„Was die Heiden von uns unterscheidet, ist jene am Ursprung all ihrer Glaubensformen unternommene Anstrengung, nicht vom Menschen aus zu denken, um die Verbindung mit der ganzen Schöpfung, das heißt mit der Gottheit, zu erhalten.” (Antonin Artaud)
ACHTUNG SPOILER! Die folgende Filmkritik erzählt die gesamte Geschichte des Films!
Man schrie es raus – ganz laut, damit es alle hörten. Manche sollten auch Angst bekommen, große Angst, sozusagen das Zittern. Denn man wollte sie – wenn es denn soweit war – auf dem Altar der Geschichte opfern: endgültig, ein für allemal. Trotz Stalin oder gerade wegen Stalin erst recht. Alles kam anders. Keiner zitterte jemals in Deutschland vor der Revolution. Und die Revoluzzer von 68, die Großmäuler vom Dienst – auch ich war mal so eins – verstreuten sich in alle Winde. Sie wurden Lehrer, Klein-, Mittel- oder Großunternehmer, Ärzte, Anwälte (vor allem), Krankenschwestern, Dichter (weit weniger), Schriftsteller (auch nicht so viele), Minister (einige) – oder sie blieben Großmäuler – wie ich hoffentlich nicht.
Die, die Weisheit der Geschichte mit Löffeln gefressen hatten, die Avantgarde des Proletariats, tummelte sich auf Demonstrationen und Matratzen – und die Großmäuler unter ihnen tummelten sich vor allem um sich selbst: Satansbraten eben. Deutschland sah nie eine wirkliche Revolution. Die 1848er war eine kleinbürgerliche Pleite, die 1918 ein (mehr oder weniger oktroyiertes) Werk von kurzer Lebensdauer – und was war 1968? Ich schweige jetzt lieber und lasse Fassbinder „reden”.
Eine Posse folgte den Filmen, „Warnung vor einer heiligen Nutte” (1971) und „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel” (1975), die sich um die Konflikte in Kollektiven und in der Linken drehten, am Gipfelpunkt einer selbst ernannten linken Kultur- und Politschickeria, die gegen Mitte der 70er Jahre rapide bergab stürzte und der sich ebenso rapide verbreitenden „neo”konservativen „Revolution”, die u.a. in den Thesen „Mut zur Erziehung” vorwegnehmen wollten und teilweise vorwegnahmen, was sich nur wenige Jahre später mit der Ära Kohl abzeichnen sollte.
„Je linker die Linke sich gibt, desto mehr ähnelt sie der Rechten. Das nennt man Verwandtschaft.” (Ein anonym bleiben wollender Schreiberling!)
In „Satansbraten” steht einer der egozentrischen Ex-Ideologen der linkesten aller linken 68er Jahre im Zentrum des Geschehens, der Dichter Walter Kranz, den Kurt Raab in unübertrefflicher Weise „tanzen” lässt. Walter, der einstige „Dichter der Revolution”, bringt seit zwei Jahren nichts mehr zustande. Ständiger Geldmangel kennzeichnet die Situation, in der er, seine in jeder Hinsicht „auf der Stelle tretende” Angetraute Luise (Helen Vita) und sein psychotisch wirkender Bruder Ernst (Volker Spengler) leben, der jeder die skurrile „Familie” besuchenden Frau erst einmal an die Brustwarzen fasst und sich ansonsten mit dem Sammeln toter Stubenfliegen beschäftigt. Walter ist und bleibt das Zentrum dieses selbstzerstörerischen Häufleins Elend, weil er sich ständig selbst ins Zentrum stellt.
Als sich sein Verleger (Peter Chatel), der ihm schon etliche Tausend Mark Vorschuss für sein nächstes Buch vorgestreckt hat, weigert, auch nur noch einen Pfennig zu zahlen, muss Walter anderweitig Geld auftreiben. Zum Glück gibt es da noch die nymphomanisch und masochistisch veranlagte, aber eben begüterte Irmgart von Witzleben (Katharine Buchhammer), für die Schläge und Erniedrigung das höchste ihrer Gefühle sind. Kaum hat sie den Scheck unterschrieben, erfüllt Walter ihr den sehnlichsten Wunsch: Nachdem er ihr zunächst eine Pistole in den Mund gehalten hat, schießt er auf sie – und verschwindet. Dem Scheck folgt der Schreck.
Offenbar sein einziger Ausweg, denn von Lisa (Ingrid Caven) und ihrem Mann Rolf (Marquard Bohm) kann er zwar jederzeit erwarten, dass Lisa mit ihm schläft – denn das Paar führt eine „offene Zweierbeziehung” – als Walter jedoch um Geld bettelt, schmeißen ihn die beiden hochkant raus.
Mord unwichtig, Geld wichtig. „Satansbraten” ist wohl das bösartigste, was Fassbinder je inszenierte, eine böse Posse auf den linken, aber eigentlich auf den ganzen Kulturbetrieb, das elitäre Denken, die Arroganz einer vermeintlichen oder in Maßen tatsächlich vorhandenen Macht.
Das Geld der armen Irmgart jedenfalls hält nicht lange vor. Und was wäre ein Ex-Dichter der Revolution ohne zündende Ideen? Ein Interviewbuch soll den bornierten Wicht aus der Versenkung reißen. „Interview mit einer Nutte” könnte es heißen. Die Auserwählte ist eine Dame namens Lana von Meyerbeer (Y Sa Lo), die – während ihr Mann auf Montage weilt – den Freuden der bezahlten Lust nachgeht. Zweiter Einfall: Ein Gedicht muss her, und wahrlich, was staunen die ansonsten kreischende und sich an Ernst für das Verhalten Walters rächende Luise und ihr Schwager, als Walter tatsächlich einige Zeilen zustande bringt.
Mit Verlaub jedoch, die Zeilen stammen von dem Lyriker Stefan George (1868-1933) aus dessen Gedicht „Der Albatros” (1) und von nun an geht’s bergauf. Denn Walter meint nun, er sei so etwas wie der wiedergeborene George, bestellt einen Anzug im Stile der Jahrhundertwende (1900), zieht sich eine Perücke auf, um wie George auszusehen und schart zumeist homosexuelle Anhänger um sich – während seine eigenen diesbezüglichen Versuche mit einem Stricher (Armin Meier) – eben nicht in die Hose gehen. Allerdings muss er seine „Fan-Gemeinde” dafür bezahlen, dass man ihn anhört.
Aufgrund seiner Eingebung, George zu sein, lädt er seine treueste Anhängerin, die Besitzerin eines Papierladens namens Andrée (Margit Carstensen), die ihm ständig Briefe der Bewunderung schrieb, ein, bei ihm zu wohnen. „Eigentlich sind sie mein Mann”, sagt die ältliche Jungfer mit Warzen im Gesicht und einer dicken Brille auf der Nase, jedenfalls seine Ehefrau im elitären Geiste, und ab sofort folgt sie dem vermeintlichen Meister auf Schritt und Tritt, beargwöhnt von Luise, die kränklich wirkt und dann auch krank wird.
Dass Walter auch die Prostituierte Lana um Geld erpresst und seinen Eltern (Brigitte Mira und Hannes Kaetner in einer kurzen, aber herrlich-schrecklichen Szene), die er jahrelang nicht gesehen und an denen er gar kein Interesse hat, das gesamte Ersparte abknöpft, versteht sich schon fast von selbst.
Und in diesem ganzen Chaos von Gewalt und Egozentrismus, Skrupellosigkeit und Dummheit, in dem auch noch ein Kriminaler namens Lauf (Ulli Lommel) auftaucht, der den vermeintlichen Mord an Irmgart aufklären will, aber eher neugierig auf die ganze Sippschaft erscheint, entdeckt Walter endlich seine Bestimmung: Das Starke und das Schwache. Walter entdeckt den Faschismus, und er plant sein Buch „Der Faschismus wird siegen, oder: Keine Feier für den toten Hund des Führers”. Der Verleger ist begeistert. Luise soll im Krankenhaus verstorben sein, Walter wird von Zuhältern, die Lana auf ihn hetzt, verprügelt – und erfreut sich dessen –, Ernst soll als Mörder von Irmgart herhalten, holt dann jedoch die Waffe und schießt auf Walter – und am Schluss – ganz am Schluss, ha:
tauchen alle wieder auf – das ganze Theater entpuppt sich als Theater, als wahre Posse: die bis dato unberührte Andrée und der promiskuitive Rolf gründen sich als Paar, Irmgart ist von den Toten auferstanden, Luise desgleichen und die verlassene Lisa zieht bei Walter ein und schaut sich erst einmal die Küche an. Ein Happening der besonderen Art! Und auch Polizist Lauf ist dabei.
„Ist das das Paradies?” fragt Walter. Der Vorhang fällt.
„Das einzige Gefühl, das ich akzeptieren kann, ist Verzweiflung.” (Sascha in „Warnung vor einer heiligen Nutte”, Regie: Fassbinder, Deutschland 1971)
Der Mut der Verzweiflung treibt den Intellektuellen Walter über den Rand des Verbrechens hinaus. In anderen – ob seiner Frau, seinem Bruder, Lisa, Lana oder Irmgart – sieht er nur Rädchen im eigenen egoistischen Getriebe. Nichts ist da einige Jahre nach der Revolte mehr von Revolte. Da revoltiert höchstens noch einer dagegen, dass andere ihn vergessen könnten – und Walter landet „samtweich” in einer verwaschenen, primitiven rechten Ideologie, die aber auch nicht so recht(s) funktionieren will – es sei denn für ein erlesenes Publikum, das mal schnell den linken Wahn, der langweilig geworden ist, in einen rechten umdeutet. Plastisch und drastisch, zynisch und ohne Skrupel führt Fassbinder uns eine „Gemeinde” vor, die einmal angetreten war, das Falsche und Verlogene, das Ungerechte und Verkommene einer Gesellschaft zu entlarven, darauf zu pochen, Freiheit zu praktizieren – und die in ihrer eigenen Arroganz und Eitelkeit zu (ver)enden scheint.
Vor allem Walter, aber weiß Gott nicht nur er, wütet durch diese eigentlich „grausame, überdrehte Satire auf den Opportunismus der Kulturindustrie und den Narzissmus der Künstler” (Thomas Elsaesser) (2), mit der die Kritiker nicht viel mehr anfangen konnten, als seine Aussagen auf Fassbinder selbst und seinen Umkreis zu projizieren, was dem Film in keiner Weise gerecht wird.
Fassbinders Distanz zur „Neuen Linken” und zur Kulturindustrie war bekannt. Und so begrenzt sich diese wütende und vor allem mittels ihrer Darsteller Wut schnaubende Satire keineswegs auf die linke Szene. Die Eitelkeiten und Sonderheiten der Protagonisten werden „rein gewaschen” – durch Sprache beispielsweise. Wenn der meist schweigende und Fliegen sammelnde Ernst (entsetzlich komisch und tragisch von Volker Spengler gespielt) jeder Frau an den Busen fasst, erklärt Walter dem Opfer, Ernst mache das bei jeder weiblichen Besucherin, woraufhin etwa Lana mit den Worten reagiert: „Ach so, na dann” – als ob dadurch das Grabschen zur Normalität würde. (Wird es!) Auch der Schuss auf Irmgart erscheint als Normalität, denn als Polizist Lauf bei Walter erscheint, der sich gerade die Füße badet, lädt er ihn ein, seine Füße auch in die Schüssel zu tauchen – und schon erscheint beider Verhältnis eher als „nette Bekanntschaft” und der (vermeintliche) Mord wird zur belanglosen Nebensache.
Wo Wut herrscht, haben die Opfer zu schweigen. Im (angeblichen) Geiste Georges mutiert Walter zum kleinen Herrenmenschen, versucht sich in Homosexualität, genießt die masochistische Unterwerfung Andrées – und entpuppt sich so als prototypischer Kleinbürger mit vergangenem linkem und nun rechten Antlitz. Und letztendlich wird Walter durch die ihm von Schlägern angetane Gewalt „geläutert”. Bravo!
„Satansbraten” ist eine für Fassbinder ungewohnte Art filmischen Schaffens, und auch für den Betrachter bezeugt der Film Überraschendes und Ungewohntes. Doch im Kontext der Entstehungszeit betrachtet wird die Lächerlichkeit und Erbärmlichkeit einer herabgewirtschafteten linken Intelligenzija sichtbar, die dem konservativen Rekurs ab Mitte der 70er Jahre in keiner Weise gewachsen war.
Allerdings muss man gerechterweise sagen: die „68er” hatten auch etwas Gutes ...
Info: Der Rainer Werner Fassbinder Foundation und der e.m.s.-new-media ist es zu verdanken, dass bislang 19 Fassbinder-Filme seit 2002 auf DVD erscheinen konnten, darunter auch „Satansbraten“. Allerdings wird es wohl leider weitere Fassbinder-Filme im Rahmen dieser Edition nicht mehr geben. Die Boxen umfassen jeweils zwei DVDs mit umfangreichem Zusatzmaterial, u.a. einem Kurzfilm Fassbinders von 1966 („Der Stadtstreicher“) sowie die Dokumentation „Life, Love & Celluloid”, ein eigenwilliger Rückblick auf das Leben des Filmemachers.
Daneben findet man den Original-Trailer, Original-Aushangfotos sowie gesprochene Biografien (DVD 1), ein Werkverzeichnis mit anwählbaren Trailern sowie eine Biografie Fassbinders (Texttafeln). Das Booklet enthält filmspezifische Dokumente zur Geschichte des Films, die allerdings wenig aufschlussreich sind.
Die Filme wurden durch ein aufwendiges und kostenintensives Verfahren neu abgetastet und haben trotz ihres Alters und der zum Teil schlechten Vorlagen eine außerordentliche Ton- und Bildqualität. Der Film ist in Farbe zu sehen, Tonformat mono (DD 2.0), Untertitel Englisch. Die Gesamtspielzeit beider DVDs beträgt 272 Minuten.
(1) Das Gedicht stammt eigentlich von Charles Baudelaire. George übersetzte es ins Deutsche.
Zu George: „Die deutsche Niederlage bestärkt George in seinem pädagogischen Glauben, für das Volk eine hellenisch beeinflusste Vision vom Ethos der Jugend schaffen zu müssen. In der Weimarer Republik, der er distanziert gegenübersteht, vereinigt sein Schülerkreis zionistische und antisemitische Mitglieder ebenso wie nationalistische und republikanische Anhänger. Der Einfluss des George-Kreises, dem auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg angehört, ist in dieser Zeit vor allem für die Jugendbewegung prägend. [...] Die Gedichte seines Spätwerks fasst er in Das neue Reich’ zusammen. Die völkischen Ideologen der immer stärker aufkommenden Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) versuchen, George als Vorreiter zu vereinnahmen. Dieser versteht sein neues Reich’ jedoch als ein geistiges und warnt seine Schüler vor der politischen Demagogie.” Quelle: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/GeorgeStefan/
George gehörte zu jenen elitären, aber nicht nationalsozialistischen, konservativen Intellektuellen, die durch „geistige” Führerschaft der vermeintlich aufkeimenden „Vermassung” durch die Demokratie entgegenwirken wollten. Die Rohheit der NS-Ideologie war ihm fremd und zuwider.
(2) Thomas Elsaesser: Rainer Werner Fassbinder, Berlin 2001, S. 452).