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    Die Unbeugsamen 2 - Guten Morgen, ihr Schönen!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Unbeugsamen 2 - Guten Morgen, ihr Schönen!

    Superheldinnen des Alltags?!

    Von Gaby Sikorski

    Mit Sequels ist das so eine Sache: Im Mainstream-Kino sind sie gang und gäbe, denn es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, an den Erfolg eines Films anzuknüpfen. So entstehen dann 25 James-Bond-Filme oder 14 Teile von „In einem Land vor unserer Zeit“. Im Arthouse-Bereich sind Sequels dagegen eher unüblich: Der erst vor wenigen Monaten erschienene „15 Jahre“, das Rachedrama mit Hannah Herzsprung als lose Fortsetzung von „Vier Minuten“, ist eines der wenigen Beispiele. Sogar noch seltener sind Sequels von Dokumentarfilmen. Der große Erfolg von Tosten Körners „Die Unbeugsamen“ über Frauen in der bundesdeutschen Politikgeschichte hat trotzdem den Grundstein für eine Fortsetzung gelegt.

    „Frauen, wenn wir heute nichts tun, leben wir morgen wie vorgestern!“ Das Zitat der DDR-Künstlerin und Regimekritikerin Annemirl Bauer steht am Ende von „Die Unbeugsamen“. Allerdings beschränkte sich Torsten Körner im Anschluss auf die Zeit der Bonner Republik und auf die wenigen wackeren Damen, die sich seit 1949 abgerackert hatten, um für ihre eigene Akzeptanz und für ihre Politik zu kämpfen. Das Zitat könnte aber ebenso im Mittelpunkt von „Die Unbeugsamen 2 - Guten Morgen, ihr Schönen!“ stehen, denn diesmal geht es um Frauen in der DDR und ihre Kämpfe in einer Gesellschaft, die von Männern und ihren Vorgaben geprägt ist.

    Majestic-Filmverleih
    Auch eine Erkenntnis von „Die Unbeugsamen 2“: Die DDR-Frauen hatten einen ganz wunderbaren Humor.

    Torsten Körners Gesprächspartnerinnen sind diesmal nicht nur Politikerinnen, sondern Frauen aus allen Bereichen, darunter auch Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen und Musikerinnen. Einige sind bekannt, so wie die „Good Bye, Lenin!“-Star Katrin Sass, die Autorin Katja Lange-Müller oder Brunhilde Hanke, die langjährige Bürgermeisterin von Potsdam. Körner spricht mit Oppositionellen und Integrierten, mit Frauen aus der Stadt und vom Lande, mit Arbeiterinnen und LPG-Vorsitzenden. Gemeinsam mit ihnen taucht der Regisseur in die Lebenswelten der DDR-Frauen ein, die sich ebenso wie ihre West-Schwestern mit Benachteiligung und Diskriminierung herumschlagen mussten, auch wenn sie zumindest auf dem Papier bereits einen höheren Grad der Gleichberechtigung erreicht hatten.

    Immerhin durften sie genauso schwer arbeiten wie die Männer – das galt für viele seinerzeit als erstrebenswertes Ziel. Dafür waren viele Frauen bereit, eine beständige Überforderung in Kauf zu nehmen. Denn Haushalt und Kinder galten hier wie dort als Frauensache. Im Westen wie im Osten herrschte ein saturiertes Patriarchat: Die Männer, besonders wenn sie was zu sagen hatten, wollten nur höchst ungern etwas von ihrer Macht abgeben und ließen sich gern bedienen. Da war es dann eine echte und allseits bejubelte Sensation, wenn sich die Männer am Frauentag eine Schürze umbanden, um den Damen den Kaffee zu servieren. Einmal im Jahr.

    Auch Kamera und Schnitt sind top

    Frauen in der DDR wurden – laut Frauenreport von 1990 – ebenso wie in der Bundesrepublik im Durchschnitt schlechter bezahlt, und sie hatten geringere Aufstiegschancen. Im Osten wie im Westen mussten sich Frauen ihre Rechte erkämpfen. Dafür brauchten sie List und Cleverness, aber vor allem Humor und Geduld. Dies sind die Zutaten, aus denen Torsten Körner seinen Film komponiert hat. Für die einfallsreiche Bildgestaltung zeichnete Anne Misselwitz verantwortlich.

    Eingeteilt in kurze Kapitel, die durch Inserts eingeleitet werden, stellt Körner in von seiner Editorin Sandra Brandl geschickt geschnittenen Interviews viele unterschiedliche Frauen und ihre Biografien vor – eine Art Gruppenporträt, das von seiner Vielfalt ebenso lebt wie von der gemeinsamen Motivation, die Vergangenheit noch einmal lebendig werden zu lassen. Die Gespräche werden mit zahlreichen Fotos, Filmclips oder TV-Ausschnitten kombiniert und mit passenden DDR-Songs untermalt. Ein komplettes Kapitel widmet Körner der Malerin Annamirl Bauer, die mit ihrer rebellischen, feministischen Kunst zur Außenseiterin wurde. Doch gegen alle Widerstände eroberten sich die Frauen immer mehr Freiräume, um sich Gehör zu verschaffen und ihre Träume zu leben.

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    Auch wenn in der DDR auf dem Papier Gleichberechtigung herrschte, sah es im Alltag doch etwas anders aus.

    Körner schafft dabei unauffällig eine chronologische Struktur, aber auch eine angenehm liebevolle, leicht nostalgisch angehauchte Atmosphäre, in der zunächst viele kleine Geschichten und Anekdoten vom Frauenleben in der DDR erzählt werden. Dennoch ist der Film alles andere als oberflächlich, im Gegenteil: Nach dem relativ harmlosen Beginn mit dem Insert „Heldinnen der Arbeit“ steigert sich die Intensität, es geht zur Sache – Butter bei die Fische: Die Interviews werden länger und konkreter, parallel dazu entwickelt sich eine schöne Ironie aus dem Miteinander und Gegeneinander von Erzählungen, Clips, Songs und Filmausschnitten. Es geht immer stärker in Richtung Systemkritik, und dies nicht nur, weil auch einige bekanntere Stimmen der DDR-Opposition zur Sprache kommen.

    „Emanzipierte Frauen sind alle potenzielle Dissidenten“, lautet das Zitat von Irmtraud Morgner, der 1990 verstorbenen Autorin. Katja Lange-Müller, die Schriftstellerin, die ebenso vergnügt wie beständig Kette raucht, erzählt von ihrem „unhandlichen Leben“: Sich durchbeißen oder durchgebissen werden, hieß die Devise. Frauen wurden als billige Arbeitskräfte gebraucht und ausgenutzt. Und viele waren auch noch glücklich darüber. Torsten Körner zeigt dazu Bilder von abgearbeiteten, ernsten Frauen, kaputt vom Schuften und von der Sorge um die Familie. Zum Dank dafür durfte die DDR-Frau zum Mythos werden: als Superheldin des Alltags. Im Gegensatz zu ihren West-Schwestern galt die DDR-Frau als fortschrittlicher, freizügiger und emanzipiert. Dazu offenbar so anpassungsfähig wie ein Chamäleon. Doch um welchen Preis? Wer sich in dieser Welt behaupten wollte, brauchte viel Mumm und Humor. Und davon hatten die DDR-Frauen mehr als genug, auch das beweist „Die Unbeugsamen 2“.

    Fazit: Nach einem scheinbar harmlosen Beginn taucht Torsten Körner in schöner Beiläufigkeit und bei gleichbleibend leichter und lockerer Stimmung mit seinen Protagonistinnen in eine Vergangenheit ein, in der dank ausgeklügelter Belohnungs- und Unterdrückungsstrukturen ein ebenso restriktives patriarchales System herrschte wie im von der DDR so oft und gern verteufelten Westen. Körner entlarvt die DDR-Ideologie als prinzipiell frauenfeindlich, er erzählt von Friedensaktivistinnen wie Ulrike Poppe oder von der legendären Steffie Spira. Und er zeigt einen der schönsten Filmausschnitte aus einem der besten DDR-Filme: „Solo Sunny“ mit der unvergessenen Renate Krößner. „Ist ohne Frühstück“, entgegnet sie am Morgen ihrem One-Night-Stand. Und als der widersprechen will, raunzt sie hinterher: „Ist auch ohne Diskussion.“ Wie gesagt: Mumm und Humor.

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