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    The Surfer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Surfer

    Sowas kann wirklich nur Nicolas Cage und sonst niemand!

    Von Christoph Petersen

    Die Weltpremiere von „The Surfer“ in der Mitternachtssektion des Cannes Filmfestival 2024 war ein regelrechtes Happening. Erst haben die Anwesenden Nicolas Cage gefeiert wie die Jünger ihren Heiland – und dann haben sie hörbar mitgelitten, wie er eine Stunde lang Schritt für Schritt vom wohlhabenden Investment-Banker im Luxus-Elektroauto zum Mülltonnen durchwühlenden, nur noch Kauderwelsch plappernden Parkplatz-Penner mutiert. Nachdem der Oscargewinner eine Zeitlang fast nur noch an Videotheken-Schrottfilmen beteiligt war, spielte er in den vergangenen Jahren immer wieder Rollen, die trotz ihrer Genreverordnung noch viel mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätten:

    Mandy“, „Pig“ und „Dream Scenario“ – um nur einige zu nennen – sind längst nicht nur Kultfilme, sie sind auch verdammt gut, was vor allem den im doppelten Sinne wahnsinnigen Performances des „Face/Off“-Stars zu verdanken ist. „The Surfer“ reiht sich da nahtlos ein: „Vivarium“-Regisseur Lorcan Finnegan taucht seine Siebzigerjahre-Hommage in grandiose, sonnenverbrannte Bilder der traumhaften australischen Pazifikküste. Und mittendrin Nicolas Cage als tragischer Anti-Held, der auf einem Parkplatz vor einem der besten Surfstrände feststeckt wie in einer „Twilight Zone“-Episode. Der langsame, aber unaufhaltsame, irgendwann sogar surrealistische Züge annehmende Abstieg in den Wahnsinn ist eine brillante schauspielerische Tour de Force – und man kann es schon bald gar nicht mehr erwarten, bis Cage endlich zurückschlägt.

    Nicolas Cage will doch nur surfen! Arenamedia
    Nicolas Cage will doch nur surfen!

    „Nicolas Cage ist ‚The Surfer‘“, heißt es bei der Einblendung des Titels. Und einen anderen Namen wird er auch im weiteren Verlauf des Films nicht bekommen. Geboren in Luna Bay in Australien, ist er nach dem Tod seines Vaters mit der Mutter nach Kalifornien ausgewandert. Aber nun ist er zurück, um das Anwesen seines Großvaters zu kaufen. Seinem ebenfalls surfbegeisterten Sohn (Finn Little) will er das Haus seiner Kindheit vom Meer aus zeigen. Aber der Strand ist von den BayBoys besetzt. Angeführt von dem Guru-artigen Scully (Julian McMahon), verprügeln sie jeden, der hier surfen will: „Don’t live here, don’t surf here“, beten sie dabei wie ein Mantra herunter.

    Aber so leicht gibt der Surfer nicht auf. Schließlich soll der Kauf des Hauses all seine Probleme lösen – mit seiner Midlife-Crisis, mit seiner Frau, die die Scheidung will, mit seinem entfremdeten Sohn. Doch während er in seinem Luxus-Lexus auf dem Parkplatz ausharrt, gerät er immer wieder mit den BayBoys aneinander, die auch mit den örtlichen Gesetzeshütern unter einer Decke zu stecken scheinen. Nach und nach verliert der Surfer alles, seine Schuhe, seine Uhr, sein Handy, sein Bargeld, sein Auto – bis er wie ein Obdachloser in der Ecke des Parkplatzes kauert und sich selbst nicht mehr sicher ist, ob er noch vor wenigen Tagen nicht noch jemand ganz anderes war. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis er vollständig in die Enge getrieben endlich zum Gegenschlag ausholt…

    Innerhalb von nur zwei Tagen und Nächten wird aus dem Investment-Banker ein verdreckter, hungernder und durstender Landstreicher. Arenamedia
    Innerhalb von nur zwei Tagen und Nächten wird aus dem Investment-Banker ein verdreckter, hungernder und durstender Landstreicher.

    In typischen Rache-Filmen, die es wie Sand am Meer von Luna Bay gibt, ist die anfängliche Demütigung der Hauptfigur meist nur ein Mittel zum Zweck. Der eigentliche Handlungsmittelpunkt ist das Zurückschlagen. Aber bei „The Surfer“ ist das anders. Das Skript von Thomas Martin zelebriert den behutsamen, aber scheinbar unaufhaltsamen Absturz des Protagonisten auf engstem Raum, da ist praktisch nur der Parkplatz mit Kaffeebude im Bretterverschlag und verdreckter Sanitäranlage. Trotzdem wirkt es erstaunlich stimmig, dass der Surfer hier einfach nicht wegkommt, obwohl ihn niemand wirklich daran hindert, einfach nach Hause zu gehen (außer seinem Traum vom Haus, den er selbst dann nicht aufzugeben bereit ist, wenn er fast verdurstet ganz am Boden angekommen ist).

    Aber zum Ereignis wird dieser Abschnitt natürlich trotzdem erst durch Nicolas Cage. Schon zu Beginn nicht unbedingt eine „ausgeglichene“ Persönlichkeit, schraubt er das Wahnsinnsmeter von Minute zu Minute sorgsam immer weiter hoch. Im selben Moment staut sich in ihm und im Publikum der Hass auf die BayBoys mit ihrem an Andrew Tate gemahnenden Macho-Kult, bis man selbst im Kinosessel fast platzt Wut. Das liegt auch daran, dass selbst die nicht direkt involvierten Bewohner*innen die BayBoys eigentlich echt okay finden: Männer müssten halt man Dampf ablassen, und außerdem hielten sie den Abschaum fern. Selten hat man derart krass darauf gehofft, dass sich der Protagonist doch erheben und endlich, endlich, endlich zurückschlagen möge. Kurze Visionen zeigen schließlich schon im ersten Drittel Ausschnitte des Finales, etwa Füße, die offensichtlich von einem toten Mann in der Brandung stammen.

    Erschreckend charismatisch: „Nip/Tuck“-Star Julian McMahon als grausam charismatischer Sekten-Anführer. Arenamedia
    Erschreckend charismatisch: „Nip/Tuck“-Star Julian McMahon als grausam charismatischer Sekten-Anführer.

    Achtung – ohne konkret zu verraten, was passiert, handelt der folgende Absatz doch vom letzten Drittel des Films, also Weiterlesen auf eigene Gefahr:

    In diesen ersten gut 70 Minuten ist „The Surfer“ ein uneingeschränktes Grindhouse-Meisterwerk, das so subtil wie glaubhaft daherkommt und wohl auch deshalb solche schmerzhaft-mitfühlenden Reaktionen im Publikum auslöst. Aber dann endet der Film nicht so, wie es wohl jeder und jede erwartet hätte. Stattdessen schlägt „The Surfer“ noch mal einen Haken, mit dem er sich vom klassisch-geradlinigen Rache-Kino verabschiedet und plötzlich erstaunlich moderne Themen anschneidet. Das ist eine gelungene Überraschung und in sich stimmig – aber manchmal wünscht man sich eben auch einfach nur, dass Nicolas Cage doch jetzt bitte all den Arschlöchern mal ganz anständig die Fresse polieren möge.

    Fazit: Nicolas Cage langsamer Abstieg vom Lexus-Fahrer zum Parkplatz-Penner ist schlichtweg grandios. Ein zunehmend surrealer Absturz in den Wahnsinn, wie ihn nur der Oscargewinner in dieser Brillanz zu verkörpern vermag. Das Finale ist hingegen Geschmackssache, aber auch das wird „The Surfer“ auf seinem Weg zum Instant-Kultfilm kaum aufhalten können.

    Wir haben „The Surfer“ beim Cannes Filmfestival 2024 gesehen.

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