„Aus dem schlechtesten Kriminalroman, den ich je gelesen habe, hat Jules Dassin den besten Kriminalfilm gemacht, den ich je gesehen habe.” (Francois Truffaut über „Rififi“)
Es gibt viele Szenen, die man nutzen kann, um das eindrucksvolle Erlebnis Kino zu veranschaulichen. Man könnte den Anfang von Welles‘ Citizen Kane mit seinen Überblendungen und dem geflüsterten Wort „Rosebud“ zeigen, den legendären Duschmord in Hitchcocks Psycho, die beeindruckende Treppenszene in „Panzerkreuzer Potemkin“, der mit Wagner unterlegte Helikopterangriff aus Coppolas Apocalypse Now oder auch eine nahezu beliebige Einstellung aus Leones Spiel mir das Lied vom Tod. Man könnte aber auch eine deutlich längere Sequenz nehmen, als all diese zusammen, die ihren Zweck sogar noch mehr erfüllen würde. Eine solche findet sich nämlich in Jules Dassins außergewöhnlichem Krimiklassiker „Rififi“. Über eine halbe Stunde wird kein Wort gesprochen. Wenn Dieb Tony (Jean Servais) und seine drei Kumpanen ihren großen Coup durchführen, den sie vorher minutiös geplant haben, sprechen nur die Bilder. Selten sieht man so exemplarisch, welche Kraft diese allein haben. Es ist sicher die denkwürdigste Szene von Dassins genreprägendem Heist-Movie, aber natürlich nicht die einzige denkwürdige. Nein, „Rififi“ ist von der ersten bis zur letzten Minute ein hoch spannendes und dramatisches Kunstwerk, an dessen Ende nur Verlierer stehen - mit einer Ausnahme: der Zuschauer.
Die Handlung ist mit dem großen Raub schon im Wesentlichen umrissen. Denn der, ausgeführt von dem frisch aus dem Gefängnis entlassenen Tony, seinem alten Freund, dem Familienvater Jo (Carl Möhner), sowie den beiden Italienern Mario (Robert Manuel) und Cesar (Regisseur Dassin selbst), bestimmt den Großteil der Geschichte. Millimetergenau planen ihn die vier, die soweit weg sind von den coolen Gentleman-Gaunern, die man heute so oft in Genrefilmen sieht. Der Raub ist für sie kein Vergnügen, sondern eine harte Arbeit, die zu erbeutenden Diamanten sollen der Lohn sein, der den lang ersehnten Ruhestand bedeutet. Doch nach dem Coup bekommen die drei Grutters (Pierre Grasset, Robert Hossein und Marcel Lupovici) Wind von der Sache und ein blutiges Finale beginnt...
Für Jules Dassin war „Rififi“ ein ganz besonderer Film. In den 40er Jahren hatte er sich in Amerika als Regisseur gekonnten Film Noirs wie „Zelle R 17“, „Die nackte Stadt“ oder „Gefahr in Frisco“ einen Namen gemacht, bis er Anfang der Fünfziger, kurz nachdem er mit dem in Großbritannien entstandenen „Die Ratte von Soho“ ein Meisterwerk hinlegte, das Land verlassen musste. Um sich der eigenen Kommunismusvergangenheit zu entledigen, hatte ihn Kollege Edward Dmytryk („Die Caine war ihr Schicksal“, „Leb wohl, Liebling“, „Die jungen Löwen“) denunziert und vor McCarthys berühmt-berüchtigtem „Komitee für unamerikanische Aktivitäten“ als Kommunisten bezeichnet. Da Dassin in Amerika keine Arbeit mehr fand, musste er nach Europa ziehen, wo er ebenfalls erst einmal arbeitslos blieb. Den europäischen Produzenten wurde klar gemacht, dass Dassin-Filmen eine Auswertung in Amerika verwehrt bleiben würde und so scheuten sie dieses finanzielle Risiko eines Engagements. Dassin verarmte und übernahm die Verfilmung der Romanvorlage zu „Rififi“ nur, weil sie ein letzter Strohhalm war. Aus einem schwachen Buch, das wenig Aufregendes bot, schuf Dassin trotz minimalem Budget durch seine ausgeklügelte Ausarbeitung des eigentlichen Coups (und die Konzentrierung der Handlung auf diesen) den Heist-Klassiker schlechthin und stieg mit einer Auszeichnung für die Beste Regie in Cannes wie Phönix aus der Asche wieder auf.
Die Schilderung der Planungen und der Raub sind natürlich das Prunkstück von „Rififi“. Dies erfolgt übrigens so genau, dass die Pariser Polizei danach die Befürchtung hegte, der Film könnte Nachahmern als Anleitung dienen. Die Frage, ob alles so klappt, wie lange zuvor geplant und mehrmals geübt, macht die Spannung aus. Aufgrund der fehlenden Dialoge ist jedes noch so kleine Atmen der Protagonisten zu hören, jedes verdächtige Geräusch, das sie zu vermeiden und zu dämpfen versuchen. Und so hält der Zuschauer gemeinsam mit den Dieben die Luft an. Dassin entdeckte damit ein völlig neues Spannungsmoment und generierte quasi ein neues Genre. Nicht umsonst zitieren viele moderne Filme mit Heist-Elementen - über Tarantinos Reservoir Dogs, De Palmas Mission: Impossible, Mamets Heist - Der letzte Coup, Manns Heat oder Singers Die üblichen Verdächtigen - an der ein oder anderen Stelle ihr einflussreiches Vorbild. Auch Dassin zitierte sich später noch einmal. Der thematisch ähnliche, aber deutlich humorvoller angelegte „Topkapi“ (der Sir Peter Ustinov einen Oscar einbrachte) aus dem Jahr 1964 erweist sich in einigen Szenen als Parodie auf „Rififi“.
Auch wenn der Diamantenraub das zentrale Element von „Rififi“ (und ebenso in Besprechungen des Films) ist, endet Dassins schonungsloser Noir-Thriller damit noch nicht. Erst danach kommt der brutale zweite Storyteil über das Verlieren. Schon ab der ersten Minute wird deutlich, was für Männer die Helden. Sie sind Loser, die endlich auf die Sonnenseite wechseln wollen. Ganz deutlich wird dies bei Protagonist Tony. Frisch aus dem Gefängnis entlassen, will er ehrlich werden, muss aber enttäuscht feststellen, dass sich seine frühere Freundin Mado (Marie Sabouret) einem anderen zugewandt hat und steht daher nun vor dem Nichts. Doch es geht noch tiefer. Es ist erstaunlich, wie zwiespältig dieser Tony gegenüber dem Zuschauer angelegt wird. Er ist irgendwie schon ein sympathischer Kerl, verprügelt aber gleich auch einmal seine Ex-Freundin und erschießt später einen seiner Kumpane, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ein Garant für die Klasse von „Rififi“ ist, dass sich die beiden Plots hervorragend ergänzen und keiner den anderen in den Schatten stellt, sondern das Nachspiel einfach nahtlos das hohe Niveau der Inszenierung des Raubs fortsetzt. Beständiger Antrieb für die Klasse ist die exquisite Inszenierung, vor allem das stetige Spiel mit Licht und Schatten und die außerordentlich gute Kamera. Wenn Tony seine Ex-Freundin wieder besucht und mit ein paar Schlägen „begrüßt“, blendet die Kamera kunstvoll auf ein Bild aus guten, älteren Zeiten, während die traurige Gegenwart im Off stattfindet. Eine solche Szene brennt sich ebenso nachdrücklich ins Gedächtnis wie der große Coup. Oder die mit dramatischer Musik überlegte meisterhafte und wilde Kamerafahrt im Finale bei Tonys verzweifelter Unternehmung, Jos aus den Fängen der Grutters befreiten Sohn (Dominique Maurin) noch mit letzter Kraft nach Hause zu bringen.
Auch wenn Dassin nur auf weniger bekannte Darsteller zurückgreifen konnte (darunter der deutsche Heimatfilm-Schauspieler Carl Möhner), füllen diese ihre Rollen glaubhaft aus und einige nutzten den Film noch zu einem Karrieresprung. So vor allem Hauptdarsteller Jean Servais und Schauspieler/Regisseur Robert Hossein, der als kokainsüchtiger Loser brilliert. Der Begriff „Rififi“, der sich aus einem im Film vorkommenden Song ableitet, wurde zu einem festen Bestandteil der Sprache, gilt heute als Synonym für eine bestimmte Art von Einbrüchen und fand in unzähligen späteren Filmen erneute Verwendung. Das können sicher nicht viele andere Filmtitel von sich behaupten und es verdeutlich noch einmal den Klassikerstatus von „Rififi“. Es ist aber ganz sicher nicht der Einfluss und seine Bedeutung für die Filmgeschichte, die dafür sorgen, dass man auch nach mehr als 50 Jahren noch gebannt der Filmhandlung folgt. Vielmehr strahlt die Kraft der Bilder. Die ist nach wie vor ungebrochen.
In Deutschland kam der Film übrigens um sieben Minuten gekürzt mit einer Freigabe ab 18 Jahren in die Kinos. Anfang 2008 erfolgte die längst überfällige ungeschnittene deutsche DVD-Veröffentlichung des Klassikers (neue Freigabe: ab 12), die übrigens daneben auch die alte gekürzte Version bietet. Die dürfte allerdings nur noch aus nostalgischen Gründen von Interesse sein.