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    Suitable Flesh
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Suitable Flesh

    Körpertausch im Hormonrausch

    Von Sidney Schering

    Der ebenso fiese wie komische Horrorfilm „Suitable Flesh“, der nach seiner Deutschlandpremiere auf den Fantasy Filmfest Nights exklusiv auf dem Amazon-Video-Channel Home Of Horror* gestreamt werden kann, zehrt von gleich zwei Inspirationsquellen parallel: So setzt Regisseur Joe Lynch („Mayhem“) zum einen auf die Klangwelt und den überbelichtet-weichgezeichneten Look von Erotik-Thrillern aus den Neunzigern, insbesondere jenen, die direkt fürs (Kabel-)Fernsehen produziert wurden. Zum anderen ist „Suitable Flesh“ auch eine Hommage an den Sci-Fi- und Horror-Regisseur Stuart Gordon, der mit vor allem in den Videothekenregalen omnipräsenten Werke wie „Re-Animator“ oder „From Beyond“ zum Kult aufstieg.

    Eine von Stuart Gordons größten Faszinationen war wiederum der Schauer-Schriftstellers H.P. Lovecraft, dessen düsteres Meeresgott-Märchen „Dagon“ er bereits 2001 verfilmte. Bis kurz vor seinem Tod im Jahre 2020 arbeitete Gordon mit Drehbuchautor Dennis Paoli noch an einer weiteren Lovecraft-Adaption, diesmal der Körpertausch-Kurzgeschichte „Das Ding an der Schwelle“. Aus diesem Gordon-Paoli-Projekt entwickelte sich letztlich „Suitable Flesh“. Viel Gepäck also, das „Wrong Turn 2“-Regisseur Joe Lynch hier stemmt! Doch mit einer präzisen Inszenierung und einem blendend aufgelegten Cast entwickelt sich „Suitable Flesh“ zum schon sehr speziellen, aber eben auch sexy-schaurig-spaßigen Genre-Mischmasch.

    Heather Graham hat offensichtlich VERDAMMT VIEL Spaß am doppelbödigen Wahnsinn! LEONINE
    Heather Graham hat offensichtlich VERDAMMT VIEL Spaß am doppelbödigen Wahnsinn!

    Eine brutal zugerichtete Leiche versetzt selbst einen sarkastischen Pathologen (Graham Skipper) und seine in der Psychiatrie angestellte Kollegin Dr. Daniella Upton (Barbara Crampton) in Angst und Schrecken – was nicht zuletzt auch damit zu tun hat, dass Daniella die auf frischer Tat ertappte Mörderin kennt: Es ist ihre beste Freundin, die ebenfalls als Psychiaterin tätige Dr. Elizabeth Derby (Heather Graham)! Diese schwört allerdings, dass es eine Erklärung für alles gibt – selbst wenn diese nur schwer zu schlucken ist.

    Und so erzählt die in einer gepolsterten Zelle festsitzende Elizabeth von einem panischen jungen Mann namens Asa (Judah Lewis), der wahnsinnige Angst vor seinem Vater (Bruce Davison) hat. Außerdem umfasst die haarsträubende Geschichte ein sonderbares, okkultes Ritual samt erschütternder außerkörperlicher Erfahrungen – sowie Körpertausch, massive physische Pein und einen animalischen Sexualtrieb...

    Hormontriefende Saxophon-Solos

    Indem „Re-Animator“-Kultstar Barbara Crampton in „Suitable Flesh“ nicht nur vor die Kamera tritt, sondern obendrein als Produzentin agiert, dient sie quasi als verbindendes Element zwischen Gordons ursprünglicher Vision und Lynchs innovativem Tribut. Zudem findet die Horror-Ikone als besorgt-verwunderte Freundin der sich sonderbar aufführenden Protagonistin die richtige Balance aus Einschüchterung, Ratlosigkeit und einem augenzwinkernden Understatement, mit dem sie schon in den ersten Augenblicken klarmacht, wie „Suitable Flesh“ tickt. Zugleich schießt Komponist Steve Moore zumindest zu Beginn allerdings über das Ziel hinaus: Er kleistert jede noch so kleine Geste des Casts mit kitschig-melodramatischen Klängen zu. Der Score mutet so zwar authentisch nach klebriger Softcore-Fernseherotik an, wirkt aber trotz augenzwinkernd-liebevoller Genre-Hommage deplatziert.

    Das ändert sich allerdings total, sobald alle Figuren erst einmal in Stellung gebracht sind und die Lovecraft-Adaption völlig freizudrehen beginnt. Wenn die im Ehebett von ihrem einfallslosen Gatten Edward (Johnathon Schaech) gelangweilte Elizabeth erst einmal tiefer in das übernatürliche Geschehen hineinrutscht, gibt es nämlich schnell kein Halten mehr: Ganz egal, ob nun Suspense-Moment, Sexeskapade, genüsslich ausgekostete Gewaltspitze oder sich tief im okkulten Plot und den Lebensängsten der Figuren verlaufende Handlungssequenz – Moore untermalt all das mit einer dezent ironisch-übertriebenen, den Film aber nicht ins Parodistische kippen lassenden Musik. Selbstverständlich inklusive lasziven Saxophon-Solos, wann immer es auch nur ansatzweise passt.

    „Re-Animator“-Kultstar Barbara Crampton ist dem Projekt auch nach dem Tod von Stuart Gordon erhalten geblieben – gut so! LEONINE
    „Re-Animator“-Kultstar Barbara Crampton ist dem Projekt auch nach dem Tod von Stuart Gordon erhalten geblieben – gut so!

    Vor dieser stilisierten Klangtapete und im Korsett einer gewollt-billigen 90er-Kabel-TV-Ästhetik laufen Heather Graham und Judah Lewis zu genüsslicher, einen riskanten tonalen Spagat meisternden Hochform auf. „The Babysitter“-Hauptdarsteller Lewis hebt in seinen frühen Szenen die Fallhöhe enorm an, indem er den nicht nur um sein Leben bangenden Asa mit zittriger Intensität verkörpert. Im Verlauf der mehrere Parteien umfassenden, okkulten Körpertausch-Sperenzchen gibt er zudem einen selbstsüchtigen, abgebrühten Fiesling ab, den man ganz besonders gerne hasst.

    Ebenso überzeugend versteht Lewis es, ein mitleiderregendes Opfer zu verkörpern, das seine fleischliche Hülle voller Verzweiflung und Resignation als Gefängnis begreift. Der unmissverständliche Star des Ganzen ist aber Heather Graham: Je nach Kontext der Szene vermag sie es, mit diebischer Freude oder erschütternder Wirkung Elizabeth völlig neu zu beseelen. Als kopfgesteuerte, Gefahren dramatisch unterschätzende Psychiaterin gibt sie die sympathische Hauptfigur, mit der es sich wunderbar mitfiebern lässt.

    Sadistischer Spaß bis zum Abwinken

    Wenn Elizabeth durch sexuelle Übergriffe ihres Patienten erst eingeschüchtert und dann doch erregt wird, gibt Graham durch gezieltes Overacting unbequeme Klischees des Erotikthriller-Genres der Lächerlichkeit preis. Zugleich gelingt ihr mühelos der Wechsel zu einer ganz anderen Gangart, wenn in Elizabeth Kräfte weilen, die ihrem verdatterten Ehemann zuvor ungeahnte sexuelle Gelüste bescheren: Die „Boogie Nights“-Szenendiebin lässt „Suitable Flesh“ dann zur pikant-sinnlichen, frech-amüsierten Power-Fantasie anschwellen: Auch Frauenkörper über 50 verkommen hier entgegen der Mär, die zahllose Filme und Serien seit Jahrzehnten verbreiten, garantiert nicht zur lustlosen Hülle.

    Allzu viel über Körperidentitäten und sexuelle Selbstbestimmung haben Paoli und Lynch dann doch nicht zu sagen. Aber ein mit dämonischem Blick und gewetztem Messer durchgezogenes Lustspiel, bei dem Edward seine Frau von einer neuen Seite kennenlernt, überdreht zumindest derart, dass eine wissentlich-haarsträubende Genre-Übung dabei herauskommt: Von schreiend-dramatischer Musik begleitet, wirbelt und wirbelt die Kamera, bis es erst peinlich wird – und dann doch noch in einem der spritzigsten Gags des bisherigen Horrorjahres mündet.

    Ähnlich geht Lynch mit den vorsichtig dosierten, dann aber boshaft ausgekosteten und matschig-saftig getricksten Gewaltausbrüchen um: Neben einer Messerattacke, bei der genug Blut spritzt, um gleich drei ganze Körper neu aufzufüllen, gibt es auch noch den wohl bösartigsten und genialsten Einsatz einer Auto-Rückfahrkamera, die man sich als Genre-Fan nur wünschen kann. Und wenn man denkt, der Film hätte bereits seine bittere Schlusspointe erreicht, drehen Lynch und Paoli noch ein paar sadistische Ehrenrunden!

    Fazit: Kein Mimikry, sondern eine Lovecraft-Adaption, die gleich zwei verschiedenen Genre-Epochen Tribut zollt und daher bei aller Nostalgie völlig neu wirkt! „Suitable Flesh“ ist ein bösartig-humoriger, grotesk-hormongesteuerter Körpertausch-Horror, der sich auf einer ganz eigenen Wellenlänge ins Fäustchen lacht.

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