Mein Konto
    Weißer Oleander
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Weißer Oleander
    Von Ulrich Behrens

    Eine Frau so schön wie weißer Oleander und genauso Gift für diejenigen, die in ihrer Umgebung auftauchen – eine solche Frau spielt Michelle Pfeiffer in dem jetzt angelaufenen Film von Peter Kosminsky („Wuthering Heights“, 1992, mit Juliette Binoche und Ralph Fiennes). Wer ein Mutter-Tochter-Drama à la Hollywood erwartet, hat teilweise richtig geraten, zum großen Teil aber auch nicht. „Weißer Oleander“ ist eine äußerst merkwürdige Mischung aus dem Mainstream folgender Beziehungsstory und ernst zu nehmendem Drama. Vor allem Michelle Pfeiffer, Alison Lohman und Renée Zellweger verdankt die Geschichte Kraft und Tiefe, dem Drehbuch manchmal eine etwas inkonsequente Episodenhaftigkeit, die bei Gesamtschau dem Film an Homogenität nimmt.

    Ingrid Magnussen (Michelle Pfeiffer) ist eine selbstbewusste, starke Frau, die ihrer Tochter all das geben will, was Astrid (Alison Lohman) ebenfalls dazu befähigen soll, sich gegen alle Widerwärtigkeiten und Widerwärtigen des Lebens durchzusetzen – so jedenfalls sieht es Ingrid. Astrid bewundert ihre schöne Mutter, versucht in ihre Fußstapfen zu treten, doch dann geschieht etwas, was für beide fatale Konsequenzen hat. Ingrid ermordet ihren Liebhaber Barry (Billy Connolly), der eigentlich gar nicht ihr Typ von Mann ist, aus Eifersucht und Besitzansprüchen und wird zu 35 Jahren Haft verurteilt. Astrid wird in einer Pflegefamilie untergebracht, die aus zwei kleinen Jungen, einer rebellischen Tochter im Teenageralter, der Mutter Starr (Robin Wright Penn) und ihrem Geliebten Ray (Cole Hauser) besteht. Als Starr vermutet, Astrid komme Ray zu nahe, schießt sie auf Astrid, die daraufhin in einem Jugendheim untergebracht wird. Dort lernt sie den jungen Comic-Zeichner Paul (Patrick Fugit) kennen, der sich in sie verliebt. Beide verbringen eine Zeit miteinander, bis man kurz darauf für sie ein neues Heim bei der erfolglosen Schauspielerin Claire (Renée Zellweger) und ihrem Mann, dem ständig abwesenden Regisseur Mark Richards (Noah Wyle), der offenbar schon lange plant, sich von seiner Frau zu trennen. Als Astrid bei einem Besuch im Gefängnis ihrer Mutter von der sich gut entwickelnden Beziehung zwischen ihr und Claire erzählt, versucht Ingrid, einen Keil zwischen beide zu treiben. Sie bittet Claire um einen Besuch im Gefängnis. Kurz darauf bringt sich Claire aus Verzweiflung mit Tabletten um. Immer deutlicher wird Astrid, dass Ingrid begonnen hat, auch ihr Leben zu zerstören. Sie beginnt sich zu wehren ...

    Elliot Davis Bilder, sei es aus dem Gefängnis, sei es bei den verschiedenen Stationen von Astrids Leidensweg, sind beeindruckend, bezaubernd und erschreckend zugleich. Kosminsky hielt trotz der teilweise tragischen Verwicklungen die Inszenierung im Lot, das heißt, er verzichtete weitestgehend auf rührseliges Pathos. Auch die Musik Thomas Newmans passte sich in dieses Konzept eines eher leise und behutsam inszenierten Dramas ein. Der rote Faden der Geschichte zwischen Ingrid und Astrid bleibt durchweg erhalten, was vor allem den beiden Schauspielerinnen und der Kameraführung zu verdanken ist. Michelle Pfeiffer ist überzeugender denn je. Sie spielt eine nach außen selbstbewusst auftretende, verbal sehr beflissene, anderen gegenüber aber feindlich gesinnte Frau, die in Wirklichkeit psychisch stark angegriffen ist. Sie liebt ihre Tochter, aber sie lässt Astrid nicht ihr eigenes Leben führen, sondern will aus ihr eine Kopie ihrer selbst machen. Michelle Pfeiffer gelingt in dieser Hinsicht ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Etwas ähnliches gilt für Alison Lohman. Ich habe selten eine Schauspielerin in diesem Alter gesehen, die einen ganzen Film durchweg tragen kann. Sie spielt diese Astrid in ihrer ganzen Verletzlichkeit, aber auch in ihrer Kraft, die sich von der scheinbaren Stärke ihrer Mutter deutlich unterscheidet, weil ihr andere Menschen, die sie gut behandeln, die sich ihr zuwenden, nicht gleichgültig sind. Aus dieser Gegensätzlichkeit von Mutter und Tochter gewinnt „Weißer Oleander“ vor allem seine emotionale Kraft, auch deswegen, weil beide sich trotz aller Konflikte, ja trotz des Grunddissenses zwischen ihnen, nie aus den Augen verlieren, so schwer es vor allem für Astrid auch sein mag. Die Sensibilität im Spiel zwischen Pfeiffer und Lohman gehört zum besten, was ich in Filmen je zu Gesicht bekommen habe.

    Allerdings, hier beginnen die Bedenken, hat Kosminsky den Film, ich will es einmal so ausdrücken: überfrachtet. Die einzelnen Stationen in Astrids Weg nach dem Mord sind Geschichten für sich, die für je weitere Filme taugen würden. Zudem sind sie äußerst unterschiedlicher Qualität. In der Familie von Starr z.B. lernen wir eine ehemalige Drogenabhängige, gespielt von Robin Wright Penn, kennen, die sich der Bibel verschrieben hat, deren Leben aber oft anders aussieht, als es Jesus Christus vorsehen mag; einen Geliebten, der mit Religion nicht viel am Hut hat und dem es Astrid als Frau angetan hat; einen Teenager, der erhebliche Konflikte mit Starr auszutragen hat; zwei kleine Jungen, die irgendwo dazwischen schauen müssen, wie sie zurecht kommen. Kurzum: zu viel des Guten. Und leider streift Kosminsky, was nicht zu verwundern braucht, diese Fülle von Konflikten nur an der Oberfläche. Der Schuss auf Astrid wirkt in dieser Hinsicht daher auch nicht sehr überzeugend.

    Ähnliches gilt für die nächste Pflegefamilie. Renée Zellweger ist eine grandiose Claire Richards. Ihre Begegnungen und Gespräche mit Astrid sind so wunderbar wie die zwischen Mutter und Tochter. Doch dann packt Kosminsky wiederum eine Geschichte aus, an der nur leicht gekratzt wird: den Konflikt zwischen der erfolglosen Schauspielerin, von der sich der Mann entfremdet hat, der sie verlassen will und die sich dann umbringt. Schließlich ist da noch die Beziehung zwischen Astrid und dem elternlosen Paul, gut gespielt von Patrick Fugit (man erinnere sich an seine Hauptrolle in „Almost Famous“, 2000), die wiederum einen eigenen Film wert wäre. Er ist Comic-Zeichner, nach Meinung von Astrid sogar ein Künstler. Auch diese Beziehung wird nur gestreift und am Schluss wieder aufgenommen. Völlig daneben geraten ist die Einführung einer russischen Ersatzmutter (gespielt von Swetlana Efremova), die eher einem schon hundertmal wiedergekäuten Klischee entspringt denn irgendeinem Bild von einem leibhaftigen Menschen. Auch die Entscheidung Astrids, bei dieser Frau wohnen zu wollen, ist unglaubwürdig. Und um an den Ausgangspunkt des Films zurückzukommen: Die Geschichte vom Mord an einem Mann, den Ingrid wahrscheinlich nicht einmal liebte, passt nicht so ganz in das psychologische Bild, das ansonsten von ihr gezeichnet wird.

    „Weißer Oleander“ ist ein typisches Beispiel für die Maxime: manchmal ist weniger mehr. Wenn Kosminsky diesem Rat gefolgt wäre, gehörte „Weißer Oleander“ zu den absolut besten Filmen des Jahres. So aber erscheinen die Episoden in Astrids Leben manchmal wie auf Mainstream ausgerichtete und oft oberflächlich abgehandelte Stationen eines Leidens-, aber auch eines Glücks-Wegs. Zu simpel wirkt dann, dass für Astrid immer irgendeine Lösung gefunden wird, und wenn die letzte schlecht war, ist die nächste eben besser.

    (Zuerst erschienen bei CIAO)

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top