Der neue Krieg gegen Drogen
Von Björn BecherDer sogenannte „Krieg gegen Drogen“ hat sich in den vergangenen Jahren noch einmal massiv verändert. Das inzwischen angesagteste Rauschmittel Fentanyl ist die treibende Kraft hinter der dritten Welle der Opioid-Epidemie. Nicht nur, weil es viel billiger und leichter zu schmuggeln ist, hat es Heroin inzwischen fast völlig verdrängt. Zugleich ist die Zahl der Toten, die an einer Überdosis verreckt sind, rasant gestiegen. „Die größte Bedrohung, die das Land je erlebt hat“, titelte das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel im vergangenen Jahr über das synthetische Opioid. Und das scheint nicht mal übertrieben: Die Fentanyl-Intoxikation ist mittlerweile die häufigste Todesursache unter US-Amerikaner*innen im Alter von 18 bis 45 Jahren.
24 Jahre nach Steven Soderberghs „Traffic – Macht des Kartells“ ist es also an der Zeit für einen neuen großen, alle Seiten beleuchtenden Film über das amerikanische Drogenproblem. John Swab („Ida Red“) eifert mit „King Ivory“ überdeutlich diesem großen Vorbild nach, kopiert sogar einige Handlungselemente fast eins zu eins. Allerdings sind die verschiedenen Erzählstränge diesmal noch deutlich verworrener, während im selben Moment die Verknüpfung forcierter wirkt. Dazu lässt Swab nur wenig Raum für Grautöne und kommt auch inszenatorisch nicht an Soderberghs brillante Farbgestaltung und intensive Handkamera heran. Aber trotz dieser Schwächen hat der Thriller, der nach einem der gängigen Straßennamen für Fentanyl benannt ist, auch einiges zu bieten.
Layne West (James Badge Dale) und sein Partner Beatt (Rory Cochrane) riskieren in Tulsa, Oklahoma jeden Tag ihr Leben, um zumindest ein paar Drogen und Dealer von der Straße zu bekommen. Dass Wests eigener Sohn Jack (Jasper Jones) und dessen Schul-Clique ebenfalls immer tiefer in den Drogensumpf rutschen, bekommt er unterdessen aber kaum mit. Auf der anderen Seite des Gesetzes steht Ramón Garza (Michael Mando), der für das Kartell den Drogenimport kontrolliert und nebenbei auch noch Menschen ins Land schmuggelt.
Nichts geschieht dabei ohne die Zustimmung von Holt Lightfeather (Graham Greene) und dessen Indian Brotherhood. Obwohl der alte Mann seit langer Zeit im Gefängnis sitzt, ist er noch immer die mächtigste Gangster-Lokalgröße. Dafür, dass das so bleibt, soll der frisch aus dem Knast entlassene Ire George „Smiley“ Greene (Ben Foster) sorgen. Der bekommt gemeinsam mit seiner Familie um Mutter Ginger (Melissa Leo) und Onkel Mickey (Ritchie Coster) den Job, unliebsame Konkurrenz auszuschalten. Als bei Ramóns neuestem Transport fast 50 illegale Einwander*innen ersticken, gründet das FBI jedoch eine Taskforce, zu der auch West und Beatt gehören…
John Swab hat laut eigener Aussage in Vorbereitung für „King Ivory“ ausführlich recherchiert – und zwar auf allen Seiten. Sogar in seinem Cast spiegelt sich das wider. Neben den bekannten Hollywood-Gesichtern spielen auch echte Cops, Gangster und Junkies mit. Die angestrebte Authentizität ist spürbar – zumal sich Swab auch mal Zeit nimmt, Dinge zu zeigen, ohne zwingend die Handlung voranzutreiben. So fährt Lago (David De La Barcena), der einzige Überlebende des tödlichen Menschenschmuggels, in seiner neuen Stellung als Dealer auch einfach mal durch die Stadt, um immer neue Junkies zu beliefern.
Die Versuche, „King Ivory“ bisweilen wie eine Momentaufnahme aus dem tatsächlichen Leben wirken zu lassen, beißt sich allerdings immer wieder mit den etwas zu pseudo-cool daherredenden, skurrilen Charakteren. Dasselbe gilt für die dann doch sehr erzwungenen Verbindungen zwischen den mehr als einem Dutzend zentralen Figuren. Da steigt dann am Ende von Lagos Dealer-Tour doch noch Teenagerin Colby (Kaylee Curry) zu ihm ins Auto, um Stoff zu kaufen. Den reicht sie wiederum an ihren Freund Jack weiter, der ja seinerseits der Sohn von Cop West ist, der wiederum Lagos Boss Garza jagt. Mehrfach ruft uns Swab mit solch konstruierten Szenen unnötig in Erinnerung, wie das alles miteinander verbunden ist.
Steven Soderbergh konzentrierte sich in „Traffic“ auf drei Erzählstränge, die er schon durch eine jeweils einzigartige Farbgebung voneinander abhob. Bei Swab sind die Handlungsfäden hingegen viel verworrener. Das ist per se nicht schlecht. Allerdings wird das Thriller-Drama gerade in der ersten Hälfte immer wieder durch die plötzlichen Sprünge zu anderen Figuren ausgebremst. Erst wenn durch das endgültige Zusammenlaufen aller Stränge diese Schauplatzwechsel organischer erfolgen, zieht die Spannung von „King Ivory“ schließlich doch noch spürbar an.
„Traffic“ wirft zudem einen sehr komplexen Blick auf den sogenannten „Krieg gegen Drogen“: So lernt Richter Wakefield (Michael Douglas) durch die Drogensucht seines eigenen Kindes, dass sein erbitterter Feldzug offenbar doch nicht das richtige Mittel ist, um tatsächlich etwas zu ändern. Stattdessen entscheidet er sich für die Familie. Das ist zugleich fatalistisch, weil der „Krieg gegen Drogen“ für aussichtslos erklärt wird, und zugleich hoffnungsfroh, weil individuelle Handlungen und Unterstützung im persönlichen Umfeld trotzdem etwas ausrichten können. „King Ivory“ wirkt da mit Wests gleich zweimal explizit vorgetragenen „Immer-Weiter-Kämpfen“-Parolen deutlich stumpfer (und hoffnungsloser).
Die beiden erwähnten Reden von West illustrieren auch, dass „King Ivory“ seine Figuren – aller angestrebter Authentizität zum Trotz – dann doch sehr einfach zeichnet. Und wenn doch mal Graubereiche zugelassen werden, wirken diese zu gewollt: Da gibt es etwa eine kurze Szene zwischen Garza und seiner kleinen, unter Asthma leidenden Tochter. Doch die Charaktere wirklich mit Leben zu füllen, obliegt angesichts des schwächelnden Skripts am Ende vor allem dem Cast. Aber der macht das dann auch echt überzeugend.
„King Ivory“ ist durch die Bank ausgesprochen gut besetzt, sodass es eigentlich schon unfair ist, hier einzelne Namen herauszuheben. In einem Fall muss man es aber doch tun: Der wandelbare Ben Foster („Hell Or High Water“) ist hier als irischer Gangster, der ein fest im Kehlkopf integriertes Gerät zum Sprechen braucht, kaum wiederzuerkennen. Wenn er direkt zu Beginn des Films noch im Knast zwei Morde erledigen muss, explodiert der auf den ersten Blick so schwächlich wirkende Killer regelrecht. Auch die Shootouts entfalten ihre Wirkung, wenn selbst Kleinganoven bis an die Zähne mit automatischen Schnellfeuerwaffen ausgerüstet sind. So sorgen die Kugeln dafür, dass „King Ivory“ – wenn schon nicht als allumfassenden Drogen-Drama à la „Traffic“ – doch zumindest als Genre-Knüller gut genug funktioniert.
Fazit: Mit „King Ivory“ legt John Swab offen, wie aussichtslos der Kampf gegen Drogen inzwischen geworden ist. Angesichts der Vielzahl seiner Figuren braucht er allerdings eine ganze Weile, bis das Thriller-Drama auch die nötige Spannung entwickelt.
Wir haben „King Ivory“ auf dem Filmfest Venedig 2024 gesehen.