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    Janet Planet
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Janet Planet

    Entzauberung einer Kindheit

    Von Janick Nolting

    Das Coming-of-Age-Genre ist vielleicht eines der schwierigsten überhaupt. Schließlich ist die Herausforderung groß, sich von der erwachsenen Perspektive zu befreien und der Fremdheit des Kindlichen wieder anzunähern. Es bedeutet nicht nur, Geschichten zu entwerfen, eine filmische Form zu finden oder Rollen zu tauschen, sondern den eigenen Blick auf die Welt radikal zu verfremden, will man sie durch Kinderaugen beobachten. Annie Baker ist eine weitere Regisseurin, die sich dieser Herausforderung stellt. Ihr auf 16mm gedrehtes Langfilmdebüt „Janet Planet” taucht in eine sommerliche Lebenswelt in Massachusetts ein, in der die Kindheit gegen ihre eigenen düsteren Gedanken kämpft.

    Mit einer Selbstmorddrohung fängt alles an. Die elfjährige Lacy (Zoe Ziegler) hat sich nachts aus dem kleinen Mobilheim geschlichen und ruft heimlich bei ihrer Mutter Janet (Julianne Nicholson) an. Sie möchte aus dem Sommercamp abgeholt werden, weg von den anderen Kindern. Andernfalls will sie ihrem Leben ein Ende bereiten. Lacy hadert mit ihrem sozialen Umfeld. Im Sommer 1991 steht sie kurz vor der Einschulung. In der Zeit, die ihr bis zu dem neuen Lebensabschnitt bleibt, wird sie über ihre Mutter drei herausragende Bekanntschaften machen, die ihr unterschiedliche Blickwinkel auf die Welt eröffnen…

    Janet (Julianne Nicholson) tut alles, um ihre Tochter auf den nächsten Lebensabschnitt vorzubereiten. A24
    Janet (Julianne Nicholson) tut alles, um ihre Tochter auf den nächsten Lebensabschnitt vorzubereiten.

    Annie Baker wurde als Dramatikerin bekannt und für ihr Stück „The Flick” (auf Deutsch: „Im Kino”) mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Ihre Theaterwurzeln sind in „Janet Planet” kaum zu übersehen. Zwei große, zentrale Momente widmet sie künstlerisch-theatralen Praktiken. In einem besucht Lacy mit ihrer Mutter die Open-Air-Aufführung einer Gruppe Hippies. In idyllischer Natur hat man ein sonnengeblümtes Schlagzeug aufgebaut, um ein Schauspiel zu begleiten. Wenn dabei riesenhafte Mischwesen aus den Büschen auftauchen, Darsteller*innen dem Publikum in surrealen, monströsen Masken näherkommen, dann fängt „Janet Planet” eindrucksvoll den Zauber erster Theaterbesuche ein.

    Später folgt dann die Enttäuschung. Lacy und Janet werden von dem Regisseur der Theatergruppe nämlich in den Kostümfundus geführt, wo von den belebten, außerweltlichen Gestalten plötzlich tote Augen, Hüllen sowie eine Ansammlung von Stoff und Pappmaschee übrigbleiben. Lacy erfährt diesen Anblick offenbar als große Irritation und natürlich wählt Annie Baker eine solche szenische Dopplung von Illusion und Desillusion nicht umsonst. Ihr gesamter Film dreht sich darum, wie der Prozess des Erwachsenwerdens einem Blick hinter die Kulissen gleicht. Er macht plötzlich Dinge verständlich, die zwar im Moment der Enthüllung Menschen näher zusammenrücken, aber zugleich ihr Faszinosum für immer verlieren.

    Sommerlicher Figuren-Reigen

    Soziale Verbindungen koppeln und lösen sich permanent in diesem Film. Jedes Kapitel markiert Anfang und Ende zugleich und reißt wiederholt Lücken und Leerstellen in die Handlung. „Janet Planet” ist eine ruhige, unaufgeregte Montage flüchtiger Schlaglichter, die ihrem Publikum Geduld abringen, ehe sich ein Verständnis für die Charaktere entwickelt. Wobei dieses zunächst ziellos erscheinende, ratlos machende Umherschweifen bestens zu der kindlichen Alltagserfahrung passt, die Annie Baker porträtieren will. Ihr Drama ist stilistisch immer dann am stärksten, wenn es auf den ersten Blick unscheinbare, nebensächliche Dinge bemerkt und sie in radikal vergrößerte Ausschnitte fasst.

    Es erweitert die Sinne, indem beispielsweise der menschliche Körper in Details zerlegt wird. Während der Autofahrt observiert die kleine Lacy fasziniert die Köpfe ihrer Mutter und ihres eigenartigen Freundes. Kleine Haare erscheinen da in Detailaufnahmen, Sommersprossen, die den gesamten Körper überziehen. In anderen Szenen wiederholt sich das Lernen und betonte Staunen über das Alltägliche auch mit Objekten. Ein Deckenventilator erscheint so als eigenartiges Ding. Der Besuch eines Einkaufszentrums mit seinen vollgestopften Geschäften gleicht dem Ausflug auf einen Abenteuerspielplatz.

    Das Ertragen von Langeweile

    Zugegeben, solche Perspektiven auf das vermeintlich gewöhnliche Umfeld sind keineswegs eine Erfindung dieses Films. Es ist auch nicht so, als würde sich dabei eine sonderlich große oder anregende Spannung beim Zusehen einstellen. Sowieso ist gerade das Aushalten und Ausstellen einer gewissen Langeweile und Zeitdehnung, die die junge Protagonistin in ihrer Einsamkeit erlebt, ein wesentliches Merkmal von „Janet Planet”. Doch irgendwann wagt Annie Baker den Vorstoß auf eine andere Ebene.

    Wenn die Figur der Mutter näher in das Zentrum rückt, ist das ein notwendiger, wenngleich etwas ungelenk eingefädelter Bruch mit der Perspektivierung und Erzählweise der ersten Hälfte. Wo diese von beschriebener Engführung und Entfremdung im Sehen lebt, macht sich nun eine Unentschlossenheit bemerkbar, wie sich dieser Blickwinkel mit den übrigen Figuren verträgt und wie sich der Film zu ihnen verhalten will. Gerade wenn „Janet Planet” die Lebenserfahrungen von Janet beleuchten will, bei denen Lacy mitunter gänzlich in den Hintergrund rückt, fehlt ein wenig das Gespür, die ästhetischen Mittel neu zu justieren oder vielleicht noch einmal bewusste Kontraste einzuziehen.

    Was ist mit der nächsten Generation?

    Stattdessen setzt Annie Baker zuvorderst auf das Dialogische. Zwischen Mutter und Tochter werden Empfindungen, Lasten und biografische Details ausgetauscht. Janet erteilt ihrer Tochter Lektionen in Sachen Empathie, Toleranz, Weiblichkeit, Selbstliebe. Zugleich hadert sie mit ihrer eigenen erdrückenden Verantwortung und langsam schleichen sich Zukunftsängste ein. Bakers Drama behandelt die Schwierigkeit, Akzeptanz und Liebe nachzujagen und dabei Emanzipation und Freiheit zu wahren. Wird Lacy mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben? Oder schlägt sie einen völlig anderen Weg ein?

    Schlussendlich gehört der Film nicht zu den Genre-Höhepunkten der vergangenen Jahre. Eine selbstreflexive filmische Ebene wie Charlotte Wells’ Meisterwerk „Aftersun” oder eine fantasievolle Konstruktion wie Celine Sciammas „Petite Maman” erreicht „Janet Planet” nicht. Dafür fehlt insbesondere der etwas abgedroschenen Schlusspointe an Überraschungseffekt. Was bleibt, ist eher ein stilles Ausbreiten vager Spuren und offener Vorahnungen, die ganz unvermittelt aufflackern. Etwa in Form einer Puppe, die plötzlich auf der Couch liegt und taktil auf das Umkehren und Umstülpen des Generationenbruchs verweist.

    Fazit: „Janet Planet” hat Mühe, seine Erzählform konsequent zu fokussieren, sobald der Film hinter die Fassaden seiner Charaktere blickt. Nichtsdestotrotz inszeniert Annie Baker ein stimmungsvolles Debüt über kindliche Welterfahrung und Tagträumereien, in dem sich sicherlich viele Menschen wiedererkennen werden.

    Wir haben „Janet Planet“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er in der Sektion Berlinale Special gezeigt wurde.

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