Die chaotischen Anfänge einer legendären TV-Show
Von Patrick FeyWenn Dinge, die ganz selbstverständlich zu unserem Alltag gehören, allmählich historisch werden, ist das ein sicheres Anzeichen dafür, dass man alt geworden ist. Für mehrere Generationen von Amerikaner*innen verhält sich das ganz sicher mit der wöchentlichen Sketch-Comedy „Saturday Night Live“ so, die im September 2024 bereits in ihre 50. Staffel startet. Mit diesem Jubiläum im Hinterkopf widmet sich Jason Reitman (bekannt als Regisseur von „Juno“ oder „Up In The Air“) dem Premieren-Abend der Show – und damit dem Chaos, das am 11. Oktober 1975 im sogenannten „30 Rock“ herrschte, dem Studio 8H des NBC-Hauptquartiers in Midtown Manhattan. Darüber hinaus hat uns Reitman allerdings nur wenig darüber zu erzählen, was das kulturelle Phänomen „SNL“ eigentlich ausmachte und was es auch heute noch bedeutet...
Die Show gehe nicht live, wenn sie fertig ist, sondern dann, wenn es 23:30 Uhr ist, heißt es eingangs in einer proklamatischen Schrifttafel, die das Quasi-Motto für die kommenden 90 Minuten ausruft. Um 22 Uhr beginnend, laufen diese 90 Minuten vor der Ausstrahlung der allerersten „Saturday Night Live“-Folge mehr oder weniger in Echtzeit ab – immer wieder erinnern die Kreativen hinter der Kamera an die Zeit, die ihnen (und uns) noch bleibt, bis die Übertragung beginnt. Das ist eine Zeitlang durchaus erfrischend. Entgegen der Sketch-Struktur der Kult-Show versucht sich Reitman in „Saturday Night“ an langen Plansequenzen, die das ständige Gewusel hinter den Kulissen der Live-Sendung einfangen, was bisweilen sogar an Gaspar Noés „Lux Æterna“ denken lässt.
Obwohl sich die Geschichte vor allem um Lone Michaels dreht, den Erfinder und langjährigen Showrunner von „SNL“, driftet die Kamera immer wieder von ihm weg, wenn sich am Rande etwas regt, wenn geschrien wird, etwas zu Bruch oder gar in Flammen aufgeht. Ganz im Sinne des Ensemble-Charakters der eigentlichen Show tun sich inmitten des On-Set-Tohuwabohus so immer wieder kleine Einzelepisoden, Nebenbaustellen und Brandherde auf, die sich über die Laufzeit hinweg fortsetzen oder verschärfen.
Gespielt wird Michaels von Gabriel LaBelle, der sich – nachdem er in „Die Fabelmans“ mit dem Alter Ego des jungen Steven Spielberg bereits eine Galionsfigur Hollywoods verkörperte – nun der nächsten Showbusiness-Größe annimmt. Wenngleich der Kontrast zwischen Westküsten-Glamour und Ostküsten-Nüchternheit größer kaum sein könnte, sind unter Michaels Schirmherrschaft allerhand Stars herangereift, denen sich durch Auftritte in der Show große Karrieren auch jenseits des Fernsehens erschlossen – darunter etwa Adam Sandler, Chris Rock, Will Farrell und Tina Fey. Ganz zu schweigen von Filmen wie „Blues Brothers“ oder „Wayne‘s World“, die ebenfalls dem „Saturday Night Live“-Kosmos entstammen.
Die Person, die das Projekt an Michaels herantrug, war indes Dick Ebersol, der Vizepräsident des NBC-Nachtprogramms, der von Cooper Hoffman verkörpert wird (bekannt aus Paul Thomas Andersons „Licorice Pizza“). Es ist wohl kaum zu viel gesagt, wenn man in ihm das Herzstück dieses Filmes ausmacht. Denn so aufregend sich Reitmans Plansequenzen zunächst auch anfühlen mögen, dauert es nicht lang, bis die ihnen zugrunde liegenden Choreografien – und mit ihnen das Kalkül – nur allzu deutlich ans Tageslicht treten. Sobald sich die Kamera allerdings wieder auf Hoffmans Gesicht richtet, dessen Ebersol ständig damit beschäftigt ist, Dinge auf die eine oder andere Weise in Ordnung zu bringen, werden die Hektik und der Stress plötzlich tatsächlich greifbar – während Reitman sonst eher bemüht versucht, eine filmische Form für das ständige Durcheinander zu finden.
Unterstützt wird dies von der Uhrzeit, die grob alle zehn Minuten mit einem gnadenlos fortschreitenden Ziffernblatt eingeblendet wird und wiederholt für Gelächter sorgt. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie, dass es ausgerechnet einem Film über eine Comedy-Show ansonsten nur selten gelingt, das Publikum zum Lachen zu bringen. Als wandelnder Witz ist vermutlich Willem Dafoe („Spider-Man“, „Poor Things“) zu verstehen, der hier eine karikaturesk-schurkenhafte Version von David Tebet spielt, der über Jahrzehnte hinweg in der hohen Management-Riege von NBC das Sagen hatte. Dafoe tut merklich, was er kann. Doch wenn sich aus der Figur eines hohen Verantwortlichen, den es immer wieder mit fadenscheinigen Ausreden zu beschwichtigen gilt, gute Pointen herauskitzeln lassen, dann waren Reitman und Drehbuchschreiber Gil Kenan dieser Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen.
Selbst wenn man die ausbleibenden oder nicht zündenden Witze für einen Moment außer Acht lässt — nicht ohne Grund gelten Comedians schließlich oft als depressiv —, fällt es über das 50-jährige Jubiläum hinaus ziemlich schwer, einen dringlichen Grund für die Existenz dieses Films zu finden. Sicher, im Vorbeigehen wird auf die beschränkten und stereotypen Rollen eingegangen, die People of Color in dieser Zeit hauptsächlich zufielen: So spricht der Schauspieler Garrett Morris (gespielt von seinem – mit ihm nicht verwandten – Namensvetter Lamorne Morris) einmal davon, dass man als schwarze Person immer nur die gleichen Figuren angeboten bekomme – den Butler, den Schuhputzer oder den Pimp. Doch weder dieser Aspekt noch irgendein anderer scheint Reitman wirklich am Herzen zu liegen. Nichts verfängt.
Vielleicht lässt sich dieses Problem auch anhand des heute seltenen 16-Millimeter-Formats beschreiben, mit dem Reitman und sein langjähriger Kameramann Eric Steelberg hier gearbeitet haben – was sie im Rahmen des Toronto Film Festivals nicht ohne Stolz verkündeten. Dieses Format ist eigentlich für seine grobkörnige Struktur bekannt, doch in „Saturday Night“ wirkt es seltsam geglättet, beinahe so, als wolle man die analoge Drehweise möglichst vor den Zuschauer*innen verbergen. So wie sich nur schwer eine inhaltliche Motivation für den Film finden lässt, sind auch die Bilder kaum greifbar. Was letzlich übrig bleibt, ist ein Film, der sich – abgesehen von einer Vielzahl an Referenzen, die sich nur „SNL“-Fans erschließen werden – damit zufrieden gibt, den besonders chaotischen Premieren-Abend einer neuen Live-Show nachzustellen.
Fazit: Jason Reitmans „Saturday Night“ scheitert trotz eines starbesetzten Casts daran, den Geist und die kulturelle Bedeutung des TV-Phänomens „SNL“ einzufangen. Als Komödie wenig gekonnt und thematisch ohne Fokus, ist der Film wenig mehr als die uninspirierte Nachstellung einer Premieren-Aufzeichnung, deren Bedeutung sich weniger durch Reitmans filmische Vision als durch ihren Kontext erschließt.