Langsam wieder auftauchen
Von Markus TschiedertEtwa 11.000 Kilometer unterhalb des Meeresspiegels ist der Marianengraben die tiefste Stelle im Pazifischen Ozean. In der Nähe liegen die Marianeninseln, nach denen die Tiefseerinne benannt wurde – und so hat schließlich auch der 2020 veröffentlichte Roman „Marianengraben“ von Jasmin Schreiber (» bei Amazon*) seinen Titel erhalten. Der titelgebende Ort ist hier Sinnbild für die tiefe Trauer und Verzweiflung, die die Protagonist*innen nach einem schmerzvollen Verlust empfinden. Das erste Kapitel heißt „11.000“ – also die maximale Tiefe des Marianengrabens. In den folgenden 23 Kapiteln wird die Zahl immer kleiner, bis sie im letzten Abschnitt schließlich die Null erreicht – endlich Auftauchen und Luftholen. Gelobt wurde der Debütroman vor allem wegen der Leichtigkeit, mit der Schreiber selbst schweren Themen wie Tod, Traurigkeit, Schuld und Sühne begegnet.
Der literarische Erfolg schrie also regelrecht nach einer Verfilmung mit einem ausgeprägten Wohlfühl-Charakter – und tatsächlich ließ diese nicht allzu lange auf sich warten: Regisseurin Eileen Byrne gelingt mit ihrem ersten Kinofilm allerdings nicht derselbe Balanceakt zwischen Schwere und Leichtigkeit, der die Vorlage noch ausgezeichnet hat. Das mag teils auch daran liegen, dass Held*innen, die durch äußere Umstände auf eine Reise ins Ungewisse getrieben werden und dabei vor allem zu sich selbst finden müssen, im Kino-Kosmos wahnsinnig überbeansprucht sind. Gerade wenn dann auch noch zwei Menschen aufeinandertreffen, die sich anfangs überhaupt nicht ausstehen können, am Ende aber doch ein Herz und eine Seele sind.
Alles beginnt damit, dass sich Paula (Luna Wedler) verbotenerweise nachts auf den Friedhof schleicht, wo ihr kleiner Bruder begraben liegt. Sie hat es nie überwunden, dass Tim in Italien im Meer ertrunken ist. Es ist nicht das erste Mal, aber an diesem Abend stößt sie mit Helmut (Edgar Selge) zusammen, der gerade dabei ist, die Urne mit der Asche seiner Frau auszubuddeln. Paula hilft ihm spontan. Doch sie werden entdeckt und müssen gemeinsam in Helmuts Wohnmobil fliehen….
„Marianengraben“ beginnt in einer gruseligen Umgebung und mit etwas Slapstick. Da spricht viel dafür, dass wir es hier mit einer temporeichen Tragikomödie zu tun bekommen. Zumal sich dann auch noch ein Campingbus als skurriler Hauptschauplatz des Films entpuppt. Mit dem Gefährt will Helmut nach Italien, um die Urne in seinem Garten einzugraben, wo sie seiner Meinung nach hingehört. Paula fordert spontan, mitgenommen zu werden, um noch einmal den Strand zu besuchen, wo ihr Bruder im Meer umgekommen ist. Da hat Helmut gar keinen Bock drauf, aber Paula lässt sich nicht abwimmeln. Ein Streit entbrennt, dann noch einer, und hier tritt der Film eine Zeitlang auf der Stelle. Und wenn es dann schließlich doch weitergeht, ist das alles wahnsinnig vorhersehbar.
Klar bilden die beiden eine Schicksalsgemeinschaft und so raufen sich der alte Mann und das Mädchen auf der Fahrt zum Meer zusammen. Dabei erkennen sie zunehmend selbst, was das Publikum längst durchschaut hat: Was sie verbindet, ist die Trauer über den Tod eines geliebten Menschen, und nur gemeinsam können sie zu einem inneren Frieden finden. Überraschendes hat der Plot nicht zu bieten. Die Regisseurin bedient brav die Konventionen eines Roadmovies, wie man es schon zigmal gesehen hat – das ist streckenweise durchaus sympathisch, aber es gibt auch Momente, wo man sich wünscht, Helmut würde das Gaspedal seines Campers etwas mehr durchtreten.
Selbstverständlich wird es gerade im letzten Drittel hochemotional, vor allem für Paula, die sich nochmals voll und ganz ihrem Schmerz aussetzt. Doch die Begegnung und die Erlebnisse mit ihrem unerwarteten Weggefährten erlauben ihr, wieder Freude im Leben zu finden.
Auf emotionaler Ebene setzen Luna Wedler („Das schönste Mädchen der Welt“) und Edgar Selge („Das Experiment“) ihr ganzes schauspielerisches Können unter Beweis – berührend, vielleicht sogar tränendrückend. Weil das alles aber genauso zu erwarten war, fühlt man sich im selben Moment auch ein wenig manipuliert. In Sachen Tragik drückt Eileen Byrne also durchaus die richtigen Knöpfe, die Töne für eine Komödie trifft sie hingegen weniger gut. Die im Buch noch so gelobte Leichtigkeit verpufft im Film, und so fehlt etwas, um der Gedrücktheit der Geschichte etwas entgegenzusetzen. Es war halt immer schon leichter, Tränen als Lacher zu provozieren.
Fazit: Eine Tragikomödie, in der Schwermut und Leichtigkeit keinen harmonischen Einklang finden. Zum einen, weil die üblichen Wege eines Roadmovies schon ziemlich abgefahren sind. Zum anderen, weil die humorvollen Augenblicke des Plots längst nicht so gelungen sind wie die tragischen.
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