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    Morgen ist auch noch ein Tag
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Morgen ist auch noch ein Tag

    Der Film, der selbst "Barbie" und "Oppenheimer" hinter sich gelassen hat

    Von Christoph Petersen

    2023 war das Jahr von Barbenheimer. Auch in Deutschland belegten die am selben Tag in den Kinos gestarteten Megahits Platz 1 und 3 der Jahrescharts. Aber in Italien hat sich tatsächlich noch eine lokale Produktion an den globalen Box-Office-Giganten vorbeigedrängelt. Was könnte das nur für ein Film sein, der mit 5,5 Millionen Besucher*innen sogar „Barbie“ und „Oppenheimer“ hinter sich gelassen hat? Doch sicher kein in Schwarzweiß gedrehtes Nachkriegs-Melodrama, das mit anachronistischen Mitteln der Komödie und des Musicals schwere Themen wie die Unterdrückung der Frauen und häusliche Gewalt behandelt? Aber Pustekuchen! „Morgen ist auch noch ein Tag“ von Regisseurin, Autorin und Hauptdarstellerin Paola Cortellesi ist ein Phänomen, für das der Begriff Mundpropaganda überhaupt erst erfunden worden zu sein scheint. Denn nach dem kathartischen Finale stürmt man regelrecht aus dem Kino, um auch all seinen Freunden und vor allem Freundinnen davon zu berichten.

    Los geht der im Nachkriegs-Rom des Jahres 1946 angesiedelte Film mit einer Backpfeife. Gleich nach dem Aufstehen, einfach so, ohne Grund, zum Start in den Tag. Die Dreifachmutter Delia (Paola Cortellesi) scheint das gewohnt zu sein. Ihr Mann Ivano (Valerio Mastandrea) sei nach zwei durchlebten Kriegen eben angespannt. Und sowieso ist das in dieser Gesellschaft eben einfach so. Als sie ihren Boss fragt, warum der ahnungslose Neue am ersten Tag mehr verdient als sie nach drei Jahren, lautet die Antwort ohne jeden Anflug von schlechtem Gewissen lapidar: „Weil er ein Mann ist.“ Es klingt fast, als ob das ein Naturgesetz sei. Mehr noch als die Schläge schmerzen Delia die verachtenden Blicke ihrer Tochter Marcella (Romana Maggiora Vergano), die einfach nicht versteht, warum sich ihre Mutter das tagein, tagaus ohne Widerworte gefallen lässt. Erst als Marcella selbst in eine ähnlich unterdrückende Ehe hineinzustolpern droht, ergreift Delia endlich Gegenmaßnahmen – und zwar ziemlich drastische…

    Die Kinder wissen schon, wann sie aus dem Raum zu gehen haben: Ivano (Valerio Mastandrea) nimmt jede Kleinigkeit zum Anlass, um seine Frau Delia (Paola Cortellesi) zu verprügeln. TOBIS Film GmbH
    Die Kinder wissen schon, wann sie aus dem Raum zu gehen haben: Ivano (Valerio Mastandrea) nimmt jede Kleinigkeit zum Anlass, um seine Frau Delia (Paola Cortellesi) zu verprügeln.

    Wenn ihr bettlägeriger, die „eleganten Faschisten“ vermissender und die Heirat zwischen Cousins und Cousinen propagierender Stiefvater Ottorino (Giorgio Colangeli) seinen Sohn zu sich ruft, um ihn zu ermahnen, dass er Delia nicht ständig schlagen solle, ahnt man schon, was da gleich kommt. Denn natürlich geht es hier nicht um eine späte Einsicht, sondern um die Vermeidung eines Gewöhnungseffekts. Die besten Ergebnisse bei der Erziehung von Ehefrauen erziele man nämlich, wenn man sie nur hin und wieder, aber dann richtig verprügelt. Es ist kein Moment des lauten Losprustens, sondern eher einer, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Trotzdem arbeitet Paola Cortellesi ganz bewusst mit solchen komödiantischen Pointen, welche die häusliche Gewalt übrigens keinesfalls verharmlosen, sondern ironischerweise sogar dafür sorgen, dass sie einen nur umso härter trifft.

    Besonders deutlich wird dies in jener Sequenz, in der wir zum ersten Mal miterleben, wie Ivano seine Frau brutal zusammenschlägt. Unterlegt von einem verstörend-schmalzigen Chanson, inszeniert Paola Cortellesi sich und ihren Leinwandpartner Valerio Mastandrea wie die Tanzenden in einer Musical-Performance. Jeder Schritt, jeder Schlag, jeder Sturz und jeder im Gesicht herunterlaufende Blutfaden wirkt präzise choreografiert, wie ein perfekt eingespieltes Walzerpaar. Aber die artifizielle Form macht es nicht etwa leichter, die Geschehnisse zu schlucken. Ganz im Gegenteil: An Bilder von Männern, die ihre Frauen schlagen, hat man sich im Kino womöglich längst gewöhnt – aber ähnlich wie in „The Zone Of Interest“ zwingt einen das extra Maß an Abstraktion hier regelrecht dazu, sich mit der Grausamkeit des Geschehens tatsächlich auseinanderzusetzen.

    „Morgen ist auch noch ein Tag“ hat eines der kathartischsten Enden, die man sich nur vorstellen kann – gerade weil es so gar nicht platt ist! TOBIS Film GmbH
    „Morgen ist auch noch ein Tag“ hat eines der kathartischsten Enden, die man sich nur vorstellen kann – gerade weil es so gar nicht platt ist!

    Vieles in „Morgen ist auch noch ein Tag“ tut also richtig weh – und trotzdem sind die zwei Stunden alles andere als „anstrengend“. Das an Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ erinnernde Pink vom Poster kommt im Film selbst zwar nicht vor, aber die Inszenierung ist trotzdem durchweg schwungvoll und kurzweilig, auch wegen der eingestreuten italienischen Chansons und amerikanischen Rapsongs. Früh bekommt Delia einen Brief, den ihr Mann auf keinen Fall sehen soll – außerdem flirtet sie immer mal wieder mit einem Automechaniker, den sie von früher kennt und der bald die Stadt in Richtung Norditalien verlassen will. Aber so platt, wie man nun denken könnte, ist „Morgen ist auch noch ein Tag“ zum Glück nicht. Zwar gibt es zwischendrin einen buchstäblichen großen Knall – aber das wahnsinnig tolle Finale hat weder etwas mit simpler Rache noch mit einem anderen Mann zu tun, sondern schlägt einen viel gewaltigeren gesellschaftlichen Bogen, den man so nicht kommen sieht und der gerade deshalb so ungemein befriedigend geraten ist.

    Fazit: Darf man Themen wie häusliche Gewalt mit den Stilmitteln der Komödie begegnen? Natürlich darf man das. Erst recht, wenn einem dies so unfassbar kathartisch gelingt wie der Schauspielerin Paola Cortellesi in ihrem vom Publikum überschwänglich abgefeierten Regiedebüt. „Morgen ist auch noch ein Tag“, aber diesen Film würde man am liebsten gleich heute noch einmal schauen.

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