Diese Satire ist wahrhaft entzückend – und hat trotzdem Biss!
Von Gaby SikorskiDas Himalaya-Königreich Bhutan gilt noch immer als touristischer Geheimtipp. So viel unberührte Natur wie hier gibt es in bewohnten Regionen sonst kaum irgendwo auf der Welt. Nahezu 50 Prozent der Fläche des gesamten Landes bestehen aus Nationalparks und Natur- oder Wildschutzgebieten – der höchste Anteil weltweit. Der Umweltschutz ist hier nicht nur in der Verfassung festgeschrieben, sondern auch einer der Eckpfeiler des sogenannten „Bruttonationalglücks“. Denn das buddhistisch geprägte Land, das ungefähr so groß ist wie die Schweiz, aber nur von ca. 750.000 Menschen bewohnt wird, betrachtet nicht etwa den materiellen Wohlstand seiner Bevölkerung und die Vermehrung des Staatskapitals als Ziel. Stattdessen verfolgt es – ganz im Sinne des Buddhismus – einen ganzheitlichen Ansatz, in dem die ökologische Nachhaltigkeit und der Naturschutz eine sehr wichtige Rolle spielen.
Wer den wunderbaren kleinen Film „Lunana. Das Glück liegt im Himalaya“ (2019) gesehen hat, ist in all diese Zusammenhänge bereits eingeweiht. Der bhutanische Regisseur Pawo Choyning Dorji drehte seine vergnügliche Komödie seinerzeit in einem der abgelegensten Dörfer der Welt. Dafür gab es eine Oscar-Nominierung und eine überwältigende Zahl von Auszeichnungen. Nun folgt der nächste Streich des jungen Filmemachers: Gegenüber seinem Kinodebüt ist „Was will der Lama mit dem Gewehr?“ beinahe schon ein Ausstattungsfilm, denn die Geschichte spielt in der Vergangenheit, genauer gesagt im Jahr 2006. Gerade erst wurden das Fernsehen und das Internet in Bhutan eingeführt, da bereitet der König seine Abdankung vor: Sein Land soll eine Demokratie werden, und zwar in Gestalt einer parlamentarischen Monarchie mit politischen Parteien und freien Wahlen.
Dem Volk von Bhutan steht also einiges bevor, und so erzählt der bekennende Tarantino-Fan Pawo Choyning Dorji zunächst einmal, wie der Mönch Tashi (Tandin Wangchuk) im Auftrag seines Lamas (Kelsang Choejay) loszieht, um bis zum nächsten Vollmond zwei Gewehre zu besorgen. Sie werden für eine wichtige Zeremonie im Zusammenhang mit den kommenden politischen Veränderungen benötigt. Dabei ahnt Tashi nicht, dass er einen Konkurrenten hat: einen US-amerikanischen Sammler (Harry Einhorn), der sich mithilfe eines gewitzten einheimischen Multifunktionsgeschäftsmanns (Deki Lhamo) auf die Suche nach alten Waffen macht. Parallel dazu verläuft die Geschichte der engagierten Tshering Yangden (Pema Zangmo Sherpa). Sie gehört zu einem Team von Regierungsangestellten, die losgeschickt wurden, um die Bevölkerung angemessen auf die kommenden Wahlen einzustimmen.
Zurzeit soll sie die wahlberechtigte Bevölkerung eines abgelegenen Dorfes bei einer Testwahl auf die Stimmabgabe vorbereiten und mit ihnen anhand von zwei fiktiven Parteien vorab den Wahlkampf trainieren. Tshering Yangden ist bis in die Haarspitzen motiviert, um ihren Auftrag zu erfüllen. Doch ziemlich schnell muss sie erkennen, welche unerwarteten Folgen die wohldurchdachte Strategie bei der Bevölkerung hat. Denn die Aussicht auf Mitbestimmung weckt plötzlich ganz andere Begehrlichkeiten, die so gar nicht zur buddhistischen Lehre und zum Bruttonationalglück passen wollen: Ehrgeiz, Geldgier und Neid gehören ebenso dazu wie Postengeschacher und Geltungsdrang. Bald stehen nicht nur Freundschaften, sondern auch familiäre Beziehungen auf dem Prüfstand…
Vor dem Hintergrund der majestätischen Himalaya-Gipfel entwickelt Pawo Choyning Dorji seine liebenswerte Geschichte, die viel über den Alltag in Bhutan erzählt. Und weil es dort noch immer kaum Berufsschauspieler*innen gibt, arbeitet Dorij wie in „Lunana“ mit Laiendarsteller*innen, die allesamt so natürlich, liebenswürdig und locker spielen, dass man sie einfach gernhaben muss. Auch die Kameraarbeit ist überzeugend: Jigme Tenzing präsentiert Bhutan in seiner ganzen ursprünglichen Vielfalt und Schönheit, in wunderbaren Landschaftsbildern, die vor allem eines deutlich machen: wie unbedeutend der Mensch gegenüber der Natur ist. Eigentlich erzählt Pawo Choyning Dorji mit viel Liebe, Witz und Selbstironie eine einfache Geschichte. Aber als Tarantino-Fan weiß er natürlich, wie er die Story ordentlich aufpeppen kann. Und so findet er durch die zunächst parallel erzählten Handlungsstränge zu einer Form, mit der er über die Suche nach den Waffen eine nicht unbeträchtliche Spannung aufbaut, wenn nicht gar eine unterschwellige Bedrohung, die er dann immer wieder überraschend bricht.
Das hat etwas sehr schön Spielerisches, manchmal wirkt Dorjis Inszenierung bei aller Ruhe und Souveränität geradezu übermütig. Damit zeigt er: Hier ist einer, der gerne und gut Geschichten erzählt, mit vielen Anspielungen und ironischen Kommentaren zum sogenannten Fortschritt und zu den angeblichen Segnungen des Kapitalismus. Er zeigt Bhutan als Land, in dem die Menschen mit und in der Natur leben, der sie denselben Respekt erweisen wie ihren Mitmenschen gegenüber. Doch auch die eigene Bevölkerung lässt er nicht ungeschoren. Die Hinterwäldler*innen in den Bergen werden mit mildem Spott betrachtet, ebenso wie die zukunftsgläubigen Jungkapitalist*innen in der Hauptstadt. Insgesamt feiert Pawo Choyning Dorji auf eine sehr liebevolle Weise, aber mit scharfsinnigem Humor die pfiffige Unschuld seiner Landsleute, die dem technischen Fortschritt mit naiver Freude begegnen. Und schließlich gerät sogar die engagierte Wahlhelferin Tshering Yangden in einen Zwiespalt: Warum muss es eigentlich politische Parteien geben, wenn das doch eh nur für Unfrieden sorgt? Es waren doch alle glücklich, solange sie sich einig waren …
Fazit: Eine echte kleine Arthouse-Perle! Nach seiner zauberhaften Himalaya-Komödie „Lunana“ ist dem bhutanischen Regisseur Pawo Choyning Dorji eine wunderbar unterhaltsame Satire gelungen. Scheinbar harmlos und beinahe niedlich kommt sie daher, aber spart trotzdem nicht an kritischen Anspielungen in Richtung Kapitalismus und Globalisierung. Auch die eigene Bevölkerung wird durchaus ironisch auf die Schippe genommen. Aus einer scheinbar braven Geschichte macht der Tarantino-Fan Dorji eine ziemlich gepfefferte Allegorie, in der er der gesamten wirtschaftshörigen Welt den Spiegel vorhält und mit ergreifender Schlichtheit und viel Augenzwinkern zeigt, dass es vielleicht auch anders ginge. Bhutan hat der Welt viel zu geben, lautet die Botschaft, also: mehr Bruttonationalglück für alle!