Ein Raum. Die Tür öffnet sich. Eine Frau tritt herein, bleibt eine Weile stehen. Auf der anderen Seite des Raums stehen oder sitzen sieben Personen, nahezu unbeweglich starren sie die Frau an. Die Szene wirkt wie versteinert. Das Starren drückt aus, was die Personen empfinden. Sie bewegen sich nicht, nicht nur nicht körperlich, auch nicht in ihrem Verhalten oder in ihrem Denken. Eine Fremde steht da! Einige Sekunden später kommt Bewegung in die Situation. Die Frau setzt sich vorsichtig an den Tisch gleich neben der Tür. Noch immer starren die sieben Personen – bis die Wirtin Barbara (Barbara Valentin) hinter ihrem Tresen hervorkommt und sich vor den neuen Gast stellt, ohne etwas zu sagen. Die Frau, etwa 60 Jahre alt, heißt Emmi Kurowski (Brigitte Mira), und erzählt, sie sei nur herein gekommen, weil es so stark regne. Die Wirtin wird leicht ungeduldig; sie will nur wissen, was Emmi trinken will. Eine Cola.
In bestimmter Hinsicht ist Fassbinders Film durchweg so wie in dieser Anfangsszene. Er schwankt zwischen manchmal erschreckender Starre und Stille – oder eher tödlichem Schweigen – und Bewegung und Gespräch. Es ist vor allen anderen Emmi, die mit Bewegung und Worten die Verkrustungen und die starren Verhältnisse aufbricht und das Schweigen beendet. Emmi ist Putzfrau, seit langem Witwe, war verheiratet mit einem ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter, der nach 1945 in Deutschland geblieben war. Jürgen Jürges arbeitet konsequent mit einer fast durchweg statischen Kameraführung. Er hält die Erstarrungen fest, die sich im Laufe der Geschichte abzeichnen: Zum Beispiel die neugierige und neidische Nachbarin Emmis, Frau Kargus (Elma Karlowa), die stets hinter dem Gitter ihrer Wohnungstür steht, um nichts zu verpassen, was sich im Treppenhaus ereignet. Das, was diese Menschen auszeichnet, ist nicht Interesse am anderen, sondern die Suche nach Projektionsflächen für ihre negativen Gefühle. Meist durch Türen wie in einem Rahmen werden die Personen gefilmt, um die Grenzen ihrer Möglichkeiten aufzuzeigen – woher sie auch rühren. Und dann passiert etwas, was die Alltagssituation in Barbaras Kneipe völlig verändern wird. Der marokkanische Kfz-Mechaniker Ali (El Hedi ben Salem) geht auf Emmi zu und fordert sie auf, mit ihm zu tanzen. Sie tanzen. Und Ali bringt Emmi nach Hause. Es regnet stark. Beide stehen im Treppenhaus und Emmi erzählt von sich und Ali hört zu. Es regnet noch immer. Weil Ali so freundlich war, bittet Emmi ihn zu sich hinauf zu einer Tasse Kaffee.
„Immer sagt man Aber’ im Leben –
Aber’ – und alles bleibt beim Alten.” (Emmi zu Ali)
Emmi sagt nicht „Aber”. Und Ali ebenfalls nicht. Ali bleibt, nicht nur zum Kaffee. Er übernachtet bei Emmi, und als er nicht schlafen kann, geht er zu ihr. Ali und Emmi schlafen miteinander. Am nächsten Morgen frühstücken sie. Emmi ist aufgeregt, ängstlich. Was ist geschehen? Was soll daraus werden. Und Ali sagt: „Nix weinen. Nix Angst. Angst essen Seele auf.” Das Unmögliche geschieht. Es geschieht, was alle anderen für unmöglich halten. Ali, mehr als zwanzig Jahre jünger, Marokkaner, verliebt sich in Emmi und Emmi in Ali. Was nun geschieht? Das Schlachtfest wird eröffnet. Emmi und Ali sollen geschlachtet werden. Die Nachbarinnen, die Arbeitskolleginnen von Emmi, ihre Kinder, ein Teil der Kneipengäste – alle fallen sie über die beiden her. Die Nachbarinnen Frau Kargus, Frau Ellis und Frau Münchmeyer sehen den Schmutz, die Hurerei, das Schamlose genauso wie die Putzfrauen Paula, Hedwig und Frieda und die Söhne Albert und Bruno und die Tochter Krista und ihr Mann Eugen. Der Kleinkrämer Angermayer (Walter Sedlmayr) weigert sich, Ali zu bedienen.
Sie schicken die Polizei, den Vermieter, aber vor allem den Hass, den Neid und die eigenen projizierten Ängste gegen das „Unnatürliche”. Als der Sohn des Vermieters (Marquard Bohm), aufgestachelt durch die Nachbarinnen, Emmi auffordert, ihren Untermieter Ali aus der Wohnung zu entfernen, behauptet Emmi – eigentlich nur um Ali zu schützen –, sie wolle ihn heiraten. Herr Gruber gibt sich damit zufrieden. Und Ali nimmt es ernst. Und Emmi nimmt das dann auch ernst. Sie heiraten – gemieden von allen, angefeindet von allen. Und als Emmi nicht mehr kann, fahren beide an den Steinsee in Urlaub.
Danach scheint alles anders. Aber Fassbinder sieht nicht nur genau hin, er zeigt auch genau, was anders ist. Der Kleinkrämer will Emmi als Kundin wieder, weil er die Konkurrenz des Supermarkts fürchtet. Sohn Bruno braucht Emmi, um seine Tochter aus dem Kindergarten zu holen, weil seine Frau jetzt arbeitet. Frau Ellis braucht Emmis Keller, um die Sachen ihres Sohnes unterbringen zu können. Und eine Arbeitskollegin wurde wegen Diebstahls entlassen und durch die Jugoslawin Yolanda ersetzt, und Emmis Kolleginnen brauchen sie, um einen um 20 Pfennig höheren Lohn zu verlangen, der schon lange versprochen war. So scheint sich alles funktionell zu regeln. Nur Ali hat plötzlich Probleme, braucht Zeit für sich, hat Probleme mit der Anpassung, die Emmi verlangt, und schläft mit der Wirtin Barbara. Ali und Emmi überstehen auch dies. Fassbinders formal sehr stark an den Melodramen Douglas Sirks orientierter Film bringt im exakten Wortsinn etwas sehr Exaktes auf den Punkt. „Angst essen Seele auf” ist sicherlich und vor allem ein Film gegen den blühenden Rassismus – und insofern ist dieser über 30 Jahre alte Film (leider) so aktuell wie 1974. Doch der Film geht weit darüber hinaus. Fassbinders extrem minimalistische Form des Filmens, der Dialoge, der Szenerie, der Gestik und Mimik fokussiert die Geschichte nicht nur auf das Wesentliche, das Konzentrat, das Eingemachte. Er zeigt, wie subjektive Befindlichkeit, Unzufriedenheit, Ängste gepaart mit einer erlernten, anerzogenen (deutschen) Tradition, die sich auf alles „Fremde”, „Andere”, „Andersartige” negativ bezieht, Projektionsflächen schafft, um diesem Negativen in den Projizierenden selbst einen personalen Ausdruck im anderen zu verschaffen: in der Konstruktion dessen, was man gemeinhin und gemeiner Weise (in diesem Fall und in dieser Geschichte) „Ausländer” nennt.
Emmis Mut, Unverdrossenheit, ja Urvertrauen führt beide, Ali wie Emmi, in eine Situation, in der sie anfangs zum Abschuss freigegeben zu sein scheinen. Die Blockwarte der 70er Jahre scheinen Oberwasser zu gewinnen. Doch beide widerstehen, trotz subjektiver Hindernisse und Rückschläge, diese Situation. Emmi hat nämlich etwas anders gelernt als die Neider um sie herum, und Ali auch. Aber nicht nur das. Fassbinder beabsichtigte zunächst, den Film mit einem tragischen Ende ausklingen zu lassen. Er hat es – in diesem Fall zum Glück – gelassen. Diese positive Wende, dieses Festhalten aneinander am Schluss – gegen jegliche Hürden – hat in keiner Weise den Geruch des Rührseligen, Kitschigen oder Unrealistischen. Es ist eher die Inanspruchnahme des der Realität sehr nahen Utopischen (im Gegensatz zu utopischen Schwärmereien), das den Film über das Ende hinaus fruchtbar, statt furchtbar in den Konsequenzen der Geschichte werden lässt. Die Neider stehen im Abseits, sind schachmatt. Eine Schlacht ist gewonnen, wenn auch nicht der Krieg. Ali, der Angst vor der Anpassung bekommt, könnte als eigentlich tragische Figur des Films erscheinen. In gewisser Weise ist er das auch. Aber diese Tragik ist keine absolute, kein starre, festgefahrene Größe. Der Schluss des Films offenbart die Chance für Emmi und Ali und beider Bereitschaft, diese Chance für sich wahrzunehmen: eine eigentlich unmögliche Liebe möglich werden zu lassen. Angesichts der Zweifel Fassbinders an „normalen” Beziehungen ist dieses Ende eben kein Ende, sondern eher ein Anfang.