Einen weitgehend von der Kritik unbeachteten, oft gemiedenen Film drehte Sydney Pollack 1979 mit „Der elektrische Reiter“ - ein Drama über einen Rodeo-Reiter, der in Las Vegas zum herunter gekommenen Werbe-Hampelmann eines Konzerns verkommt. Wie auch in anderen Filmen beschäftigt sich Pollack mit der Konfrontation zweier Welten, aber auch mit dem Aufeinanderprallen von Weltsichten in einer Zeit, in der die Visualisierung von Welt immer bedeutender, jedoch auch immer problematischer geworden ist.
Sonny Steele (Robert Redford) war einmal ein großartiger Rodeo-Champion. Doch mit der Berühmtheit kam auch sein Abstieg. Denn jetzt ist er nicht mehr als ein billiger Abklatsch seiner selbst. Er hat sich dem milliardenschweren Konzern „Ampco“ verpflichtet und tritt als beleuchteter Werbereiter für dessen Produkte auf – für Cornflakes und anderes. Ausgestattet mit bunten, metallbesetzten Cowboy-Kostümen verdient er eine Menge Geld mit albernen Werbesprüchen in Las Vegas und anderswo. Das Rodeo-Leben ist ebenso vorbei wie seine Ehe mit Charlotta (Valerie Perrine). Sonny spürt, wie entfremdet ihm sein Leben geworden ist, lässt sich oft mit Tequila volllaufen und erscheint meist betrunken zu den Werbeveranstaltungen, die mit großem Pomp von „Ampco“ inszeniert werden. Es kommt schon mal vor, dass er in der Arena plötzlich vom Pferd fällt. Bei einer dieser Glitzershows soll Sonny wieder einmal auf ein Pferd steigen und nach dem Auftritt von tanzenden Girls über den Laufsteg reiten. Er erfährt, dass man das Pferd – eines der besten und teuersten Rennpferde Amerikas, das „Ampco“ gehört – mit Steroiden vollgepumpt hat, um es ruhig zu stellen. Sonny steigt auf das Pferd, reitet über den Laufsteg, dann zwischen den Sitzreihen hindurch aus dem Gebäude hinaus, die Straße hinunter in die Nacht.
„Ampcos“ Boss Hunt Sears (John Saxon) verbreitet, Steele habe das teure Pferd gestohlen. Was er der Presse nicht sagt, ist, dass das Pferd unter starke Medikamente gesetzt wurde, die sogar zur Sterilität führen können. Steele hat nur ein Ziel: Er will „Rising Star“ weit weg in eine Gegend bringen, in der das Pferd die Möglichkeit hat, in einer Herde von Wildpferden wieder frei zu sein. Bei seinem alten Freund Gus Atwater (Will Hare) besorgt sich Sonny ein Wohnmobil und fährt los. Inzwischen hat die Fernsehreporterin Alice Martin (Jane Fonda) Lunte gerochen für eine große Story.
Regisseur Pollack („Tootsie“, „Jenseits von Afrika“, Die drei Tage des Condor, Die Dolmetscherin) kontrastiert in großartig gefilmten Bildern eine scheinbar verlorene Welt, die Idylle des ländlichen, verwurzelten, originären Amerika mit der hochtechnisierten, visuell überfluteten Welt der von Geld beherrschten und beeinflussten modernen Zeit. Untermalt mit Country-Musik wechselt der Film häufig zwischen der Glitzerwelt Las Vegas und der weiten Landschaft des Westens, der Rocky Mountains, des provinziellen, ländlichen Lebens.
Pollack zeigt uns das Bild des „alten Westens“ jedoch zugleich als Illusion: Das Rodeo steht für eine Wirklichkeit, wie sie nie war oder jedenfalls nicht so, wie sie in der Visualisierung der Bilder von Kämpfen erscheint: Der Kampf mit der Natur, auch gegen die Natur, die Bezwingung der Natur durch den „Treck nach Westen“ ist zugleich doch die Voraussetzung für die „neue Welt“, in der Mammutkonzerne ihre Manipulationen Wirklichkeit werden lassen, vor allem dadurch, dass sie durch eine visuelle Überflutung dem Schein den Schein nehmen wollen. Sears erscheint als Realist dieser „neuen Welt“, wenn er seine Kampagne mit dem Ziel der Fusion an dem Punkt ändert, als die Misshandlung des teuren Pferdes publik wird. Während er bis dahin Sonnys Reputation in der Öffentlichkeit zerstören wollte, versucht er jetzt, Sonnys Handlung für sich zu nutzen und lässt Fernsehen, Zeitungen und Öffentlichkeit am vermeintlichen Zielort Sonnys zusammentreiben.
Pollack zeigt jedoch auch den Schein in Sonnys Leben selbst, den dieser erkannt hat. Sonnys Weg ist nicht der zurück zum Rodeo. Diese Phase der illusionären Einbindung in das Amerika der Siedler ist für ihn vorbei. Sein Weg ist der eines Einzelgängers, bewusst gewählt, zielstrebig, aber trotzdem verloren. Er rettet das Pferd vor dem Zugriff Sears, doch er selbst steht am Schluss auf dem Highway, den Daumen im Wind.
Und Pollack zeigt die Medien, die das Bild Amerikas, wie es „Ampco“ und Sears verkörpern, in die Öffentlichkeit transportieren: als bloßen manipulativen Schein einer Welt, in der es nur noch ums Geschäft geht. Reporterin Alice Martin spürt ab einem bestimmten Punkt die Funktion, die sie in dem ganzen Spiel erfüllt. Sie produziert Bilder, die Wirklichkeit werden sollen, statt eine Wirklichkeit zu ergründen, die in Bilder gefasst wird.
Nicht zuletzt stellt Pollack die Öffentlichkeit ins Zentrum des Films. Als Sonny schon zu Anfang des Films zu spät und betrunken zu einer Werbevorführung kommt, hat ein anderer elektrischer Reiter auf dem Pferd in der Arena Platz genommen, den „Ampco“ für Steele ausgibt. In einer Welt des Scheins, der Äußerlichkeit, der Manipulation, die zur Realität geworden sind, spielt es keine Rolle mehr, wer auf dem Pferd sitzt, sondern nur, für wen er ausgegeben wird. Individualität hat ihren Zweck verloren. Steele weiß keinen Weg aus der Welt des Scheins. Aber er offenbart diesen visualisierten Schein als das, was er ist. Was Sears nicht gelingt, glückt Steele: Er kann die Öffentlichkeit auf seine Seite ziehen, in dem er die manipulativen Instrumente, die Medien, für seinen Weg, das Pferd zu retten, für sich in Anspruch nimmt.
Pollack erweist sich mit „Der elektrische“ als Visionär des Visuellen, als ein Regisseur, der den Schein als solchen enttarnt und die Pseudowelten und Trugbilder einer Wirklichkeit entzaubert, die nicht originär sind. Er de-konstruiert die Welt des korporativen Kapitalismus und seiner Gesetze, die nicht in der „Natur der Dinge“ verwurzelt sind, sondern in der Konstruktion von Bildwelten, einer ganzen Flut von Bildwelten, die unsere Realität oft mehr bestimmen, als wir wahr haben wollen. Sonny Steele sucht nach Verankerung, Verwurzelung, Heimat, nicht als einem geographischen Ort, sondern als einen Ort in sich selbst. Er desavouiert damit eine Welt, in der subjektive Verortung nicht mehr möglich zu sein scheint.