Als MTV zu Beginn der 80er auf Sendung ging und der Videoclip zur Triebfeder des Pop-Geschäfts wurde, wurden auch etablierte Filmemacher hellhörig. An Michael Jackson führte damals kein Weg vorbei, heute sind John Landis' Zombie-Musical „Thriller" und Martin Scorseses 18-minütiger „Bad"-Kurzfilm Pop-Geschichte. Das Format wurde zum Sprungbrett ambitionierter Jungregisseure – David Fincher, Mark Romanek, Michel Gondry, Spike Jonze oder Zack Snyder haben ihre im Clipgeschäft erlernte Bildsprache längst in den Dienst der Kino-Erzählung gestellt. Einer jedoch hat sich der Traumfabrik bisher verweigert: Jonas Akerlund, der immer für einen kleinen Skandal gute Rockstar unter den Clip-Regisseuren. Schon mit „Smack my Bitch up" für The Prodigy hat er die Geschmacksgrenzen des Musikfernsehens überschritten. Die Amokfahrt der Cardigans in „My Favourite Game", Robbie Williams' verkaterter Morgen danach in „Come Undone" oder Rammsteins Porno-Gerammel in „Pussy" – Gefangene wurden stets anderswo gemacht. So erstaunt es auch kaum, dass sein Kinodebüt „Spun" von 2002 eine echte Orgie von einem Film ist, die seinen irren Clips in nichts nachsteht.
Eigentlich wollte sich der Junkie Ross (Jason Schwartzman) nur ein wenig Metamphetamine besorgen, um mit seinem „Sex-Date" April (Chloe Hunter) ausdauernd und zügellos durch die Federn zu toben. Ehe er sich versieht, gerät er dabei jedoch in einen hysterischen Beziehungskrach zwischen dem aggressiven Dealer Spider Mike (John Leguizamo) und dessen ebenfalls nicht ganz dichter Freundin Cookie (Mena Suvari), muss den Hund der angeknacksten Tänzerin Nikki (Brittany Murphy) zum Tierarzt chauffieren und für deren Freund, einen muskelbepackten Meth-Koch (Mickey Rourke), Fahrer und Mädchen für alles geben. Bald ist ein schmieriges Polizisten-Duo (Alexis Arquette, Peter Stormare) auf der Jagd nach Spider-Mike sein geringstes Problem. Wenn er nur nicht immer wieder vergessen würde, dass er seine Gespielin April im Rausch ans Bett gefesselt hat...
Der 2002 erfolglos in den Kinos gelaufene „Spun" wurde bereits mit den modernen Klassikern des Drogenkinos – Danny Boyles „Trainspotting - Neue Helden" und Darren Aronofskys „Requiem for a Dream" – verglichen. Sicher, mit Boyle teilt sich Åkerlund die Lust an der Auslotung von Ekelgrenzen, wenngleich er es dabei noch viel bunter treibt. Mit Aronofsky hat er jedoch nur die Montagen zur Mechanik der Sucht gemein, wobei Åkerlund die punktgenau inszenierten Mini-Clips seines Kollegen bereits in den ersten zehn Minuten locker toppt. Was ihn von beiden deutlich unterscheidet, ist derweil der entschiedene Verzicht auf Moral und Verantwortung – „Spun" ist ein vergnüglicher Kopfsprung in die Hölle. „Crystal Meth"-Konsum wird als zerstörerisch wilder Lifestyle gezeigt, der zwar offensichtlich in Wahnsinn und Verfall endet, bis dahin aber auf keinen Fall langweilig wird.
Hier gibt es kein Mitleid mit den tief Gefallenen, die ihren Kopf ins Maul der Bestie Sucht gelegt haben – sondern bloß schräge Freaks, die sich zur Belustigung des Publikums mit jeder Szene tiefer in die Bredouille reiten. Die Darsteller haben zweifelsfrei einen Heidenspaß bei diesem Wanderzirkus der Irren. Viele von ihnen wurden für kurze Zeit als potentielle Stars gehandelt, hatten jedoch keine Lust, dauerhaft nach Hollywood-Regeln zu spielen und tauchten so entweder in TV-Nebenrollen oder gleich ganz ab. Neben Jason Schwartzman („Rushmore") als Ross brillieren John Leguizamo („Carlito's Way"), „American Beauty"-Lolita Mena Survari, „Almost Famous - Fast berühmt"-Star Patrick Fugit als debiler Dauerkonsument Frisbee, Eric Roberts als tuntiger King-Pin „The Man" und die viel zu früh verstorbene Brittany Murphy als verhuschte Nikki.
Sie alle jedoch stehen im Schatten des großen Mickey Rourke, der sich seinerzeit mit „Spun" wieder ins Gespräch brachte und damit sein Comeback in Filmen wie „Sin City" und „The Wrestler" vorbereitete. Sein „Koch" ist eine waschechte Kultfigur, schon seine bizarre Kostümierung als „urban Cowboy" ist Gold wert. Mit brachialer Breitschultrigkeit stolziert er durch die Szenerie und es fällt leicht, die ehrfürchtige Schockstarre zu verstehen, die alleine seine Erwähnung bei all den anderen Freaks auslöst. Wenn „der Koch" auf der Zielgerade einen unerwartet melancholischen Ton anschlägt, ist raues Charisma gefragt – und mit Rourke im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit löst der tieftraurige Abschiedsmonolog dann tatsächlich reinste Gänsehautschübe aus.
Der eigentliche Star bleibt aber Åkerlund selbst, der genüsslich mit inhaltlicher Verantwortungslosigkeit und aggressiver Inszenierung kokettiert. Die irrwitzige Schnittfrequenz, mit der die Wahrnehmung der Drogenfreaks dargestellt wird, mag nicht jedermanns Sache sein, eine hypnotische Qualität ist dem hektischen Film aber nicht abzusprechen. So unberechenbar wie die Junkies wirkt auch die Optik – ständig verliert sich Åkerlund in aufgedrehten, assoziativen und abscheulichen Bilderstürmen, in einer Ästhetik des Hässlichen. Aus dem Nichts wird radikal der Tonfall geändert und was eben noch aggressive Groteske war, kann gleich zum Cop-Thriller, Sexfilm, Cartoon, Horror oder zur Romanze mutieren.
Der Soundtrack, der leider nie auf CD erschienen ist, passt perfekt zum wilden Leinwandtreiben – von den The-Djali-Zwan-Coverversionen von „Number of the Beast" (Iron Maiden) und „Always" (Irving Berlin) über hedonistischen Poser-Hardrock à la Mötley Crüe bis zu Satyricons Black-Metal-Hit „Mother North". Der Film spricht alle Sinne an und ist selbst so etwas wie ein Trip, aber bei allen beeindruckenden formalen Qualitäten bleibt nach 101 atemlosen Minuten Kamikaze-Entertainment nicht viel hängen. Zum Sympathieträger schafft es Protagonist Ross bis zum Schluss nicht, keine Figur macht hier eine nennenswerte oder gar interessante Wandlung durch. „Spun" endet ohne Moral und ohne einen echten Schluss, wirklich etwas zu sagen hat Åkerlund seinem Publikum nicht. „Was auch?", mag sich der kompromisslose Regisseur gedacht haben – „hätte ich eine Botschaft vermitteln wollen, hätte ich einen Brief geschrieben!".
Fazit: „Spun" ist verantwortungslos, obszön, hektisch, geschmacklos und ein Muss für Fans der Åkerlund-Videoclips. Wer Drogendramen vor allem an ihrer thematischen Sensibilität misst, sollte um diesen Film allerdings einen weiten Bogen schlagen.