„Von Beginn an wollte ich eine kleine Geschichte erzählen, die sich in einer beschränkten Zeitspanne und auf beschränktem Raum entwickelt. Ich wollte auf keinen Fall ein Epos filmen, ich wollte keinen ‘klassischen’ Kriegsfilm machen, denn der Krieg ist weit entfernt von dem, was man in diesem Filmgenre sieht. Der Krieg, das ist eine Geistesverfassung. Es ist nicht der Lärm der feuernden Waffen oder die Propellerflügel eines Helikopters direkt über den Köpfen, auch wenn das natürlich dazugehört [...].“ In „Saving Private Ryan“ erhält eine Gruppe von Soldaten den Auftrag aus dem Hauptquartier der US-amerikanischen Streitkräfte, den letzten noch lebenden Sohn der Familie Ryan in Nordfrankreich nach der Invasion der Alliierten zu retten. Die Soldaten verstehen nicht, warum sie sich wegen einem einzigen Mann zusätzlich zu den sowieso schon extremen Kriegsrisiken in Lebensgefahr bringen sollen. Spielberg eröffnet seinen Film mit der Landung am „D-Day“ in der Normandie – eine chaotisch-tödliche Situation, die er in beeindruckenden Bildern einfängt. Danach wechselt er zur Geschichte der Gruppe, die Ryan finden und nach Hause bringen soll. Diese Rettungsaktion steht diametral zum „Sinn“ des Krieges. Und der Krieg holt Ryan wie die Gruppe ein, als es um die Verteidigung einer Brücke vor den deutschen Truppen geht.
Der bosnische Regisseur Tanovic – selbst erfahren an der bosnisch-serbischen Front als Kriegsfilmer während des Krieges 1993 – gab seinem Film „No Man’s Land“ eine ähnliche Struktur. Bosnische Soldaten schleichen durch den Nebel. Sie wissen nicht, wo sich die Feinde, die serbischen Einheiten, befinden. Am nächsten Morgen werden sie durch Artilleriefeuer getötet – bis auf einen Mann, ?iki (Branko Djuric), der in einem Schützengraben verletzt überlebt. Ab diesem Zeitpunkt wendet sich der Film der Geistesverfassung Krieg zu, wie Tanovic das nennt. ?iki bleibt nicht lange allein. Von der serbischen Front rücken ein älterer serbischer Offizier (Mustafa Nadarevic) und ein erst ein paar Wochen an der Front eingesetzter junger Soldat namens Nino (Rene Bitorajac) kriechend in den Schützengraben vor, um zu schauen, ob sich noch irgendein Feind dort aufhält. ?iki gelingt es, den älteren Soldaten zu töten, Nino wird verletzt, aber ?iki bringt es nicht fertig, den Verletzten zu töten. Kurz zuvor hatten Nino und sein Vorgesetzter einen bosnischen Soldaten, der tot zu sein schien, auf eine Landmine gelegt. Ziel dieser Aktion: Falls bosnische Soldaten später den Toten abtransportieren wollten, würde die Mine alle Soldaten im Umkreis von 50 Metern töten.
Doch der Totgeglaubte lebt. Er heißt Cera (Filip Sovagovic), ist schwer verletzt und darf sich um alles in der Welt nicht bewegen – sonst werden alle drei getötet. ?iki hat eine Idee. Er lässt Nino in der Unterhose aus dem Schützengraben steigen, so dass keine der beiden Fronten weiß, ob er Serbe oder Bosnier ist, um auf diese Weise die Kriegsgegner zu motivieren, die UN-Einheiten zu alarmieren. Dann steigt er selbst mit Nino – beide wieder nur in Unterhose – aus dem Graben – und schließlich alarmieren Serben wie Bosnier die UN-Friedenstruppe, von der ?iki erwartet, dass sie einen Minenexperten schickt, um Cera das Leben zu retten. Der Leiter der UN-Friedenstruppe Soft (Simon Callow) allerdings zeigt kein Interesse an der Situation der drei Männer im Schützengraben. Erst als der französische Soldat Marchand (Georges Siatidis) auf eigene Faust mit zwei weiteren Soldaten die Lage erkundet und die britische Journalistin Jane Livingstone (Katrin Cartlidge), die den UN-Funk heimlich abgehört hat, Wind von der Sache bekommt, kommt Bewegung in die UN-Friedenstruppe. Derweil streiten sich ?iki und Nino um die Frage, wer diesen Krieg eigentlich angefangen hat. Sie lernen sich kennen, und doch beherrscht die erklärte Feindschaft zwischen Serben und Bosniern weiterhin auch ihr Verhalten. Und Cera? Cera zittert um sein Leben, ohne sich bewegen zu dürfen ...
„[...]Der Krieg, das ist vor allem das, was man im Kopf hat, wenn man ihn erlebt, und das, was davon im Kopf bleibt, während der Jahre danach. Das ist genau das, was ich zu bedenken geben wollte.“ (Danis Tanovic).
„No Man’s Land“ ist keine Anklage gegen die serbischen Aggressoren, gegen die Kriegsverbrecher Karadzic, Milosevic und Mladic, die den Völkermord über Bosnien-Herzegowina gebracht haben, auch nicht gegen die vielfach untätige UN-Friedenstruppe, die sich in politischer Taktik statt in tatkräftiger Unterstützung für die Opfer des Krieges übte. „No Man’s Land“ – das ist tatsächlich eine Geschichte des Kriegs im Niemandsland, einem kleinen Fleckchen Erde, das für ein paar Tage wirklich niemandem zu gehören scheint, einem Schützengraben, in den zwei bosnische und ein serbischer Soldat im wahrsten Sinn des Wortes hineingefallen und nun scheinbar nur mit sich selbst konfrontiert sind. Während sich an der Front einige Soldaten über Massaker in Ruanda aufregen – die im eigenen Land haben sie offenbar verdrängt –, liegt Cera völlig hilflos auf einer Landmine und ?iki und Nino streiten sich über die Verantwortlichen für diesen Krieg. Niemandsland? Nein, ?iki und Nino gehört für Stunden dieses ausgehobene Stück Erde. Erst hat der eine die Waffe und damit die Definitionsmacht über die Antwort auf die Frage, wer schuld an diesem Krieg ist, dann der andere. Dann kommt der Waffenstillstand: Beide tragen ihre Gewehre über der Schulter. Sie lernen sich ein Stück weit kennen. Nino stellt sich vor, ?iki erzählt von einer ehemaligen Freundin in Banja Luka, die zufällig auch Nino kennt. Fast entsteht Nähe, Annäherung zwischen den beiden.
Als jedoch Marchand erscheint und Nino mit den UN-Soldaten mitgehen will, hält ihn ?iki zurück: Er schießt ihn in den Oberschenkel, weil er glaubt, ohne ihn würden die Chancen für Cera und ihn selbst, jemals lebend den Schützengraben verlassen zu können, rapide sinken. Nino rächt sich mit dem Messer. Der Krieg zieht wieder ein – in die Köpfe beider Soldaten. Derweil kämpft die Reporterin Cartlidge gegen die Vertuschung des Vorfalls durch die UN-Friedenstruppe und deren Untätigkeit, das Leben Ceras zu retten. Eine groteske Situation. Die Waffen zwischen den Fronten schweigen, so lange die UN-Soldaten dann mit einer Rettungsaktion beschäftigt sind und – durch die Medien gezwungen – einen Minenexperten holen (der feststellen muss, dass er Cera nicht helfen kann) – während im Schützengraben selbst der Krieg zwischen Nino und ?iki eskaliert.
Tanovic inszenierte ein klassisches Drama, setzte Humor ein, um das Groteske, ja Absurde nicht nur der Situation im Schützengraben, sondern dieses ganzen Krieges und des so genannten Friedensprozesses zu veranschaulichen. Da sticht kein Heldentum hervor, kein Pathos, keine erzwungene Illusion à la „Ich zeige euch, was Krieg ist“, wie Ridley Scott dies in „Black Hawk Down“ vergeblich versucht hat. Niemandsland – das steht auch für die Hilflosigkeit und das Scheitern jedes Filmes über den Krieg, jener Gewalt, die „nur“ das Eingeständnis des bodenlosen Scheiterns darstellt. Branko Djuric, Rene Bitorajac und Filip Sovagovic meistern ihre Rollen im Schützengraben dieses Niemandslandes exzellent und glaubwürdig. Tanovic ist ein Meisterwerk über den Krieg gelungen, das sich mit Filmen wie „Saving Private Ryan“, „Apocalypse Now“, „Platoon“ oder „Full Metal Jacket“ durchaus messen lassen kann.