Warum lieben wir Filme? Wahrscheinlich, weil das Kino eine zutiefst eskapistische Kunstform ist. Es erlaubt, dass wir uns aus unserem gewohnten Trott lösen und uns für zwei Stunden in eine andere Welt zurückzuziehen. Den Figuren in Anders Thomas Jensens Tragikomödie „Flickering Lights" geht es ähnlich. Doch sie sehnen sich nach Normalität, einem möglichst bürgerlichen Leben. Für sie ist die Flucht eine in den Alltag.
Der Kleinkriminelle Torkild (Soren Pilmark) hat von seinem Leben als Anführer einer Schieberbande gehörig die Schnauze voll. Ausgerechnet an seinem 40. Geburtstag verlässt ihn seine Freundin (Iben Hjejle). Um seine Schulden bei einem „Der Faröer" genannten Gangsterboss zu begleichen, nimmt Torkild einen letzten Auftrag an. Der Coup bringt ihn unversehens in den Besitz eines Aktenkoffers. Dessen Inhalt: vier Millionen Kronen. Kurzerhand unterschlägt er das Geld und macht sich mit seinen Komplizen Peter (Ulrich Thomsen), Arne (Mads Mikkelsen) und Stefan (Thomas Bo Larsen) auf nach Spanien. Doch noch vor der deutschen Grenze macht ihr klappriger Fluchtwagen schlapp. Ziellos irren die vier durch die dänischen Wälder, bis sie schließlich in einem verlassenen Gasthaus ihr Nachtlager aufschlagen. Kurzentschlossen kauft Torkild die Bruchbude und beschließt, mit seinen Freunden ein Restaurant zu eröffnen. Doch der Faröer ist ihnen bereits auf den Fersen...
Dem skandinavischen Film haftet seit jeher der Ruf von verkopftem Arthouse-Kino an. Erst nach und nach trugen in den vergangenen Jahren Perlen wie „Adams Äpfel" oder „So finster die Nacht" die Vielseitigkeit und Kreativität nordischer Produktionen in die Welt. In diese Kategorie fällt auch „Flickering Lights", dem 2000 nur ein kleiner Kinostart in Deutschland vergönnt war. Anders Thomas Jensen ist so etwas wie das Sonntagskind des dänischen Films. Drei Oscar-Nominierungen, darunter auch ein Sieg (1999 als bester Kurzfilm für „Wahlnacht"), stehen für den Drehbuchautor und Regisseur zu Buche. Mit „Flickering Lights", seiner zweiten abendfüllenden Regiearbeit, bewies er wieder einmal sein außerordentliches Gespür für ebenso skurrile wie tragische Charaktere.
Zunächst wirken die Figuren wenig dreidimensional. Der Landarzt hat durchweg einen in der Krone und der gesprächige Nachbar entpuppt sich als liebenswürdiger Waffennarr. Zunächst scheint es, als könne man auch die vier Hauptfiguren auf jeweils eine Kerneigenschaft eindampfen. Torkild steckt in einer Midlife Crisis, Peter ist drogenabhängig, Arne ein pistolenwedelnder Choleriker und Stefan ein gutmütiger Fußabtreter. Doch nach und nach erhält der Zuschauer mittels Rückblenden einen tieferen Zugang zu den Charakteren. Verdeutlicht durch das wiederkehrende Symbol des viergeteilten Rundfensters. Er wird Zeuge davon, wie Torkild bereits als Heranwachsender zwischenmenschliche Beziehungen gezielt torpedierte, und erfährt, welche Schuld Arne auf sich geladen hat.
Aus der Kindheit langer, dunkler Nacht Flackern wieder kleine Lichter auf, ganz sacht Wie Spuren der ErinnerungSind sie in dein vereistes Herz gedrungen
Einem hast du mal deine Nähe erlaubtDass er dich versteht, hast du nie geglaubtDenn du hast dein Leben dem Schein der Lichter geweihtUnd niemand ist da, der dich davon befreit
(Aus „Flickering Lights" von Tove Ditlevsen)
„Flickering Lights" ist eine Geschichte über Entscheidungen und die Konsequenz (nicht-)eingeschlagener Lebenswege. Der Reihe nach finden die vier Freunde Substitutionsmittel für ihre Laster. Dabei macht es sich der Film keineswegs so einfach, die Entwicklung seiner Figuren als per se richtig zu porträtieren. Gemäß den Regeln des Dogma-Films sind sie lebendige Menschen, die auch mal danebenliegen und deren Wandlung nicht zwingend zum Besseren sein muss. So bleibt es dem Zuschauer überlassen, ob es ein Fortschritt ist, Gewalt gegen Tiere statt gegen Menschen auszuüben oder die schwangere Freundin sitzenzulassen, weil sie nicht ins eigene Konzept von Familie passt. Ohnehin tauchen Frauen höchstens als Neben- oder Randfiguren, als Liebhaberinnen oder Mütter auf. Sie symbolisieren ihrerseits zumeist Schuld, sei sie beglichen oder ausstehend. Allein Sofie Grabol („Kommissarin Lund") als Stefans Freundin Hanne wird etwas mehr Raum zugestanden.
Fazit: Die Melancholie düsterer dänischer Wälder, gepaart mit leichtherzigem Humor - Thomas Jensen ist mit „Flickering Lights" ein starker Film gelungen. Die Figuren sind skurril und mit spürbarer Freude gespielt. Die Wandlung der zynischen Großstadtganoven zu Familienmenschen bleibt dadurch jederzeit glaubwürdig. Es mag ein Klischee über Skandinavier sein, dass ihnen das Bedürfnis nach einem sinnstiftenden Erlebnis in den heimatlichen Wäldern innewohnt. Doch im Falle der entfremdeten Kleinkriminellen aus „Flickering Lights" trifft es mit Sicherheit zu. Sie alle eint letztendlich die Suche nach einem Fixstern. Der Wunsch, etwas in ihrem Leben zu finden, das sie lieben können. Die Wertung hat sich „Flickering Lights" übrigens gleich selber gegeben: „Vier Sterne. Einen für Stefan. Einen für Peter. Einen für Arne. Und einen für Torkild." - Theresa