Es gibt wahrscheinlich nur wenige heute 30-Jährige, die in ihrer Kindheit oder Jugend nicht Corey Yuens „Karate Tiger“ gesehen haben - und denen dabei nicht die Faust juckte. Der erste Teil gab den Startschuss zu einem „Karate Tiger“-Franchise, das sich zu einer der populärsten Kampfsportreihen überhaupt mauserte - ohne dass dabei auch nur zwei Teile einen gemeinsamen Handlungsstrang verfolgen würden. Die Reihe, so wie sie bei uns veröffentlicht wurde, ist eine rein europäische Erfindung, das Resultat einer Vermarktungsstrategie und eines Übersetzungswirrwars. Sie setzt sich zusammen aus den amerikanischen „No Retreat, No Surrender“- und „Kickboxer“-Streifen. Bekannt ist der Film heute vorwiegend als erster Hollywood-Stehversuch von Jean-Claude Van Damme, bevor diesem zwei Jahre später mit Bloodsport der endgültige Durchbruch gelang. Regisseur Corey Yuen, der für Transporter einige Actionsequenzen drehen durfte und zuletzt mit DOA - Dead Or Alive eine überzogene Action-Comedy vorlegte, gelang mit seiner ersten US-Regiearbeit ein Hong-Kong-USA-Cross-Over, das sich noch heute heißer Fanverehrung erfreut – allerdings aus all den falschen Gründen. Mit „Karate Tiger“ verhält es sich ein wenig wie mit David Hasselhoff: Es gibt unzählige Fans, ohne dass man nachvollziehen könnte, warum überhaupt.
Der Teenager Jason Stillwell (Kurt McKinney) ist ein glühender Bruce-Lee-Verehrer und trainiert im Karate-Dojo seines Vaters. Als dieser von Ivan Kruschensky (Jean-Claude Van Damme), dem Schläger eines Verbrecher-Syndikats, invalide geprügelt wird und somit gezwungen ist, das Dojo aufzugeben, zieht die Familie von Los Angeles nach Seattle. Jason ist enttäuscht vom seiner Meinung nach feigen Rückzug seines Vaters und wird darüber hinaus kurz nach der Ankunft in Seattle von einer Clique um den schleimigen Scott (Kent Lipham) als neues Opfer auserkoren. Nach einer schmerzhaften Prügelei und einem heftigen Streit mit seinem Vater fleht der verzweifelte Jason sein Idol Bruce Lee um Beistand an. Noch in derselben Nacht erscheint ihm der Geist von Sensei Lee (Tai Chung Kim), der Jason fortan in den Künsten der Selbstverteidigung unterrichtet. Währenddessen verbreitet das Syndikat aus L.A. auch in Seattles Dojos Angst und Schrecken. So bietet sich für Jason schon bald die Chance, mit Kruschensky abzurechnen…
Regisseur Corey Yuen gefielen zwar die „Karate Kid“-Filme mit Ralph Macchio und Pat „Mr. Miyagi“ Morita, doch für seinen Geschmack waren die Kampfszenen zu lahm. Mit der gleichen Grundkonstellation (gedemütigter Teenager findet Lehrmeister, nimmt Rache und kriegt das Mädchen), aber dem Vorsatz, die Kämpfe eine ganze Ecke härter zu gestalten, machte er sich an „Karate Tiger“. Während „Karate Kid“ in keiner Sekunde darum verlegen ist, zu betonen, wie falsch Gewalt ist, formuliert „Karate Tiger“ zwar, dass Karate allein der Selbstverteidigung dient, aber dann darf nach Ansicht des Films auch ordentlich zugeschlagen werden. Der Originaltitel „No Retreat, No Surrender“ wird als Motto des Films zum klassischen „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ umgedeutet. „Karate Tiger“ ist quasi die neutestamentarische Version von „Karate Kid“. Folglich muss Jason keine Fahrräder reparieren oder Bonsais pflanzen, um Karate zu lernen, sondern darf Sandsäcke prügeln und Muskelmasse ansetzen.
Keine Bonsais bedeuten jedoch nicht, dass der Film übermäßig hart ist. Schon das anvisierte jugendliche Publikum steht dem entgegen und in keiner einzigen Szene bekommt der Zuschauer Blut zu sehen. Nichtsdestotrotz zählt „Karate Tiger“ zu den ideologisch verbrämten Teenager-Actionern der 1980er Jahre und wartet zweifelsohne mit einem reaktionären und revanchistischen Mindset auf. Verkappter als in dem dümmlichen US-Airforce-Werbefilm „Der stählerne Adler“ rücken hier schlussendlich alle Verstrittenen gegen den gemeinsamen russischen Feind zusammen, und im Konflikt mit dem Vater lernen wir, dass die Söhne ihren Vätern nur schwer verzeihen können, sich im vorherigen Jahrzehnt „feige“ aus Vietnam zurückgezogen zu haben. „No Retreat, No Surrender“ eben.
Der Film lässt sich grob in drei Parts unterteilen: Demütigung – Training – Abrechnung. Dient der erste Teil noch schlicht einer grobkörnigen Konfliktskizze, beschreibt der zweite Teil Jasons Wandlung. Nachdem ihm der mit Weisheit bewaffnete Geist Bruce Lees erscheint, der dem Kampfsportidol seltsamerweise überhaupt nicht ähnlich sieht, kommt es zu einer der köstlichsten Szenen: Der auch im englischen Original durchweg synchronisierte Lee-Wiedergänger erklärt Jason anhand einer Diät-Cola und einem Glas Wasser, was er zu tun hat, um Karate zu lernen. Die Meister-Lehrling-Karatestreifen beziehen ihren Reiz zum einen aus dem spleenigen Meister, zum anderen daraus, den Verlierertypen dabei zuzusehen, wie sie besser werden: Und in dieser Hinsicht ist der Film durchaus gelungen. Kurt McKinney spielt die physische Wandlung im Rahmen der Möglichkeiten solide, hat am Grab Bruce Lees gar eine schauspielerisch überzeugende Szene, und wenn Jason erstmals seine neu erworbenen Fähigkeiten an bösen Buben ausprobiert, ist schnell ein Tränchen der Genugtuung verdrückt.
Dem unterhaltsamen Härter-schlagen-, Höher-treten-, Schneller-rennen-Mittelteil inklusive der Kultszene mit den Liegestützen auf zwei Fingern (schaut man genau hin, sieht man die Leinen, an denen McKinney hochgezogen wurde), folgt der finale Kampf. Dieser beinhaltet dann endlich den ersten großen Filmauftritt der „Muscles From Brussels“. Jean-Claude Van Damme mimt einen typischen Achtziger-Jahre-Bösewicht (einen Russen eben), heißt wie ein typischer Achtziger-Jahre-Bösewicht (nämlich Ivan) und guckt wie ein typischer Achtziger-Jahre-Bösewicht: total böse. Van Dammes einzige Regieanweisung war dem Anschein nach dieselbe, die auch sein Artgenosse Dolph „Drago“ Lundgren bei Rocky IV“ zu hören bekam: Mundwinkel runter und draufhauen! Bemerkenswerterweise wird dies dem Film absolut gerecht und passt - nun ja - wie die Faust aufs Auge.
Die Zuspitzung auf die finale Konfrontation zwischen „Maulheld“ Ivan und „Fatzke“ Jason ist – zumindest was Dramaturgie und Logik betrifft - großer Humbug, der schlicht den Regeln des Genres folgt: The winner takes it all. Der Kampf weist einen annehmbaren Schauwert auf und Jason darf seinem Vater, seiner Freundin, seinen Bullies, dem bösen Russen und Bruce Lee im Himmel mal so richtig zeigen, wie prächtig er mittlerweile zuschlagen kann.
Corey Yuen, der für die Martial-Art-Choreographien in Lethal Weapon 4 sowie die Jet-Li-Vehikel „Romeo Must Die“ und The One verantwortlich zeichnet, ist in diesen Kampfszenen ganz in seinem Element. Yuen arbeitete mit seiner Hong-Kong-Crew an seinem ersten amerikanischen Film, so dass man bei den flotten Kämpfen auf keinen gravierenden Anschlussfehler stößt. Dafür geraten die ruhigen Schauspielszenen umso erbärmlicher. Die obligatorische Liebesgeschichte ist hölzern erzählt und noch hölzerner gespielt, was auch daran liegt, dass Jasons Love Interest den qualitativen Schauspiel-Bodensatz bildet.
Zahlreiche echte Kampfsportchampions geben sich die Ehre. Daraus resultieren teils respektable Kampfszenen weit über „Karate Kid“-Niveau, wobei sie es nicht mit jenen in Bloodsport oder „Karate Tiger 5 – König der Kickboxer“ aufnehmen können. Die Kehrseite liegt jedoch auf der Hand: Über die schauspielerischen Darbietungen der Kämpfer sollte ohne Häme der Mantel des Schweigens ausgebreitet werden. Wer in einem Kampfsportfilm Schauspielkunst erwartet, schaut auch Pornos der Handlung wegen. Doch auch über die Kämpfer hinaus besteht fast der gesamte Cast aus Laiendarstellern oder Schauspielanfängern, was entweder zu absolut hölzernen Darbietungen führt oder - wie im Falle des hyperaktiven Sidekicks R.J. (J.W. Fails) - zu zappligem Overacting. Einzig der 2008 verstorbene Kent Lipham weiß von den Nebendarstellern mit bockiger Spielfreude als überdreht-intrigierender Handlanger der bösen Jungs zu überzeugen.
Trotz und zum noch größeren Teil wegen all der Mängel schart Corey Yuens erste US-Produktion bis heute eine breite Fanschaar hinter sich. Das liegt auch an den amüsanten Filmfehlern. Neben dem für B-Movies fast schon verpflichtenden Auftritt eines Mikros im Bild prahlt „Karate Tiger“ mit einem Goof-Höhepunkt: Welcher andere Film bietet denn sonst noch ein weißes Stuntdouble für einen schwarzen Schauspieler auf?! Die Begeisterung galt und gilt darüber hinaus dem von Kevin Chalfant gesungenen Titelsong „Hold on to the Vision“, der nie abseits des Films veröffentlicht wurde. Wie weit die Liebe zum Film geht, offenbarten drei „Karate Tiger“-Fans, die den Song (die Mastertapes waren nicht auffindbar und Chalfant hatte keine Lust, den Song neu einzusingen) unter dem Bandnamen „No Surrender“ originalgetreu coverten.
Fazit: Der Nachfolger Karate Tiger III (ebenfalls mit Jean-Claude Van Damme, allerdings als Good Guy) wartet mit dem spinnerteren Meister, dem vergnüglicheren Sidekick, einer guten Portion Ironie sowie dem erinnerungswürdigeren Antagonisten auf. Corey Yuens „Karate Tiger“ ist damit sowas wie die Trashversion eines Trashfilms - und genau das macht seinen obskuren Reiz aus. Grottiges Schauspiel + unterdurchschnittliche Regie + unfreiwillige Komik + unpassendes Stuntdouble + schlimme Frisuren + stereotype Bösewichte + gute Kampfszenen = kurzweilige Guilty-Pleasure-Unterhaltung.