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    In A Violent Nature
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    In A Violent Nature

    Ein Horror-Slasher, wie man ihn noch nie gesehen hat!

    Von Jochen Werner

    Was macht eigentlich Jason Voorhees zwischen den Kills, wenn er nicht gerade im Gebüsch Teenagern auflauert oder plötzlich aus dem Crystal Lake auftaucht? Diese Frage hat sich wohl jeder Fan der „Freitag der 13.“-Filme oder der unzähligen ähnlich gelagerten Slasher schon einmal gestellt. Der bisher nur durch eine Reihe von Kurzfilmen sowie einen Beitrag zum Anthologiefilm „The ABCs Of Death 2“ in Erscheinung getretene US-Regisseur Chris Nash hat mit „In A Violent Nature“ nun einen Slasher konsequent aus der Perspektive des Killers erzählt. Schon irgendwie komisch, dass es nach dem Beginn der ersten großen Slasher-Welle Ende der 1970er fast ein halbes Jahrhundert gedauert hat, bis endlich jemand auf diese so naheliegende wie gute Idee kam.

    Aber vielleicht ist das auch ganz gut und notwendig so. Denn ebenso wie „Scream“ nur deshalb so brillant funktionieren konnte, weil er auf ein solides Fundament von Wissen (und Halbwissen!) um die Konventionen des Teenie-Slashers aufbauen konnte, verlässt sich auch „In A Violent Nature“ darauf, dass sein Publikum mit den Versatzstücken und Erzählstrukturen des Wald-und-Wiesen-Slashers prinzipiell vertraut ist. Seine faszinierende Wirkung entfaltet er daraus, dass alles hier nur allzu vertraut scheint – aber zugleich auf eine Art gezeigt wird, wie man es noch nie gesehen hat. Dabei beginnt alles wie ein x-beliebiges „Freitag“-Sequel: mit einer Wiederauferstehung. Aus einem Grab irgendwo im Wald wühlen sich zwei Hände an die Oberfläche, und der berüchtigte White Pines Killer, der hier nicht Jason, sondern Johnny (Ry Barrett) heißt, kehrt zurück, um die Lebenden zu meucheln.

    „In A Violent Nature“ zeigt Altbekanntes, aber aus einer völlig neuen Perspektive. Capelight Pictures
    „In A Violent Nature“ zeigt Altbekanntes, aber aus einer völlig neuen Perspektive.

    Was genau hinter dieser Reanimation steckt, wird nicht wirklich erklärt, wir müssen die Präsenz des massigen Mörders als übernatürliche Urgewalt einfach hinnehmen. Wir folgen ihm auf seinem Weg durch den Wald, zuerst zur Hütte seines Vaters, wo wir einen Hauch von angerissener Backstory und dann auch den ersten blutigen Mord bekommen. Und dann passiert, was passieren muss im Slasher: Teenager sitzen um Lagerfeuer, flirten, trinken, feiern, schwimmen im einsamen Seen, machen Yoga am Rande von Schluchten – und verlieren ihr Leben auf mitunter überaus kreative Weise. Aber wir erleben das ganze Geschehen aus einer ganz neuen Perspektive mit: Statt im Dunkel des Waldes und in den Unschärfen des Bildes nach Spuren des Killers zu spähen und jederzeit damit zu rechnen, dass er plötzlich aus Nacht und Natur in Bildkader und Opferkörper eindringt, lauern wir mit ihm. Die gemeuchelten Jugendlichen bleiben bloße Randnotizen, Zaungäste, die im Hintergrund vorbeihuschen und deren Gesprächsfetzen wie aus großer Ferne heranwehen.

    Überhaupt funktioniert „In A Violent Nature“ über weite Strecken vor allem über sein großartiges, ganz und gar immersives Sound Design, das ihn zu einer Art Ambient-Slasher macht. Omnipräsent sind die Geräusche der Natur, das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen, die den Film in eine hypnotische, fast elegische Grundstimmung tauchen. In diese zieht dann allerdings mit dem stetigen Stapfen der schweren Schritte des Killers über Stock und Stein ein langsamer, aber unaufhaltsamer Rhythmus ein, der den gesamten Film strukturiert. Auch die exzessiveren Geräuscheinsprengsel haben etwas betont Musikalisches, so etwa in einer klanglich herausragenden Sequenz, in der Johnny mit einem Ast eine Autohupe blockiert und so durch ein sirenenartiges Klangelement den verstörenden Charakter der folgenden Mordtat hervorhebt. Ein cleveres und hocheffektives Spiel mit den Erwartungen an Horrorfilmmusik.

    Konsequent bis zum Schluss

    Ein klein wenig Angst, dass dieser wunderbare und kluge Slasher sein so schlüssiges wie im Kern schlichtes (und gerade deshalb so gutes) Konzept verraten könnte, bekommt man einmal, kurz bevor er auf die Zielgerade biegt. Da fürchtet man kurz, er könnte nun, da er Johnny und dessen Perspektive hinter sich lässt, in ein konventionelles Finale münden, das dem ambitionierten und konsequenten Charakter dann doch nicht gerecht werden könnte. Aber so kommt es dann nicht, und auch wenn „In A Violent Nature“ hier tatsächlich einen recht radikalen Bruch vollzieht, macht dieser im Hinblick auf die Genremythologie und die unverzichtbaren Plotelemente des Slashergenres sogar sehr viel Sinn. Ohne dabei die spezifische Poetik dieses einzigartigen Slashers zu verraten.

    Will man „In A Violent Nature“ in einer Traditionslinie des (Meta-)Horrorfilms verorten, so lässt er sich vermutlich am ehesten mit Filmen wie „Amer - Die dunkle Seite deiner Träume“ oder „Skinamarink“ vergleichen. Wie diese immer auch ein wenig an Kunstinstallationen erinnernden Arbeiten geht es auch ihm keineswegs um ein ironisch gebrochenes Spiel mit Genrekonventionen, sondern eher um ein abstraktes Freilegen einer Essenz. Chris Nashs zutiefst beeindruckendes Debüt ist gleichermaßen Skelettierung und Poetisierung des Schreckens, der im Herzen des zumindest in seiner klassischen Form ebenso minimalistischen wie streng strukturierten Genres lauert.

    Zwischen den Kills spaziert Johnny (Ry Barrett) vor allem durch den Wald. Capelight Pictures
    Zwischen den Kills spaziert Johnny (Ry Barrett) vor allem durch den Wald.

    Einen entscheidenden Unterschied zu einer ganz und gar abstrakten, die Grenzen des Horrorgenres selbst strapazierenden Arbeit wie „Skinamarink“ gibt es dann aber doch. Denn wo dieser konsequent darauf setzte, den Schrecken im Unsichtbaren, auch Unerzählten zu belassen, spart sich „In A Violent Nature“ diese visuelle Verweigerungshaltung. Stattdessen gestaltet er die kreativen Tötungen in ultrabrutaler, detailfreudiger (und mit praktischen Make-Up-Effekten getricksten) Weise. Damit dürfte dann auch sichergestellt sein, dass auch jener Teil des Publikums, der sich nicht so sehr für die künstlerischen Aspekte dieses Ambient-Slashers interessiert, zumindest an den gorigen Money Shots seine brutale Freude hat.

    Fazit: Ein hypnotischer Ambient-Slasher, wie man noch keinen gesehen hat. Im Kern ist „In A Violent Nature“ ein abstraktes Spiel mit Genrekonventionen und narrativen Versatzstücken – quasi was „Amer“ für den Giallo oder „Skinamarink“ für den Spukhausfilm ist. Durch seine überaus heftigen, mit Make-up und Prothesen realisierten Spezialeffekte funktioniert er aber auch als konventionellerer Genrebeitrag. So oder so, ein faszinierender Konzepthorrorfilm und ein sensationelles Regiedebüt, das man einfach sehen muss (wobei man schon ein wenig hartgesotten sein sollte)!

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