbrachte. In der Frühphase stand der Anspruch, den der Kalifornier in seinen Alterswerken pflegt, noch nicht im Vordergrund. Dennoch zeigte sich schon damals Eastwoods Gespür für grandiose Kinobilder. Der Action-Thriller „Im Auftrag des Drachen“ (1975), seine vierte Regiearbeit, zählt eher zu den unbekannteren Werken, ist aber durchaus einen Blick wert. Trotz Mängeln in der Story fasziniert der Film als harter Agenten-Thriller, der auf spektakuläre Schauwerte setzt.
Dr. Jonathan Hemlock (Clint Eastwood) ist Lehrer für Kunsterziehung an einem College in der amerikanischen Provinz, sein vordergründig ruhiges Leben aber nur eine Facette seines Daseins. Der Kunstliebhaber verfügt zum Beispiel über eine 21-teilige Sammlung von Pissarro-Meisterwerken. In seinem Nebenberuf ist Hemlock Auftragskiller für eine Geheimorganisation der Regierung, die unter Führung des sogenannten Drachen (Thayer David) steht. Obwohl Hemlock aussteigen will, wird er dazu gedrängt, einen letzten Auftrag anzunehmen. Er soll den Mörder eines Agenten beseitigen. Allerdings ist dessen Identität unklar, es ist nur bekannt, dass er an einer Eigernordwand-Expedition teilnimmt. Und Hemlock ist passionierter Bergsteiger, der aber bereits zwei Mal am Eiger gescheitert ist. Unter Leitung seines Freundes Ben Bowman (George Kennedy) ist jeder der Seilschaftsmitglieder verdächtig: der Deutsche Karl Freytag (Reiner Schöne), der Österreicher Anderl Meyer (Michael Grimm) und der Franzose Jean-Paul Montaigne (Jean-Pierre Bernard), der mit seiner attraktiven Frau Anna (Heidi Brühl) anreist. Bei der Vorbereitung auf die gefährliche Klettertour wird auf Hemlock ein Mordanschlag verübt...
„Im Auftrag des Drachen“ ist ein rohes Machwerk dessen Unzulänglichkeiten wahrlich nicht übersehbar sind, aber das alles ist im Kontext zu den Stärken des Films relativ egal. Okay, die Plot Holes im Drehbuch von Hal Dresner, Warren Murphy und Rod Whitaker (nach dessen Roman „The Eiger Sanction“ unter seinem Alias Trevanian) nehmen beängstigende Dimensionen an und über die Glaubwürdigkeit der Story sollte auch besser nicht nachgesagt werden, doch im Angesicht der grandiosen Schauwerte und dem hohen Unterhaltungswert, den Eastwood zu bieten hat, verblassen die Schwächen. Die Geschichte mag zwar nicht immer logisch sein, aber packend ist sie dennoch... und unheimlich spannend dazu und somit funktioniert „Im Auftrag des Drachen“ trotzdem. Hemlocks Suche nach dem Mörder, seinem potenziellen Opfer, ist der Motor des Films. Das Scharadespiel um die Identität des Gesuchten und das mögliche Enttarnen Hemlocks, was seinen Tod bedeuten würde, hält die Spannung immer am Limit.
Vor allem aus heutiger Sicht ist die herrlich politisch unkorrekte Produktion sehr erfrischend. Dieser Dr. Jonathan Hemlock ist mehr Anti-Held als Held und legt eine ausgesprochene Rauheit an den Tag. Ein Nebenprodukt dieser Einstellung ist ein gewisser - mehr oder weniger latenter - Sexismus, dem die Hauptcharaktere mit einem lässigen Selbstverständnis frönen. Das wirkt zwar nicht mehr zeitgemäß, passt sich aber dem Stil des Films an und ist somit zu verschmerzen. Schließlich empfahl Ex-Meisterdieb Cary Grant seiner zickigen Bekanntschaft Grace Kelly in Alfred Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“ auch schon mal „vier Wochen Hochzeitsreise mit einem richtigen Mann“ – und niemand regt sich über die Frauenfeindlichkeit dieser Aussage auf, die in die heutige Zeit übersetzt, eindeutig ist. Davon abgesehen, ist Hemlock ein loyaler Egoist, der seine Interessen kompromisslos durchsetzt, aber seine Freunde nicht im Stich lässt. Clint Eastwood ist für diesen Charakter perfekt besetzt und seine Rolle entspricht exakt dem raubeinigen Image, das er in den 70er Jahren hatte. Er verleiht seiner Figur das nötige Charisma, welches das Interesse der Zuschauer wach hält. Die Nebendarsteller erfüllen ihre Aufgaben solide, am schillerndsten ist sicherlich Jack Cassidy als linkischer Miles Mellough, aber auch George Kennedy („Die nackte Kanone“, „Flight Girls“, „Dallas“) gefällt als Hemlocks bester Freund Ben Bowman.
Der große Trumpf von „Im Auftrag des Drachen“ sind aber die Bilder. Kameramann Frank Stanley („Die Letzten beißen die Hunde“, Dirty Harry 2) fing majestätische Landschaftsaufnahmen und grandios-packende Originalaufnahmen der Protagonisten am Berg ein. Hier gibt es keine Tricks oder Spezial-Effekte, die Schauspieler spielen ihre Stuntszenen selbst und diese Authentizität verleiht dem Film das Format, das durch die Storyschwächen in Frage gestellt wurde. Neben den Sequenzen an der Schweizer Eigernordwand ist das Besteigen eines monströsen pfeilerartigen Felsmonolithen im Monument Valley ein Highlight des Films. Mit einer famosen Kamerafahrt aus dem Hubschrauber gefilmt, wird klar, dass Eastwood und Kennedy tatsächlich auf der Spitze des Felsens gestanden haben. Clint Eastwoods Mischung aus packendem Bergsteiger-Drama und spannendem Agenten-Thriller geht sicherlich nicht als Meisterwerk in die Filmgeschichte ein, dazu sind die Mängel zu offensichtlich, aber als perfekte, anspruchsfreie Unterhaltung ist „Im Auftrag des Drachen“ für Genrefreunde und Eastwood-Anhänger trotzdem ein Muss.