Leinwand-Adaptionen von TV-Serien mit Kultpotenzial sind im Staate Hollywood eine beliebte Spielart. Die Sicht der Produzenten ist dabei klar: Die berühmte Vorlage garantiert ohne großen Aufwand zusätzliche Einnahmen. Das qualitative Ergebnis ist dabei in den allermeisten Fällen freilich bestenfalls diskutabel (als Beispiele seien Drei Engel für Charlie, Ein Duke kommt selten allein und Verliebt in eine Hexe genannt genannt). Beim aktuell grassierenden Adaptionswahn war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee eines „Miami Vice“-Remakes kommen würde, die eigentliche Ankündigung daher nicht mehr als eine Randnotiz. Erst als der Name Michael Mann mit dem Projekt in Verbindung gebracht wurde, stieg die Erwartungshaltung. Und in der Tat ist es genau so gekommen, wie es kommen musste: Manns ultra-stylischer Abgesang auf seine eigenen Wurzeln ist zwar (in der aktuellen Kinofassung; dazu später mehr) einer seiner schwächeren Filme, aber der Regie-Virtuose zeigt der in Ehrfurcht erstarrenden Konkurrenz trotzdem in allen Belangen, wie man ein solches Projekt richtig anzugehen hat.
Detective James „Sonny“ Crockett (Colin Farrell) und Detective Ricardo Tubbs (Jamie Foxx) gehören zu den härtesten Drogenfahndern der Polizei von Miami. Als ein groß angelegter Einsatz des FBI furchtbar in die Hose geht und dabei nicht nur drei Bundesagenten, sondern auch ihr eigener Informant samt Familie ihr Leben lassen, ist ihr besonderes Talent gefragt. Sie sollen undercover das Kartell des kolumbianischen Drogenbarons Jesús Montoya (Luis Tosar) infiltrieren und die undichte Stelle im Sicherheitsnetz der Bundesbehörde ausfindig machen. Um in den innersten Kreis von Montoyas Netzwerk zu gelangen, bieten sie ihre Dienste als Drogenkuriere an. Der erste Test-Transport klappt auch wunderbar und der Plan scheint aufzugehen, doch Montoyas Sicherheitschef Jose Yero (John Ortiz) misstraut den beiden Amerikanern von der ersten Minute an. Und die sich anbahnende Affäre zwischen Sonny und Montoyas Frau Isabella (Li Gong) bedeutet ebenfalls nichts Gutes…
„Miami Vice“ ist für Micheal Mann gewissermaßen ein Schritt zurück zu den eigenen Wurzeln. Von 1984 bis 1989 war er selbst als ausführender Produzent maßgeblich am Erfolg der legendären TV-Serie mitverantwortlich. Diese war zur damaligen Zeit stilistisch wegweisend und lief über fünf Staffeln und 112 Folgen rund um den Globus auf Dauerrotation. Trotzdem hat Manns „Miami Vice“ mit der pastellfarbenen Hochglanz-Ästethik der Serien-Vorlage in etwa so viel gemein, wie Dr. Uwe Boll mit guten Filmen. Außer den Charakteren von Anthony Yerkovich und dem Grundszenario ist nicht mehr viel übrig geblieben. „Miami Vice“ ist ein typischer Michael Mann: dreckig, düster und ohne Kompromisse. Bereits nach wenigen Schnitten erkennt man den unverwechselbaren Stil des Regisseurs. Optisch brillant wie immer startet der Film direkt von 0 auf 120 durch. Auf Vorspann-Credits wird gänzlich verzichtet. Stattdessen setzt Mann dem Zuschauer die wohl am besten inszenierte Discoszene seit Collateral vor – übrigens auch ein Film von Michael Mann. Besser kann ein Einstieg in einen Film eigentlich gar nicht gewählt sein. Der Zuschauer weiß sofort, was Sache ist. „Miami Vice“ ist ein stilistischer Fingerzeig. Fast so, als wolle Mann sagen: „Schaut mal her, was ich alles kann. Und schaut mal, wie einfach das doch ist.“ Gerade auf dem Gebiet der Bild-Ton-Kompositionen gehört der an der Filmschule in London ausgebildete Mann unstrittig zu den besten seines Fachs. „Miami Vice“ unterstreicht dies eindrucksvoll.
Doch es ist nicht nur die handwerkliche Brillanz, die „Miami Vice“ zu einem echtem Trip der Sinne macht. Unterm Strich ist der Film die auf Zelluloid gebannte Coolness. Gegen Sonny Crockett und Rigardo Tubbs sehen die Bad Boys aus wie Chorknaben. Die Dialoge bleiben dabei naturgemäß etwas auf der Strecke. Aber im Grunde sind diese auch vollkommen zweitrangig, um es human auszudrücken. Sonny und Tubbs waren schließlich schon damals nicht für ihre Redegewandtheit bekannt. „Miami Vice“ ist der beeindruckende Siegeszug des Stils über die Substanz. David Edelstein vom New York Magazine bringt es passend auf den Punkt: „It's a sensational trip - gorgeous, gaga.“. Dem ist eigentlich nicht viel hinzu zu fügen. Ein harter, ultra-stylisher, cooler Mackerstreifen. Die wenigen brutalen Shootouts sind sensationell, die Atmosphäre von der ersten Sekunde an kaum mehr zu toppen. Dicke Luxuskarossen, nackte Haut und zwei Helden, die keine Probleme, sondern nur Herausforderungen kennen. Kurzum: ein echter Mann-Männerfilm.
Am Cast von „Miami Vice“ werden sich die Gemüter ohne Zweifel erhitzen. Insbesondere die Besetzung der Hauptrolle birgt einiges an Zündstoff. Für die ganz eingefleischten Serienfans ist es ohnehin ein Frevel, dass ein anderer als ihr Don Johnson den Sonny Crockett spielen darf. Dass es dann aber der zweifelsohne talentierte Ire Colin Farrell (Alexander, Nicht auflegen!) mit dem Hang zum Divenhaften sein musste, war für einige dann doch zu viel, der Aufschrei groß - und daran wird auch seine Interpretation des Sonny nichts ändern. Farrell gibt sich cooler, als die Polizei erlaubt und wandelt dabei auf einem ganz schmalen Grat. Die einen werden ihn dafür hassen, die anderen lieben. Oscar-Preisträger Jamie Foxx (Ray, Jarhead) wird von Farrell etwas in den Hintergrund gedrängt, nutzt die ihm gegebene Leinwandzeit allerdings bestens aus. Er ist zwar das gute Gewissen des launischen Duos, dabei aber nicht minder hart. Dass er in der Rolle im Grunde unterfordert ist, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt. Aber die Möglichkeit zu seiner dritten Zusammenarbeit mit Michal Mann (nach Ali und Collateral) wollte er sich dann doch nicht entgehen lassen.
Chinas Export-Schlager Li Gong (2046, Die Geisha) wurde nicht nur wegen ihres unverschämt attraktiven Äußeren besetzt, sondern darf sich auch maßgeblich an der blendend funktionierenden Affäre zwischen Sonny und Isabella beteiligen (lassen wir den haarsträubenden Glückskeks-Dialog mal außen vor). Schade ist indes, dass es zu keinem Comeback von Edward James Olmos als Sonnys und Tubbs Vorgesetzter Castillio kam. Olmos, der diese Rolle während der gesamten Laufzeit der Serie begleitete, erlebt derzeit als Commander William Adama in der Erfolgsserie Battlestar Galactica seinen dritten Frühling. Mann hatte ihm die Rolle zwar angeboten, Olmos lehnte aber dankend ab. Macht aber nichts. Mit Barry Shabaka Henley (Vier Brüder, Terminal) wurde ein würdiger Ersatz gefunden. In seinen wenigen Auftritten hinterlässt er einen ungemein charismatischen Eindruck.
Ein Haar in der Suppe hat allerdings auch „Miami Vice“ - und wie groß dieses ist, lässt sich bislang nur erahnen. Offensichtlich fiel der Film massiv der Schnittschere zum Opfer. Als Grundlage für das Drehbuch diente Mann – ähnlich wie bei Insider – ein Zeitungsartikel, der die Hintergründe der Drogenmafia von Miami beleuchtete. Die von Mann gedrehte Filmfassung war den Produzenten Gerüchten zu Folge mit einer zu starken politischen Note versehen. Von den ursprünglich vom Verleih angekündigten 146 Minuten ist die finale Kinofassung jedenfalls eine ganze Ecke entfernt. Klar ist, dass teils ganze Handlungsstränge rausgeschnitten wurden. So hinterlässt „Miami Vice“ an der einen oder anderen Stelle einen etwas aus dem Zusammenhang gerissenen oder kastrierten Eindruck. Manche Story-Ansätze wirken nur wie ein Torso, manche aufgeworfenen Fragen werden nicht beantwortet.
Allerdings könnte dieser Umstand auch etwas Gutes in sich bergen. Vielleicht werden wir in absehbarer Zeit noch mit einem Director’s Cut zu „Miami Vice“ belohnt. Der Film ist bereits in der Kinofassung ein absolutes Erlebnis und eine (nahezu) perfekte Modernisierung der Serien-Vorlage. Mann zelebriert sich selbst und sein Talent. Allerdings fehlt eben deutlich etwas, damit „Miami Vice“ mit Manns Referenzwerken Heat und Insider in einem Atemzug genannt werden müsste. Vielleicht würden die fehlenden Minuten und der fehlende politische Subtext den Cop-Thriller in diese Sphären hieven. Aber diese Frage wird wohl nur die Zeit beantworten.