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    Heretic
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Heretic

    Hugh Grant kann auch gruselig!

    Von Janick Nolting

    In Hugh Grants Schaffen wurde es mal wieder Zeit für einen Horrorfilm. Seit Jahrzehnten ist der britische Schauspiel-Star vorwiegend in Romanzen, Komödien, Familien- oder Actionfilmen sehen. Sein letzter Horrorauftritt liegt hingegen schon eine Weile zurück: „Night Train To Venice“ (1993). Ohnehin: Ein echter Schocker im Lebenslauf, der fehlte noch! Im neuen Horror-Thriller des Erfolgsstudios A24 („Midsommer“, „MaXXXine“) bekommt der „Notting Hill“-Star nun die Gelegenheit, in einer zutiefst abgründigen Rolle zu bestechen: In „Heretic“ spielt er einen älteren Herrn, der sich als eiskaltes Mastermind entpuppt und seinen Opfern stets einen Schritt voraus ist.

    Zwei Mormoninnen verirren sich in die Fänge des Bösen. Schwester Barnes (Sophie Thatcher) und Schwester Paxton (Chloe East) ziehen von Haus zu Haus, um Menschen zu missionieren. Doch als sie inmitten eines aufziehenden Unwetters in das beschauliche Anwesen von Mr. Reed (Hugh Grant) geraten, wird ihnen unheimlich zumute. Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Mann. Während sie mit ihm im Wohnzimmer diskutieren und auf einen leckeren Kuchen warten, erkennen die jungen Frauen zu spät, dass sie in ein gefährliches Experiment verwickelt wurden…

    Hugh Grant mal ganz anders, als man ihn kennt – und er meistert die neue Aufgabe als Voll-Psycho absolut fantastisch! PLAION PICTURES
    Hugh Grant mal ganz anders, als man ihn kennt – und er meistert die neue Aufgabe als Voll-Psycho absolut fantastisch!

    Scott Beck und Bryan Woods, die bereits bei „Halloween Haunt“ Regie geführt und zum Horror-Superhit „A Quiet Place“ die originale Skriptfassung beigesteuert haben, meistern hier in der ersten Stunde ein packendes Suspense-Kammerspiel. „Heretic“ fährt nicht die großen Schauwerte auf und funktioniert die meiste Zeit über die Dialoge, doch die Autoren und Regisseure verstehen es bestens, mit geringen Mittel Hochspannung zu kreieren. Sie kalkulieren, planen und konstruieren mit höchster Präzision, wann sie welches Geheimnis preisgeben, auch im räumlichen Sinne.

    Ein Häuschen wird zum Labyrinth

    Schritt für Schritt gewährt ihr Film den Blick auf den nächsten Gang, die nächste Kammer. Bis er zum Herzstück vordringt, vergehen viele Minuten. Das abgeschottete Haus als Schauplatz offenbart im Verlauf nicht nur einen doppelten Boden und scheint zum entgrenzten Labyrinth anzuwachsen. Ein verschachteltes hölzernes Puppenhaus verschmilzt irgendwann in einem brillanten Shot mit dem Raum, in dem sich die Kamera gerade befindet – ähnlich wie im Auftakt von Ari Asters „Hereditary“.

    Spannend ist das auch deshalb, weil sich „Heretic“ lange Zeit nicht in die Karten blicken lässt, was überhaupt die Motivation von Hugh Grants titelgebendem Häretiker ist. Akribisch macht er sich zunächst daran, alles einzureißen, was die beiden Missionarinnen über Religion zu wissen glauben. Der Film passt somit in das oft beschworene postsäkulare Zeitalter westlicher Gesellschaften. Die herkömmlichen religiösen Zugehörigkeiten sind im Schwinden und doch nicht verschwunden. Fundamentalismus spukt weiterhin umher. Zwischen Religionen und Ersatzreligionen sowie allen anderen Wegen, Transzendenz zu erfahren, herrscht eine große Auswahl. Gar nicht so leicht, sich da zu orientieren und etwas zu finden, das zu einem passt.

    Wie passen XXL-Kondome und die Bibel zusammen?

    „Heretic“ macht sich einen düsteren Spaß daraus, diese Suchprozesse und Diskurse durcheinanderzuwirbeln – und es bereitet tatsächlich große Freude, den Auswüchsen dieses Schlagabtauschs zu folgen. Die Gespräche handeln von XXL-Kondomen und Pornos sowie heiligen Schriften und religiösen Quellen. Sogar Simulationstheorien und Epiphanias verhandelt.

    Und so verwundert es irgendwann auch nicht mehr, wenn auf einem Altar neben der Tora, der Bibel und dem Koran auch ein Monopoly-Spiel liegt. Wenn kapitalistische Popkultur auf Abhandlungen über sakrale Ikonen trifft, stellt sich die Frage: Glaube oder Unglaube? Zwei Türen, zwei Optionen. Beide führen in die symbolträchtige Dunkelheit. Was sich dort verbirgt – das findet man lieber erst im Kinosaal heraus.

    Wendungen am laufenden Band

    Zwischen Horror, Psychothriller und schwarzer Komödie wird „Heretic“ nicht müde, überraschende Haken zu schlagen – bis zu seinem konsequent-ambivalenten Schluss. Logik-Purist*innen seien hiermit jedenfalls vorgewarnt: In der zweiten Hälfte erinnert der Film entfernt an die immer irrwitzigeren Masterpläne der späteren „Saw“-Teile. Das Problem ist nur: Je reicher an Wendungen das Drehbuch wird, desto mühsamer kann es seine kontroversen Themenfelder wieder einfangen.

    Das beginnt schon damit, dass der Film im Mittelteil zu lange an ein und demselben Ort verharrt, an dem hinterher wieder allerlei versteckte Details enthüllt werden sollen, die die Kamera und Montage zunächst vorenthalten haben. Parallel dazu gehen „Heretic“ in seinen schummrigen Aufnahmen fortlaufend die interessanten Bilder aus, weil die Mechanik des Skripts über jedem ästhetischen Formenspiel steht. Also bleibt nur das Warten darauf, dass dieses diskursive Knäuel endlich zerschlagen wird.

    Auf den Spuren des ultimativen Terror-Trips "Martyrs"

    Letztlich drängen sich zwei Titel auf, die man recht passend in einem inhaltlichen Austausch denken kann: der französische Terrorfilm „Martyrs“ und die Gourmet-Satire „The Menu“. „Heretic“ schafft thematisch irgendwo dazwischen eine ähnliche Versuchsanordnung. Sie will einerseits von der Manipulierbarkeit des Menschen erzählen: Wie schnell lässt er sich auf Illusionen und Spiele ein? Wie leicht hört er auf, Fragen zu stellen, und fügt sich anderen? Zugleich wird hier das Suchen nach einer unmittelbaren, notfalls gewalttätigen Erfahrbarkeit von Transzendenz, Jenseits, einer höheren Realität verhandelt. Ein interessantes Detail hierbei ist, dass A24 in ausgewählten US-Kinos auf Dufteffekte im Saal setzen will. Das leibhaftige Wahrnehmen und Bezeugen, aber auch dessen Täuschung wird also mit der Kinoerfahrung selbst zusammengedacht.

    „Heretic“ ist den genannten Vergleichstiteln nicht ganz gewachsen, um sie vollends auf eine Stufe zu stellen. Einerseits, weil ihm deren formale und transgressive Radikalität fehlt. Andererseits, weil ihm keine ähnlich verdichtete Parabel gelingt. Dafür schlägt er in zu viele philosophische und pseudo-philosophische Richtungen aus. Die formulierte Kritik, auf die der Film zusteuert, deckelt sein Katz-und-Maus-Spiel zwar passend, fühlt sich nach all den Abzweigungen aber wie eine recht banale, wiedergekäute Polemik und Pointe an. Womöglich geht es Scott Beck und Bryan Woods in ihrem Horror-Thriller doch eher darum, der Irritation bloß zuzusehen, anstatt sie selbst zu kreieren.

    Fazit: „Heretic“ ist ein extrem unterhaltsames Horror-Verwirrspiel, in dem Hugh Grant als psychopathischer Strippenzieher glänzt. Die immer absurder werdenden Twists und doppelten Böden der zweiten Filmhälfte können mit der Hochspannung und thematischen Dichte des ersten Akts allerdings nicht ganz mithalten.

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