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    Yannick
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Yannick

    Kunst ist doch (k)ein Wunschkonzert!

    Von Janick Nolting

    „Ich fasse es nicht!“, klagt ein Schauspieler zu Beginn von „Yannick“ – und natürlich könnte dieser Ausspruch auch für die gesamte Filmographie von Quentin Dupieux stehen. Zuletzt hat der Regisseur jährlich mindestens ein neues Werk veröffentlicht. Fast jedes davon ist eine Sensation für sich. Dupieux ist ein Schelm, ein Narr, der mit den Alltagsmythen unserer spätmodernen Existenz spielt. Das Surreale und Absurde liegen ihm ebenso wie das Traurige und Furchteinflößende. Sein Nonsens verwebt Banalität und Weisheit, bis man gänzlich verunsichert zurückbleibt. Die einstündige Satire „Yannick“ bildet da keine Ausnahme, wobei es sich hier um ein vergleichsweise ernstes, stringent erzähltes Werk handelt. Es verwandelt einen Theaterabend in eine Kampfzone.

    Der Nachwächter Yannick (Raphaël Quenard) hat große Mühen auf sich genommen hat, um ein Pariser Theater zu besuchen. Sogar Urlaub hat er extra nehmen müssen, um die Aufführung von „Le Cocu“ zu sehen, ein Drama, in dem drei Darsteller*innen eine hölzerne Scheidungsgeschichte vorspielen: Der Ehemann (Pio Marmaï) kann es nicht fassen, dass ihn seine Frau (Blanche Gardin) betrügt. Noch dazu mit einem Magen-Darm-Kranken! Nach kurzer Zeit kommt es jedoch zum Eklat: Yannick erhebt sich aus dem Publikum und stört die Vorstellung. Mit diesem Theaterstück ist er ganz und gar nicht zufrieden…

    Yannick (Raphaël Quenard) will Unterhaltung und keine Kunst – und das notfalls auch mit Waffengewalt!

    Das Inszenieren, Filmen, Aufführen, Spielen und Erzählen nimmt in Dupieux‘ Filmen häufiger eine zentrale, selbstreflexive Stellung ein. Sei es jüngst das labyrinthische Doku-Projekt in „Daaaaaali!“, die Produkt-Inszenierung von „Monsieur Killerstyle“ oder das wendungsreiche Illusionstheater in „Die Wache“. Passend, dass der Regisseur mit „Yannick“ nun noch einmal dezidiert in den Theatersaal zurückkehrt, um all jene öffentlichen Prozesse unter die Lupe zu nehmen, die dort teils bewusst, teils unbewusst stattfinden.

    Theater und vielleicht sogar Kunst im Allgemeinen hat immer mit Macht, Lenkung und Auslieferung, aber auch mit gegenseitiger Beeinflussung zu tun. „Yannick“ führt das ab den ersten Minuten vor. Menschen kommen zusammen, um sich still und diszipliniert im Dunkeln anderen Regeln sowie der Gefahr des Plötzlichen und der Überwältigung auszusetzen. Gerade dann, wenn sie sich als Voyeur*innen zu sicher fühlen, nutzt Yannick die ihm verliehene Macht, das Theaterereignis als Zuschauer mitzugestalten. Fortan bestimmt er den Verlauf des Abends!

    Was kann man von Kunst erwarten?

    Dupieux zaubert daraus eine dichte, höchst intensive Situation, indem er seinen Protagonisten die vierte Wand durchschreiten und das gesamte Theatergebäude als szenischen Raum sehen lässt. Die Verkleidungen und Masken, mit denen man dort arbeitet, die Konventionen, denen sich alle beugen, werden aufs Glatteis geführt. Plötzlich lässt sich Yannick Laptop und Drucker auf die Bühne bringen. Quälend lang müssen nun alle zusehen, wie der Rebell sein eigenes Drama tippt. Der künstlerische Schöpfungsakt wird selbst zum langweiligen, ausgestellten Spektakel. Doch so sehr man über Yannicks Dreistigkeit lachen kann, so sehr lernt man diese Figur hassen. Dupieux rechnet hier mit engstirnigen Kunsterwartungen ab. Yannick wollte nur unterhalten werden, etwas weniger Künstlerisches sehen, alle Sorgen vergessen. Als Dank hat er jetzt noch mehr Probleme am Hals. Für 16 Euro Eintritt!

    „Wenn ich mich bei dem Stück schlecht fühle, muss es scheiße sein“, beschwert er sich. Wenn man jedoch verfolgt, wie etwa im Netz zum Teil über Filme, Musik oder auch Literatur gesprochen wird, erscheint dieses Pamphlet plötzlich gar nicht mehr so lustig. Vielleicht lacht man eher darüber, wie akkurat Dupieux gewisse Diskurse vorführt, die Kunst nur noch als Kosten-Nutzen-Rechnung und bequemen Service begreifen, der den eigenen Geschmack bestätigen und ein paar Befindlichkeiten befriedigen soll. Dupieux‘ Kino war schon immer geübt darin, solche Erwartungen zu unterwandern und Genre-Grenzen zu sprengen. Es spielt genüsslich mit der Enttäuschung seines Publikums, wenn Handlungsstränge gegen Wände fahren und ebenso abrupt abreißen, wie sie in all den filmischen Miniaturen zum Leben erwachen. „Yannick“ ist aber keineswegs nur eine Hassrede an Publikum und Kritiker*innen. So eindeutig ist dann doch nicht, für wen oder was man hier Partei ergreifen soll.

    Packende Enge

    Yannick nimmt den Saal mit einer Waffe in Geiselhaft, wird unverschämter, aufdringlicher. Die Stimmung kippt. Dupieux fährt Albernheit und Running Gags, die man oft von ihm kennt, dieses Mal zurück. Stattdessen kreiert der Franzose ein erstaunlich packendes Suspense-Kammerspiel in 4:3-Aufnahmen, die zwischen Bühne und Zuschauerraum hin- und herspringen. Angespannt wartet man auf den ersten Schuss und die herausgezögerte Eskalation, obwohl man noch nicht einmal weiß, ob die Pistole überhaupt echt ist. Spielt das eine Rolle? Echt genug jedenfalls, um allen gehörig Angst einzujagen.

    Wie lange folgt man diesem Spiel? Wann wagt jemand die Revolte? „Yannick“ erinnert an Mark Mylods „The Menu“, wo es ebenfalls um die Frage der Unterwerfung und Kommunikation in der (Koch-)Kunst ging. Dupieux geht ähnlich erbarmungslos vor. Wiederholt wechseln hier Perspektiven, Täter- und Opferrollen. Auch die Gefangenen, die Darsteller*innen dieses furchtbar trashigen Theaterabends und ihr Publikum, brauchen nur einen kleinen Stoß, um jeden Anstand fahren zu lassen. Wenn es um den Erhalt der gewohnten Ordnung geht, sind sadistische Erniedrigungsfantasien nicht fern.

    Pio Marmaï spielt den Ehemann im Theaterstück – und will sich von dem Störenfried aus dem Publikum am liebsten gar nichts sagen lassen.

    Zu Dupieux‘ desillusionierendem Mitteln gehört nur leider auch, dass „Yannick“ irgendwann etwas zu ernüchternd implodiert. Das ist schade, weil in diesem Fall die Reflexion seines ganzen Gefüges darunter leidet. Es fehlen letzte Schliffe, um nach dem ausufernden Mittelteil eine interessante Pointe zu finden. Dupieux fällt es spürbar schwer, die wenigen zentralen Ideen angemessen weiterzudenken. Wie Yannick in seiner abgehängten Arbeiterrolle markiert wird und mit einem konventionellen bürgerlichen Kunstverständnis kollidiert, wie der Außenseiter fragwürdige Erfolgsmomente auskosten darf – das begibt sich nicht nur in brenzlige thematische Gefilde. Es lässt geringe Weitsicht erkennen, um ihrer Komplexität gerecht zu werden.

    Stattdessen erzeugt Dupieux einen faden, unentschlossenen Beigeschmack. Verliert sein Zynismus gegenüber allem final vollends die Bodenhaftung? Oder geht er den Versuchen einer Psychologisierung schlicht auf den Leim? Man kann sich bei ihm nie so sicher sein. Der Ausweg, den er schließlich wählt, erscheint jedenfalls konsequent und faul zugleich. Überraschend, gerade weil er so erwartbar ist. Zum Glück kann man im Kino die Verantwortlichen nicht unmittelbar dafür zur Rechenschaft ziehen – im Theater ist das anders.

    Fazit: „Yannick“ gehört nicht zu den stärksten Filmen von Quentin Dupieux, fügt sich aber nahtlos in eine Reihe herrlich absurder Versuchsanordnungen ein. Eine spöttische, überraschend spannende Abrechnung mit heutiger Kunstfeindlichkeit, bei der alle irgendwie ihr Fett wegbekommen.

    Wir haben „Yannick“ im Rahmen der Französischen Filmtage Leipzig gesehen, wo der Film seine Deutschlandpremiere gefeiert hat.

     

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