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    Small Things Like These
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Small Things Like These

    Ein bescheidenes Weihnachtsmärchen oder Oppenheimer Vs. EVIL NUNS

    Von Christoph Petersen

    Nach dem Welterfolg von „Oppenheimer“ samt Oscar-Nominierung als Bester Hauptdarsteller ist der Berlinale-Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ für Cillian Murphy sowas wie die Antithese zu Christopher Nolans in jeglicher Hinsicht epischem Biopic über den Vater der Atombombe: Zwar sind etwas überraschend auch die Hollywood-Superstarts Matt Damon und Ben Affleck als Produzenten an dem Projekt beteiligt, und doch ist das irische Weihnachtsmärchen des belgischen „Peaky Blinders“-Regisseurs Tim Mielants ein durch und durch bescheidener Film, der mit kleinen Gesten ein dickes fettes Ausrufezeichen für mehr Menschlichkeit setzt.

    Durch und durch bescheiden ist dabei auch der von Cillian Murphy verkörperte Protagonist Bill Furlong, ein rechtschaffender Kohlehändler, der in der irischen Kleinstadt Wexford in den Tagen vor Weihnachten im Jahr 1985 besonders viel zu tun hat. Er schuftet hart, um es seiner Frau Eileen (Eileen Walsh) und den gemeinsamen Töchtern möglichst an nichts Elementarem mangeln zu lassen. Ein kleiner Luxus wie ein Paar schwarze Lackschuhe ist zwar nur hier und da mal drin, aber es ist ein gutes, zufriedenes Leben – selbst wenn das Händeschrubben am Abend einem Ritual gleicht. Die im Laufe des Tageswerks angesammelte Schwärze muss man ja irgendwie wieder von den Fingern bekommen.

    Bill Furlong (Cillian Murphy) ist ein bescheidener, rechtschaffender Mann, der das Herz am rechten Fleck hat und deshalb nicht länger weggucken kann. Shane O’Connor
    Bill Furlong (Cillian Murphy) ist ein bescheidener, rechtschaffender Mann, der das Herz am rechten Fleck hat und deshalb nicht länger weggucken kann.

    Doch in diesem Jahr gerät Bill plötzlich ins Grübeln – was offenbar auch damit zu tun hat, dass er immer wieder an seine Kindheit, die er mit seiner alleinerziehenden Mutter auf dem Anwesen der wohlhabenden Mrs. Wilson (Michelle Fairley) verbracht hat, zurückdenken muss. In Rückblenden erfahren wir, dass er als kleiner Junge von anderen bespuckt wurde und an Weihnachten eine Wärmflasche statt eines Puzzles geschenkt bekommen hat. Man ahnt es schon: Die Kindheitsgeschichte wird sicherlich auf irgendeine große Katastrophe zusteuern, die dann sein zunehmendes Zweifeln in der Gegenwart erklärt.

    Aber Pustekuchen! Es ist im Gegenteil eine tiefe Dankbarkeit für all jene, die ihm damals geholfen haben, die ihn heute aus der Bahn zu werfen droht. Ja, er und seine Familie leben nun wirklich nicht in Saus und Braus – aber ist das tatsächlich ein Grund, den noch Schwächeren nicht zu helfen? Als er einem verschämt Brennholz sammelnden Mitschüler seiner Tochter ein wenig Kleingeld mitgibt, kann seine Frau das gar nicht verstehen – die zugesteckten Taler würde der Vater des Jungen ja ohnehin direkt versaufen. Nur Bill stellt sich die Frage, ob es für den Alkoholismus nicht vielleicht auch einen Grund gibt.

    Abrechnung mit den Teufelsnonnen

    Es sind lange nur solche kleinen Gesten oder hingenuschelte Halbsätze, mit denen sich Bill gegen das Jeder-erst-mal-für-sich-Denken des Dorfes auflehnt – und schon das macht beim Zuschauen mächtig Mut! Aber der zugrundeliegende, gleichnamige Roman von Claire Keegan („A Quiet Girl“) hat auch einen ernsten Hintergrund: In den Magdalenenheimen wurden in Irland jahrzehntelang ungewollt schwanger gewordene junge Frauen oftmals gegen ihren Willen festgehalten, um die Neugeborenen dann an andere Familien abzugeben. Und auch Bill trifft auf ein solches Mädchen, das von den Nonnen zur Bestrafung sogar in den kalten Kohleschuppen des Klosters gesperrt wurde.

    Peter Mullan hat schon vor 22 Jahren mit dem gefeierten „Die unbarmherzigen Schwestern“ eine laut-polternde Anklage gegen diese Praxis abgeliefert. Aber auch wenn es einem bei jedem Auftritt von Emily Watson („Punch-Drunk Love“) als Klostervorsteherin Schwester Mary, die das ganze Dorf finanziell wie moralisch in der Hand zu haben scheint, eiskalt den Rücken herunterläuft, ist „Small Things Like These“ ein sehr viel stillerer, subtilerer Film gegen das Wegschauen und Kopfeinziehen. Und das heißt definitiv nicht, dass er deshalb weniger wirkungsvoll wäre.

    Fazit: Ein betont bescheidenes, aber deshalb nicht minder ergreifendes Weihnachtsmärchen – mit einer feinen humanistischen Moral und einem einmal mehr überragenden Cillian Murphy in der Hauptrolle.

    Wir haben „Small Things Like These“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er als Eröffnungsfilm sowie Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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