Der wohl originellste Horrorfilm seit Jahren!
Von Jochen WernerAlles beginnt mit einer Leiche, oder besser gesagt: einer halben. Denn nachdem sie des Nachts seltsame Schüsse aus dem Wald gehört haben, machen sich die Brüder Pedro (Ezequiel Rodríguez) und Jaime (Demián Salomón) am nächsten Morgen auf die Suche und stoßen auf den zerteilten Körper eines Unbekannten. Dieses Rätsel bleibt allerdings nicht lange rätselhaft – zumindest nicht für die beiden Protagonisten. Beim Publikum sieht es hingegen schon ganz anders aus. In einer nahegelegenen Hütte stoßen Pedro und Jaime auf María Elena (Isabel Quinteros) und ihre zwei Söhne. Der ältere von beiden fault schon seit längerem in grotesker Gestalt als aufgequollener, eiternder Fleischklumpen im Bett vor sich hin – er ist ein „Besessener“, wie die Brüder sogleich erkennen.
Und mit dieser Entdeckung beginnt „When Evil Lurks“, der längst als Horror-Geheimtipp gehandelte neue Film des argentinischen Regisseurs Demián Rugna („Terrified“), einen ziemlich beunruhigenden Erkenntnisvorsprung überaus effektiv auszuspielen. Denn diese spezielle Form von Besessenheit, um die es hier geht, scheint den Protagonisten durchaus nicht unvertraut. Sie verängstigt sie zwar zutiefst – über ein paar Grundregeln, wie mit solch einem Besessenen umzugehen ist und wie das Böse sich verbreitet, wissen sie aber dennoch Bescheid, auch wenn ihnen das oft herzlich wenig nützt und die eigene Panik sie immer wieder dazu treibt, instinktiv und wider besseres Wissen das exakt Falsche zu tun. Zum Beispiel den Besessenen auf die Ladefläche ihres Pickup-Trucks zu verfrachten, um ihn dann bei einer Vollbremsung zu verlieren und irgendwo im Straßengraben liegen zu lassen.
Dass das nicht unbedingt erfolgversprechend ist, ahnen wir natürlich sofort, aber ansonsten wissen wir als Zuschauende erstmal rein gar nichts über die Natur der Bedrohung und sind deshalb über weite Strecken von „When Evil Lurks“ damit beschäftigt, uns nach und nach Informationsbröckchen zusammen zu puzzeln, um zu verstehen, welchen Regeln das böse Spiel auf der Leinwand folgt. Das erweist sich als ziemlich brillanter narrativer Kunstgriff, versetzt es uns doch von Anfang an in eine fremdartige, postapokalyptisch anmutende Welt, die zwar der unseren gleicht, aber deren Regeln und Gesetze wir nie so ganz durchschauen. Somit werden wir bereits von den ersten Minuten an von dem Gefühl übermannt, dass in diesem Film prinzipiell alles passieren kann. Und ziemlich viel davon passiert dann auch tatsächlich.
Eines sei den folgenden Absätzen deshalb auch als Warnung vorangestellt: „When Evil Lurks“ gehört eindeutig zu jenen Filmen, über die man am besten so wenig wie möglich weiß, bevor man sie anschaut. Denn die Horrorfilme, bei denen man wirklich das Gefühl hat, dass sie einen auf unbekanntes, bedrohliches Terrain mitnehmen, finden sich nach mehr als 100 Jahren Horror-Historie ja inzwischen immer seltener. Oft gleicht das Genrekino eher einer Achterbahnfahrt, wo wir die nächste Kurve oder die steile Abfahrt stets schon kommen sehen und trotzdem begeistert kreischen, weil wir uns im vollen Bewusstsein auf diese Fahrt einlassen und mit den erwartbaren Loopings bereits vertraute Vergnügungen reproduzieren, statt uns wirklich überraschen oder schocken zu lassen.
Wenn man „When Evil Lurks“ hingegen unbedingt mit einer Achterbahnfahrt vergleichen wollte, dann mit einer im völligen Dunkeln, die in halsbrecherischem Tempo durchs Nachtschwarz rast und einem mit jedem Twist ein Stück mehr die Orientierung raubt. Und auf einen solchen Trip lässt man sich natürlich bestenfalls so unvorbereitet wie möglich ein – deshalb sollen hier auch keine großen Details über den Plot und die Natur der dämonischen Bedrohung verraten werden. Stattdessen soll mit allem Nachdruck ans Herz gelegt werden, sich Demián Rugnas Film selbst anzuschauen und sich möglichst unvoreingenommen darauf einzulassen, denn hinter diesem kleinen, argentinischen Festivalgeheimtipp verbirgt sich der vielleicht effektivste und originellste Horrorfilm seit Jahren.
Beeindruckend sind dabei nicht nur das Tempo der Inszenierung und die Kreativität, mit der eines der klassischsten Themen des Horrorkinos überhaupt mit einem so ungewöhnlichen Twist erzählt wird, dass es frisch und kreativ und komplett originell wirkt. Auch die abgründige Konsequenz, mit der Rugna hier zur Sache geht, verblüfft und wirkt lange nach. Denn in Sachen Boshaftigkeit und auch in der Explizitheit seiner Todesarten macht „When Evil Lurks“ absolut keine Gefangenen – für Gorehounds dürfte der Film mit seinen liebevollen und nicht selten wunderbar widerlichen Practial-Makeup-Effekten ein absolutes Fest sein! Immer weiter zieht sich die Schlinge um die verzweifelten Protagonisten zu, und immer deutlicher wird, dass nichts und niemand hier ungeschoren davonkommen wird. Ganz im Gegenteil, legt es das Böse doch gerade darauf an, dich exakt dort zu treffen, wo es dich am meisten schmerzt. Und: Das Böse liebt Kinder, und Kinder lieben das Böse …
Fazit: Einen originelleren neuen Horrorfilm hat es schon lange nicht mehr gegeben! „When Evil Lurks“ ist spannend, ultracreepy und wahnsinnig boshaft – und jeder, der sich auch nur ansatzweise für das Genre begeistert, muss ihn sehen. Am besten mit so wenig Vorwissen wie möglich.