Ein Psycho-Thriller auf doch nicht ganz so engem Raum
Von Patrick FeyDer Eingangsszene mangelt es nicht an Prägnanz: Zunächst das neon-blaue Licht, das durch den Spalt einer halbgeöffneten Kofferraumluke auf ein Auge fällt, das just in jenem Moment aufschlägt, als ein Frettchen sich an einer Wunde am Bein labt. Als der Nager das Weite sucht, übernimmt die Kamera den Blick der erwachten jungen Frau. Ihre Hand streckt sich dem goldenen Laternenlicht entgegen, das vom verlassenen Hinterhof in den kantigen PKW mit litauischem Kennzeichen hereinscheint. Ein Mann kommt, den letzten Zigarettenzug nehmend, auf das Auto zu – schnell wird noch das Handy versteckt und dann wieder die eigene Ohnmacht vorgetäuscht. Spätestens wenn uns Regisseur Marc Schießer („Schattenmoor“) hier via Close-Up auf die am Gurt des Mannes befestigte Pistole aufmerksam macht, können wir uns sicher sein, dass wir einer Entführung beiwohnen.
Mit dem Zuschlagen der Heckklappe wird der Filmtitel „Trunk“ eingeblendet – und damit der zentrale Pitch des Projekts eigentlich auch schon abgeschlossen: Die folgenden eineinhalb Stunden werden sich (ähnlich wie in „Buried“ mit Ryan Reynolds) fast ausschließlich im titelgebenden Kofferraum abspielen. Allerdings werden bei der Reduktion auf den dunklen, beengten Innenraum immer wieder Kompromisse gemacht – und das auf Kosten der Spannung! Nur selten scheint es im Innern des Autos so dunkel, dass man mal die Orientierung zu verlieren droht. Stattdessen sind die Bilder, einem Club-Szenario nicht unähnlich, meist in neonfarbenes Blau getaucht.
Klaustrophobie will sich auf diese Weise nicht einstellen. Weder bei der jungen Medizinerin Malina (Sina Martens), noch beim Publikum. Neben dem günstig einfallenden Licht liegt das auch am verdächtig überdimensionierten Kofferraum. Es scheint so, als könnte das Entführungsopfer problemlos einige Male umherrollen. Während wir sie dabei beobachten, wie sie einen Ausweg aus ihrer Misere sucht, zeigt sich auch die Kamera verblüffend agil und wendig. Die oft steilen Winkel, mit denen das Innere des Kofferraums vermessen wird, erzielen angesichts der überraschenden Geräumigkeit nie den offenkundig erwünschten Effekt. Obwohl die Kamera sich wiederholt in größter Nähe zu Malina positioniert, überträgt sich weder der Schrecken der Gefangenschaft noch jener der räumlichen Beklemmung.
Auch beim Handy, das Malina zu Beginn des Filmes geistesgegenwärtig versteckt, werden Kompromisse eingegangen, die es den Zuschauenden vielleicht einfacher machen, aber zugleich auch den Level an Authentizität noch weiter herunterziehen. Aber erst einmal ein Lob dafür, dass in „Trunk“ auf das Klischee des fast aufgebrauchten Handyakkus verzichtet wird! Stattdessen fungiert das Handy durchgängig als Malinas Fenster zur Welt, mit dessen Hilfe der Plot vorangetrieben wird. Allerdings entbehren die Gespräche, die Malina aus dem Dunkel des Kofferraums mit ihrem Vater und einer Polizistin führt, jeder Dringlichkeit, rufen bisweilen gar Fremdscham hervor.
Dazu sind die Dialoge allzu sauber abgemischt und lassen den üblichen blechernen Handysound völlig vermissen – und zwar selbst dann, wenn die Stimmen durch Netzstörungen wegbrechen. Ähnlich verhält es sich mit den wenigen Szenen, in denen wir dem unbekannten Entführer begegnen, der in seiner Anlage zunächst an den enigmatischen Anton Chigurh aus „No Country For Old Men“ erinnert. Aber während die Coen-Brüder auf pointiert-abgründige Dialoge und einen lakonischen Javier Bardem zurückgreifen konnten, spricht der englischsprachiger Antagonist in „Trunk“ ausschließlich in leeren Worthülsen und Plattitüden. Damit entmystifiziert Schießer seinen Antagonisten schnell selbst.
Anregender ist da schon die kleine Actionkamera, die sich neben Malina im Kofferraum befindet und deren gespeicherten Aufnahmen hier quasi als Flashbacks fungieren: In einer der interessanteren Szenen des Filmes sehen wir, wie Malina in trauter Zweisamkeit mit ihrer großen Liebe Enno (Artjom Gilz) über die bald anstehenden Reise nach Südamerika spricht. Dabei zoomt die Kamera immer näher an die Aufnahme heran, bis schließlich nicht nur die dunklen Kofferraumränder, sondern auch der Zeitstempel aus der Einstellung verschwindet – so tauchen wir mitten hinein in die schon zuvor aufgenommene Szene. Ähnliches gilt für den folgenden Clip, in dem Enno auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen zusammengeschlagen wird.
Zwar entspricht das Abtauchen in die Szene durchaus Malinas Perspektive – schließlich verliert auch sie selbst sich so sehr in den Bildern, dass sie ihr Vergangenheits-Ich sogar auffordert, bloß nichts von der transparenten Flüssigkeit zu trinken, die ihr der Entführer aufzwingt. Zugleich opfert „Trunk“ in diesem Moment aber auch seine klaustrophobische Konsequenz zugunsten eines möglichst irritationsfreien Seherlebnisses. Wir verlassen eben doch den Kofferraum – und sei es auch über den Umweg eines Handydisplays.
Würde Schießer seinem Stoff insgesamt mit mehr Witz begegnen, fielen solche Kompromisse womöglich gar nicht weiter ins Gewicht. Sieht man jedoch von einigen gelungenen Einfällen – wie dem urdeutschen Trauma des aufgebrauchten Datenvolumens – ab, kommt „Trunk“ (anders als der konsequent ironische Dixi-Klo-Horror „Ach du Scheiße!“ aus dem vergangenen Jahr) eher staatstragend daher. So setzt er sich zwischen die Stühle: Die Handlung wirkt zwar gewichtig, aber was die formale Ausgestaltung angeht, wird die räumliche Enge nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit umgesetzt.
Fazit: Trotz einer aussichtsreichen Prämisse enttäuscht Marc Schießers „Trunk“ mit Plattitüden und anti-klaustrophobischen Kompromissen bei der Umsetzung des Beschränkter-enger-dunkler-Ort-Konzepts.