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    Abigail
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Abigail

    Eine Vampir-Ballerina färbt die Leinwand blutrot!

    Von Pascal Reis

    Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Das gilt auch das für sogenannte Dark Universe, mit dem Universal Pictures anno 2017 den Versuch unternahm, die klassischen Universal Monster Dracula, Frankenstein und Co. mit einem satten Blockbuster-Budget wieder auf die Kinoleinwände zu bringen. Der Plan ging aber mal so richtig in die Hose: Bevor das Dark Universe überhaupt richtig Fahrt aufnehmen konnte, war es aufgrund des rigorosen Misserfolges von „Die Mumie“ mit Tom Cruise auch schon wieder Geschichte.

    Aber kein Grund zur Trauer, denn Universal schöpft weiterhin aus dem hauseigenen Schreckgestalten-Fundus – nur eben unter anderen Voraussetzungen, wie „Der Unsichtbare“, „Renfield“ und „Die letzte Fahrt der Demeter“ offenbarten: Statt weiterhin auf überteuertes Spektakel-Kino mit dementsprechend hohen kommerziellen Erwartungen zu setzen, baut man auf etwas kleinere, vielleicht auch mal ambitioniertere, ausgefallenere Genre-Filme. Und genau diesen Kurs setzt nun auch der größtenteils unterhaltsame Vampirinnen-Splatter „Abigail“ fort.

    Abigail (Alisha Weir) hat nicht nur einige starke Ballerina-Moves drauf, sondern bringt auch verdammt großen Blutdrust mit. Universal Pictures
    Abigail (Alisha Weir) hat nicht nur einige starke Ballerina-Moves drauf, sondern bringt auch verdammt großen Blutdrust mit.

    Eine Gruppe von Schmalspurganov*innen (u. a. Melissa Barrera, Dan Stevens, Kevin Durand, William Catlett) wittert das schnelle Geld: Sie sollen für ihren Auftraggeber Lambert (Giancarlo Esposito) ein zwölf Jahre altes Mädchen (Alisha Weir) entführen, sie zu einem im Grünen gelegenen Herrenhaus bringen und dort für 24 Stunden in den Augen behalten. Als Belohnung winkt der Bande eine stattliche Lösegeldsumme von 50 Millionen US-Dollar.

    Was zu Anfang wie ein Kinderspiel erscheint, bei dem nun wirklich rein gar nichts schiefgehen kann, entwickelt sich alsbald zu einem blutigen Albtraum. Wie sich nämlich herausstellt, ist das Mädchen mit der Leidenschaft zum Ballett überhaupt nicht wehrlos, sondern in Wahrheit ein nach Blut gierender Vampir! Schon bald beginnt ein Kampf ums Überleben…

    Erst einmal Dienst nach Vorschrift

    Wenn das Regie-Duo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett für etwas steht, dann ist es Tempo! Nicht nur bei „Scream 5“ und „Scream 6“ haben sie mit abgeklärter Stilsicherheit das Gaspedal bis zum Anschlag durchgedrückt und Wes Cravens Erbe in Form von atemlosen Horror-Spektakeln triumphal fortgesetzt. Auch „Ready Or Not“, mit dem das Filmemacher-Gespann 2019 der endgültige Durchbruch gelang, war ebenfalls eine hemmungslos-blutige Achterbahnfahrt, die einzig und allein auf den größtmöglichen Spaßfaktor spekulierte.

    Auch „Abigail“, der sich – sehr, sehr lose – an „Draculas Tochter“ aus dem Jahre 1936 orientiert, kennt irgendwann kein Halten mehr und die Wände werden mit dem roten Lebenssaft neu bestrichen. Doch bis es so weit ist, muss man zunächst einen recht drögen Auftakt überstehen. Erst einmal arbeiten Bettinelli-Olpin und Gillett nämlich die vertrauten Erzählkonventionen klassischer Heist Movies ab: Der Auftrag wird vorgestellt, das zu beachtende Regelwerk für das Gelingen der Mission erklärt und die Mitglieder der Gauner-Truppe dürfen ihre individuellen Spezialfähigkeiten präsentieren, vom Fluchtwagenfahrer (Angus Cloud) bis zum Computer-Ass (Kathryn Newton).

    Nicht einmal Ghostface hat es geschafft, Melissa Barrera derart rigoros vollzusauen! Universal Pictures
    Nicht einmal Ghostface hat es geschafft, Melissa Barrera derart rigoros vollzusauen!

    Nachdem die Gangster samt Kidnapping-Opfer dann in einem abgelegenen Herrenhaus angekommen sind und die kommenden 24 Stunden eigentlich nur noch entspannt absitzen müssen, wird das allergrößte Problem von „Abigail“ deutlich: Immer dann, wenn die Figuren über sich selbst reden beziehungsweise ihre Hintergrundgeschichten zum Thema gemacht werden, fehlt es dem Film an jeglicher Dynamik. Anstatt den Fokus auf die hervorragende Chemie der Gruppe zu legen, wird die Vergangenheit der Beteiligten in austauschbaren Allgemeinplätzen beleuchtet. Das ist nicht nur im ersten Drittel so, sondern tritt wiederholt ein. Leider. Wenn „Abigail“ die Protagonist*innen frei miteinander agieren lässt, zeigt sich hingegen, wie grandios dieses bunt zusammengewürfelte, wunderbar spielfreudige Ensemble doch ist.

    Mit Melissa Barrera in der Rolle der leidensfähig-widerspenstigen Scream Queen, die gleichwohl das emotionale Zentrum der Handlung bildet, ist man wie schon in den beiden letzten „Scream“-Filmen auf der sicheren Seite. Die wahren Highlights sind aber ganz eindeutig Kevin Durand und Dan Stevens. Die selbstverständliche Süffisanz im Spiel von Stevens ist nach „Godzilla X Kong“ einmal mehr Balsam für die Seele – und das, obwohl seine Figur nicht einmal der Sympathieträger ist! Ganz im Gegensatz zu Kevin Durand, der als treudoofer Muskelprotz Erinnerungen an Dave Bautistas Fanliebling Drax aus den „Guardians Of The Galaxy“-Blockbustern weckt. Das wuchtige Riesenbaby möchte man am liebsten einfach in den Arm nehmen, selbst wenn es von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt ist!

    Lasst die Spiele beginnen!

    So richtig Geschwindigkeit nimmt „Abigail“ dann auf, wenn Alisha Weir in der titelgebenden Rolle endlich ihre spitzen Zähnchen zeigen darf. Als garstige Blutsauger-Ballerina gibt sie Bettinelli-Olpin und Gillett die nötige Steilvorlage, um ihre inszenatorischen Stärken voll ausspielen zu können. Wenn der Horror nämlich erst einmal entfesselt wird, dann richtig schön böse, blutrünstig und leidenschaftlich. Da ist es nur der Anfang allen Wahnsinns, wenn Abigail mit einem enthaupteten Körper eng umschlungen über eine kleine Bühne schunkelt, während dazu die klassischen Klänge aus Pyotr Illyich Tchaikovskys „Schwanensee“ auf der Tonspur anschwellen.

    Tatsächlich steigert sich „Abigail“ immer weiter in einen furiosen Blutrausch hinein (inkl. Gekröse und Fleischbrocken satt), in dem – ja, hier zitieren sich die beiden Regisseure auch selbst – Körper wie Wasserbomben mit lautem Knall in tausend Stücke explodieren dürfen. Das macht nicht nur jede Menge Spaß, weil der Film sich dabei einen cartoonesken Charakter bewahrt. Auch die Schauspieler und Schauspielerinnen laufen zu Hochtouren auf, wenn diese als Amateur-Vampirjäger (da werden Zwiebeln auch mal mit Knoblauch verwechselt) völlig überfordert mit der Situation sind. Notgedrungen muss man sich da einfach mit halbierten Billardqueues ins Chaos stürzen!

    Mit Billardqueues bewaffnet müssen sich die Ganoven urplötzlich als Vampirjäger wider Willen beweisen. Universal Pictures
    Mit Billardqueues bewaffnet müssen sich die Ganoven urplötzlich als Vampirjäger wider Willen beweisen.

    Und Chaos ist der richtige Begriff für „Abigail“: Schon zwischendurch schlägt die Geschichte den einen oder anderen dramaturgischen Haken. Im Finale sollen aber gefühlt im Minutentakt die Erwartungen des Publikums unterlaufen werden, was in diesem Fall ein wenig bemüht wirkt – auch weil Bettinelli-Olpin und Gillett hier eben nicht wie in „Scream“ auf der Meta-Ebene das Genre reflektieren. Das ändert aber nur wenig daran, dass der ausladende, völlig ungestüme Showdown in all seiner Zerstörungslust richtig Laune macht – das Blut ergießt sich hier endgültig in Bächen über die Leinwand!

    Ein wenig schade ist es aber dennoch, dass aus dem Setting selbst zu wenig gemacht wird. Immer wieder zeigt sich in Andeutungen, wie stark Bettinelli-Olpin und Gillett es beherrschen, das Herrenhaus im Nirgendwo als verwinkelten, mit vielen Geheimnissen ausgestatteten Schauplatz in Szene zu setzen: Allein die schleimige Entdeckung, die im Keller vor sich hin vegetiert, hat so viel Lust gemacht, noch mehr Kammern und Gänge in diesem verfluchten Anwesen zu erkunden. Hier aber verschwendet der Film kreatives Potenzial, wenn er größtenteils in den (gefühlt) drei immer selben Räumen spielt.

    Fazit: Ein dröger Auftakt und die unnötig eingestreuten Hintergrundgeschichten der Figuren bremsen „Abigail“ immer wieder aus. Wenn der Horror aber von der Leine gelassen wird, dann zeigt sich nicht nur, wie grandios das Ensemble ist. Auch Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett spielen ihre Stärken gekonnt aus und liefern richtig enthemmtes Fun-Splatter-Kino, bei dem kein Stein auf dem anderen bleibt!

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