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    Alter weißer Mann
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Alter weißer Mann

    Wenn irrlichtern zur Qualität wird

    Von Christoph Petersen

    Die Fronten scheinen verhärtet, zumindest in großen Teilen des Internets. Auf der einen Seite werden Wokeness und Cancel Culture zum Untergang des Abendlandes hochstilisiert, während die andere Seite mitunter allzu leichtfertig Menschen als Rassist*innen oder Sexist*innen abstempelt, nur weil bestimmte (akademische) Codes nicht bis ins Effeff beherrscht werden. Daraus resultieren Social-Media-Kommentare, Meinungskolumnen und auch Filme, deren Urheber*innen stets ganz genau zu wissen scheinen, was denn nun richtig und was falsch ist. In den besten Fällen erweist sich das als pointiert und bissig, geht aber auch ein wenig an der Lebensrealität vieler Menschen vorbei: Ist es nicht vielmehr so, dass die meisten es durchaus „gut“ machen wollen, dabei manchmal Erfolg haben und manchmal scheitern, an der einen Stelle mitgehen und an der anderen skeptisch bleiben?

    So ließe sich wohl auch die Einstellung von Simon Verhoeven (definitiv weiß und mit 52 womöglich auch schon ein bisschen älter) beschreiben: Mit „Willkommen bei den Hartmanns“ hat der Münchner vor acht Jahren einen Film vor dem Hintergrund der damaligen Flüchtlingskrise abgeliefert, der zwar voll auf Verständnisförderung setzt, zugleich aber auch Angela Merkels ikonischen Ausspruch „Wir schaffen das!“ auf seine Alltagstauglichkeit abklopft. Die Komödie traf ganz offensichtlich einen Nerv, 2016 reichte es für mehr als 3,8 Millionen Kinobesucher*innen und Platz 5 der Jahrescharts. Nun legt der „Girl You Know It’s True“-Regisseur mit dem selbsterklärend betitelten „Alter weißer Mann“ einen vergleichbaren Film zu einem anderen heißen Eisen nach – und wieder geht er dabei mit einem ähnlichen Maß an Naivität/Neugierde/Offenheit zur Sache: Am Ende wird keine Seite mit „Alter weißer Mann“ hundertprozentig zufrieden sein – und gerade das ist seine Stärke.

    LEONINE
    Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) will eigentlich nur alles richtig machen. Aber das ist gar nicht so einfach, ganz im Gegenteil.

    Der dreifache Familienvater Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) ist bei der Fernfunk AG für das Marketing zuständig, wo hinter jeder auch noch so harmlos anmutenden Ecke der nächste potenzielle Shitstorm lauert. So wird auf dem neuesten Werbeplakat aus der anfänglichen weißen Kernfamilie schnell eine riesige Menschentraube, um nur niemanden außen vor zu lassen. Dabei muss gerade jetzt alles möglichst reibungsfrei ablaufen: Nach einem folgenschweren Tippfehler beim Börsenspekulieren setzt Heinz alles auf eine anstehende Beförderung – aber als er bei einem Firmenmeeting die asiatisch lesbare Unternehmensberaterin Lian Bell (Yun Huang) mit einer Servicekraft verwechselt, steht seine berufliche Zukunft plötzlich auf der Kippe.

    Allerdings hat sein Chef Dr. Steinhofer (Michael Maertens) einen rettenden Einfall: Heinz und seine Frau Carla (Nadja Uhl) sollen ein Dinner ausrichten, um sich und ihre Familie vor Lian Bell und dem ebenfalls zukunftsorientiert angeheuerten KI-Spezialisten Älex Sahavi (Elyas M’Barek) in einem anderen, progressiveren Licht zu präsentieren. Aber wie kommt man bloß los vom Image des „Alten weißen Mannes“, wenn im DVD-Regal ausgerechnet „Der weiße Hai“ herumsteht, an den Wänden nur Bilder weißer Menschen hängen und am entscheidenden Abend dann plötzlich auch noch der ganz und gar nicht politisch korrekte Opa Georg (Friedrich von Thun) unangemeldet vor der Tür steht?

    Ganz anders als erwartet

    Er ist zwar mehr orange als weiß, aber als wir erstmals den Titel des Films gehört haben, erschien uns sofort ein bürgerlicher Donald Trump oder ein ähnlich karikaturesker Meckeronkel als logischer Protagonist vor dem inneren Auge. Aber Pustekuchen! Heinz Hellmich entspricht eher nicht den gängigen Klischees: Sicherlich ist er als schnurrbärtiger Einfamilienhaus-Dreifachpapa jetzt nicht gerade hip, aber er kennt sich mit den einschlägigen Inklusions-Konzepten und politisch korrekten Termini durchaus aus – und er verwendet sie auch nicht nur, weil sein Job das verlangt, sondern weil er tatsächlich dran glaubt. Aber so ganz kann er aus seiner Haut eben nicht heraus, und so stolpert er trotz aller guten Absichten von einem Fettnäpfchen ins nächste, während der Film und wohl auch ein Großteil des Publikums auf seiner Seite stehen.

    „Alter weißer Mann“ ist weder eine Abrechnung mit alten weißen Männern – noch springt er vorbehaltlos für ihre Ehrenrettung in die Bresche. Aber zumindest ein gewisses Verständnis weckt er schon, wenn er seinen Protagonisten immer wieder über die Fallstricke der Polítical Correctness stolpern (aber nie stürzen) lässt und ihn dazu auch noch mit den potenziell menschenverachtenden Abgründen einer KI-gesteuerten Firmenstrategie konfrontiert: „Fack Ju Göhte“-Star Elyas M’Barek ist als Silicon-Valley-Aufschneider mit in den Spitzen blondierten Haaren herrlich schmierig – und die von ihm implementierte KI SAM, die in Form eines niedlichen Emoji-Gesichts auf den Bildschirmen zu sehen ist, erweist sich als wahrhaftiges Teufelszeug. Aber missen möchte man sie trotzdem nicht, den viele der lautesten Lacher gehen eindeutig auf ihr Konto.

    LEONINE
    Nach einem Abstecher ins Silicon Valley ist KI-Profi Älex Sahavi (Elyas M’Barek) als absoluter (Selbst-)Optimierungs-Guru ins digital rückständige Deutschland heimgekehrt.

    Ein wenig wirkt das Skript zu „Alter weißer Mann“ schon so, als hätte sich Simon Verhoeven über die vergangenen Jahre eine (ziemlich lange) Liste mit all den Dingen angelegt, die in der aktuellen Debatte eine Rolle spielen – und dann auch den Anspruch gehabt, das alles irgendwie unterzubekommen: Zu vielem davon sind ihm gute Gags eingefallen, manches wirkt aber auch einfach nur wie runtergerattert, etwa wenn der Großvater ein (grenzwertig-)rassistisch-sexistisches „Best-of“ inklusive des Klassikers „Nein, ich meine, wo du wirklich herkommst?“ abfeuert. Mitunter scheint da sogar etwas durcheinandergekommen zu sein, etwa wenn er eine VR-Brille mit Snapchat-Filtern kombiniert. Aber insgesamt ist die Trefferquote gerade dafür, dass hier auf keine Seite einfach nur draufgehauen wird, erfreulich solide geraten.

    Für reichlich Lacher und genügend Diskussionsstoff für die Heimfahrt nach dem Kinobesuch ist also gesorgt. Aber das schlagende Herz des Films ist gar nicht sein satirischer Sprengstoff, sondern die Geschichte einer am Rande des Zerbrechens stehenden Familie, die erst wieder Selbstironie und Lockerheit lernen muss, um zusammenzuwachsen. In dieser Hinsicht ist Simon Verhoeven dann womöglich doch wieder ein (spießiger) alter weißer Mann, aber wenn das Ergebnis so sympathisch ausfällt wie beim finalen Anti-alter-weißer-Mann-Abendessen, dann haben wir da ehrlicherweise gar nicht unbedingt etwas dagegen.

    Fazit: Eine eher sympathische als bissige Zeitgeist-Komödie, die gerade deshalb überzeugt, weil sie nicht so tut, als hätte sie – in die eine oder die andere Richtung – eh alles voll durchschaut. Stattdessen irrlichtert Simon Verhoeven zwar ohne klare Zielrichtung, aber dafür dennoch mit überzeugender Trefferquote durch den aktuellen Diskurs – und am Ende entpuppt sich eine (ziemlich arschige) Künstliche Intelligenz namens SAM als zuverlässigster Szenendieb!

    PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Alter weißer Mann“ ist unsere Wahl für den Oktober 2024.

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